Kommentar Brychcy und die AfD: Thüringer CDU vor der Zerreißprobe

09. Juni 2023, 18:19 Uhr

In der Thüringer CDU ist eine neue Diskussion um den Umgang mit Linken und AfD entbrannt. Vor Wochenfrist mahnte der Altenburger Oberbürgermeister André Neumann eine Kooperation mit der Linken nach der nächsten Landtagswahl an. Jetzt fordert der Waltershäuser Bürgermeister Michael Brychcy das genaue Gegenteil: eine Zusammenarbeit mit der AfD bei "Sachfragen".

Michael Brychcy hat Recht: Nicht jeder in der AfD ist ein Faschist. Und Michael Brychcy argumentiert nachvollziebar, wenn er sagt, dass er mit Björn Höcke nicht zusammenarbeiten will. Da hört es dann aber auch schon auf mit den Waltershäuser Wahrheiten. Denn Brychcy will dennoch mit der AfD kooperieren. Mit wem - im komplett auf Höcke-Linie liegenden AfD-Landesverband - will er denn zusammenarbeiten?

Es gibt weit und breit niemanden in der Thüringer AfD, der etwas anderes als den sozial-nationalistischen Höcke-Kurs vertritt. Dissidenten wurden und werden aus der AfD-Landtagsfraktion ausgeschlossen, oder suchen von sich das Weite. Ganz abgesehen davon ist eine Kooperation mit der völkisch-rechtsextremistischen Höcke-Partei weder in der Bundes-, noch in der Landes-CDU mehrheitsfähig.

Geht es Brychcy um Profilierung innerhalb der CDU?

Stellt sich die Frage, warum der gewiefte Politikprofi Brychcy - immerhin seit vielen Jahren Chef des Gemeinde- und Städtebundes - jetzt mit dieser Forderung auftritt? Es kann nur darum gehen, sich in der Partei zu profilieren. Offenbar dreht Brychcy das alte Bernhard-Vogel-Motto um und sagt sich: Erst ich, dann die Partei. Erster Schritt: eine Landtagskandidatur im kommenden Jahr. Als Wahlkreiskandidat dürfte er kaum zu schlagen sein. Damit rückt er automatisch auch auf Landesebene an die Spitze der CDU-Politiker, die in der Gretchenfragen "Wie hältst Du es mit Linken beziehungsweise AfD" heftig rechts blinken.

Nach Lage der Dinge wird er mit seinem AfD-freundlichen Kurs auch in einer künftigen CDU-Fraktion den ein oder anderen Gleichgesinnten finden. Vielleicht bringt er sich auch in Stellung für mehr. Björn Höcke hatte erst jüngst wieder Leimruten ausgelegt und davon gesprochen, einen CDU-Ministerpräsidenten tolerieren zu wollen. Gut möglich, dass der ehrgeizige Politiker Brychcy - der schon vor 20 Jahren das Waltershäuser Rathaus gegen den Gothaer Landratsposten tauschen wollte - sich auch die Staatskanzlei zutraut.

Ein Mann spricht in ein Mikrofon
Waltershausens Bürgermeister Michael Brychcy (CDU) Bildrechte: picture alliance/dpa | Bodo Schackow

Weitere Klatsche für CDU-Landeschef Voigt

Auf jeden Fall hat Brychcy auf sich aufmerksam gemacht, indem er sich frontal gegen den Bundesvorsitzenden Friedrich Merz und seinen Landeschef Mario Voigt stellt. Er ist zum Kronzeugen all derer geworden, die schon immer gewusst haben wollen, dass das Nein zur AfD an der Unionsbasis nicht uneingeschränkt geteilt wird. Für den ohnehin schon angeschlagenen CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag ist das eine weitere Klatsche.

Seine Möglichkeiten, Brychcy zu disziplinieren, sind begrenzt. Voigt kann ihn weder vom Bürgermeisterposten noch aus seinem Spitzenamt im Gemeinde- und Städtebund vertreiben. Seine Direktkandidatur im Wahlkreis wird schwerlich zu verhindern sein - im Landkreis Gotha ist Brychcy das letzte verbliebene Aushängeschild der Christdemokraten.

CDU steht vor einer Zerreißprobe

Für Voigt sind Brychcys Äußerungen der zweite Tiefschlag binnen weniger Tage. Erst vor einer Woche hatte der Altenburger Oberbürgermeister André Neumann sich diametral entgegen gesetzt positioniert und eine Kooperation mit der Linken gefordert. Auch hier hatte Voigt auf die Parteilinie gepocht, die eine Kooperation mit den Parteien vom rechten und linken Rand verbietet. Nur - und das ist spätestens seit heute offenbar -, dieser Parteilinie folgen immer weniger Christdemokraten.

Die Partei steht vielmehr vor einer veritablen Zerreißprobe und es ist nicht erkennbar, dass die Risse gekittet werden können. Wohin das führen kann, ist an der anderen einst stolzen Volkspartei zu besichtigen. Die Thüringer SPD hat sich im Streit, ob man lieber mit der Linken oder der CDU koaliert, binnen 20 Jahren von 30 auf etwa 10 Prozent der Wählerstimmen marginalisiert. Die CDU scheint diesen Weg jetzt im Eiltempo nachzuvollziehen.

Und was bedeutet das für das Land? Sowohl Höcke und seine AfD, als auch die Linke kommen vor Lachen nicht mehr in den Schlaf, wenn sich die Union selbst zerlegt. Die dringende Notwendigkeit, dass in diesem Land eine Koalition der Mitte jenseits von Linke und AfD mehrheitsfähig wird, rückt damit in weite Ferne. Die Regierungsbildung im kommenden Jahr droht noch gruseliger zu werden als 2020.

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MDR (guf/dr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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