Schule Thüringen ganz vorn: Inflation der Top-Abiture?

08. Februar 2023, 17:26 Uhr

Corona-Regeln für das Abitur haben mutmaßlich zu besseren Noten geführt. Das geht aus einer Statistik der Kultusministerkonferenz hervor. Erleichterungen bei den Prüfungen bestreitet das Thüringer Kultusministerium allerdings.

Erreichten im Jahr 2017 noch 2,9 Prozent der Thüringer Abiturienten die Note 1,0, so waren es im Jahr 2020 schon 3,5 Prozent und im Jahr 2022 5,2 Prozent. Mit dieser Quote liegt Thüringen an der Spitze der deutschen Länder vor Bremen und Hessen. Das Thüringer Bildungsministerium bestritt, dass Standards herabgesetzt wurden. Schülerinnen und Schüler hätten aber mehr Zeit zum Lernen vor Prüfungen bekommen - und teilweise eine erweiterte Auswahl der Aufgaben. Diese Änderungen habe es jedoch bundesweit gegeben, um die erschwerten Bedingungen durch die Corona-Pandemie auszugleichen. Das schrieb das Ministerium auf Nachfrage von MDR THÜRINGEN.

"Im Fach Wirtschaft & Recht ist es so zum Beispiel möglich, sich beim Lernen für die Abiturprüfung auf ein Halbjahr zu konzentrieren", sagt Tim Reukauf, Mitglied im Landesvorstand beim Thüringer Lehrerverband (tlv).

Wettbewerbsvorteil "besondere Leistungsfeststellung"?

Dass die Thüringer Noten auch nach der Verdoppelung der Abschlüsse mit der Note 1,0 immer bundesweit weiter an der Spitze liegen, hat aber womöglich mit der Besonderen Leistungsfeststellung (BLF) zu tun. "Vieles spricht dafür, dass die BLF vielen Schülerinnen und Schülern verdeutlicht, welche Anforderungen die gymnasiale Oberstufe an ihre Leistungsfähigkeit stellt", so das Bildungsministerium - weil sie dann eben schon eine Prüfung absolviert haben. Dass Thüringen grundsätzlich beim Abitur vorn liegt, soll also nicht nur mit Corona-Erleichterungen zu tun haben.

Der Thüringer Lehrerverband sieht aber auch die bundesweiten Erleichterungen als Grund für die zuletzt deutlich verbesserten Noten, sagte Tim Reukauf vom Thüringer Lehrerverband. Es sei an der Zeit, dass die Erleichterungen wegen Corona - wie andere Regeln auch, bald auslaufen. In fast allen anderen Bereichen seien Sonderregeln schließlich auch ausgelaufen. In diesem Schuljahr wird das allerdings noch nicht passieren. Weil Schülerinnen und Schüler dieses Abitur-Jahrgangs in ihrer Oberstufenzeit allerdings teilweise nicht in Präsenz hätten unterrichtet werden können, lässt die Kultusministerkonferenz die Erleichterungen zumindest für dieses Jahr bestehen.

Lehrerverband: Corona-Prüfungsbedingungen zurücknehmen

Tatsächlich haben sich die Anteile von Bestnoten beim Abitur in allen deutschen Ländern deutlich vergrößert. Ähnlich wie in Thüringen sind sie teilweise aufs Doppelte der Vor-Corona-Zeit gestiegen.

Der Lehrerverband sieht es kritisch, dass durch die Veränderungen der Prüfungsbedingungen eine wirkliche Vergleichbarkeit mit dem Abitur früherer Jahrgänge nicht mehr gegeben ist. Schülerinnen und Schüler hätten zwar jetzt besser Noten, seien aber nicht schlauer geworden als vor der Pandemie.

MDR (flog/dr)

10 Kommentare

Freies Moria am 09.02.2023

Wenn es für den Lehrer mehr Aufwand bedeutet eine schlechte Note zu geben (weil sie vor Eltern und ggfs. Schulleitung begründet werden muss und u.U. respektsenkend zurückgezogen werden muss), dann kommt "Einser-Inflation".
Es ist wie mit dem Geld im Supermarkt: Die Inflation ist nur das Ergebnis von einer langen Kette verbockter Entscheidungen, was man bei jeder einzelnen schon hat kommen sehen. Und niemand hat was gesagt...

Tschingis1 am 09.02.2023

Werter Kolo78 und mattotaupa
Die Bestnote ist jedoch 0,8 und kommt Zustande wenn Abiturient*innen in allen Fächern 15 Punkte erreichen.
Zur Verdeutlichung gebe ich Ihnen einmal einen Lesehinweis:
Süddeutsche Zeitung
"Klug lernen statt viel lernen"
Vom 24.06.21

ralf meier am 09.02.2023

Im internationalen Vergleich steht die einst führende 'Bildungsnation' Deutschland katastrophal da. So landete Deutschland in einem internationalen Vergleich, den das Münchner ifo Institut auf der Grundlage von Schulleistungsstudien wie PISA und TIMSS vorgenommen hat, mittlerweile nur noch auf Platz 30. Dies muss nicht im Widerspruch zu der im Artikel beklagten Inflation von Top Noten beim Abitur stehen

Zwar bestreitet das Thüringer Kultusministerium , das es Erleichterungen bei den Prüfungen gegeben hat, aber die Praxis in einem anderen links regierten Bundesland Hamburg lässt diesen Vorwurf nicht ganz unberechnet erscheinen. So wurden 2017 die Noten nach einer Probe Abiturklausur im Fach Mathematik vom Hamburger Schulsenator bei einem Notendurchschnitt von nur 3,9 per Erlass schlicht um eine Note angehoben
Siehe t-online 01.11.2017 'Hamburgs Schulsenator in der Kritik
Schlechte Mathe-Noten schöngerechnet'

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