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AutomobilindustrieExperte: "Mangel an Fachkräften wird Wachstumsbremse"

10. Januar 2023, 05:00 Uhr

Am Dienstag lädt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Automobilwirtschaft zum Spitzengespräch ins Kanzleramt, um über die Zukunft der deutschen Schlüsselindustrie zu diskutieren. Es ist für Scholz als Bundeskanzler das erste Treffen dieser Art. Im Interview mit MDR AKTUELL blickt der Geschäftsführer des Branchenverbandes Automotive Thüringen, Rico Chmelik, kritisch auf die Situation seines Automobilstandortes. Ein großes Problem ist der Fachkräftemangel.

Thüringer Automobilbranche leidet an Fachkräftemangel

Der Branchenverband Automotive Thüringen sieht die Automobilbranche im Freistaat vor vielen Herausforderungen. Diese bestünden international, national und regional, sagte Geschäftsführer Rico Chmelik. "Wir können die Menschen nicht backen. Wir können auch über Arbeitsmigration diesen Mangel nicht vollständig kompensieren. Die Frage ist, dass dieser Mangel an Fachkräften die eigentliche Wachstumsbremse wird", sagte der Branchengeschäftsführer im Interview mit MDR AKTUELL.

Die Herausforderung sei, wie man diesem Mangel begegne. Durch die Renteneintritte bis 2027 stünden noch weit weniger Arbeitskräfte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Das werde sich in den nächsten Jahren auch durch einen weiteren Rentenknick fortsetzen. Die Gefahr drohe, dass es Unternehmen dann nicht mehr geben werde - nicht, weil das Produkt schlecht sei, sondern weil keine Menschen mehr in der Region seien, die dort arbeiten könnten. Für die Unternehmen am Standort komme es daher darauf an, alles zu tun, um ihre Fachkräfte zu halten, den Arbeitsplatz attraktiver zu gestalten und auch das Betriebsklima zu berücksichtigen.

Unsicherheit bei Anwerbung ausländischer Fachkräfte

Bei der Anwerbung von ausländischen Mitarbeitern brauche es vor allen Dingen Handlungssicherheit, erläuterte Chmelik. Speziell im Bereich der Ausländerbehörden. In Thüringen gebe es über 15 Ausländerbehörden, bei denen die Umsetzung geltenden Rechts teilweise sehr unterschiedlich erfolge. Dies hinterlasse bei einigen Unternehmen den Eindruck, dass mit Willkür gearbeitet werde. Da brauche es Handlungssicherheit.

Klar festgelegte Regeln seien nötig, wenn es darum gehe, nach Deutschland zu kommen oder die Familie nachzuholen. Da dürfe kein Flickenteppich entstehen. Es entstehe auch der Eindruck, dass jede Behörde Regeln anders umsetze. Da bekomme sein Verband sehr unterschiedliche Rückmeldungen aus den Unternehmen. Deshalb sei Handlungssicherheit besonders wichtig, erklärte der Automotive-Thüringen-Geschäftsführer.

Automotive Thüringen"Automotive Thüringen" versteht sich nach eigener Auskunft als Bindeglied zwischen Politik und Wirtschaft. Das Netzwerk bringt Partner aus Industrie und Forschung zusammen. Es will der automobilen Zulieferindustrie mehr Gewicht und Stimme geben. Durch Studien, Trendanalysen, Weiterbildungen und Seminare sowie Netzwerktreffen will man dem Austausch der Mitglieder dienen, die Öffentlichkeit informieren und Innovationen vorantreiben.

Bewältigung der Krisenlagen als größte Herausforderung

Die größten Herausforderungen für das neue Jahr seien aktuell die Bewältigung der multiplen Krisenlagen, die sich auch in der Automobilzulieferindustrie in Thüringen abbilde. Steigende Gas- und Energiepreise, Bewältigung der gestörten Lieferketten und das noch nicht verschwundene Pandemiegeschehen.

Die Thüringer Autoindustrie sei bekanntermaßen stark mittelständisch geprägt. Durchschnittlich beschäftige ein Unternehmen circa 270 Mitarbeiter. Es gebe aber auch viele kleinere Unternehmen. Hier merke man auch besonders die Strompreissteigerungen. Es stelle sich verstärkt die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit. "Und wie halte ich durch mit meiner unternehmerischen Tätigkeit?", fragte Chmelik.

Die Unternehmen erwarteten vor allen Dingen Planungssicherheit. Sichere Rahmenbedingungen. Wie sehe die Energiepolitik der Zukunft aus. Und sichere Rahmenbedingungen hinsichtlich der Lieferkettenproblematik unter geopolitischen Perspektiven. Die Unternehmen agierten global und seien sehr exportorientiert. Davon hänge das Wachstum der Automobilzulieferer ab.

Unternehmen planen verstärkt Investitionen im Ausland

Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit stelle sich in verschiedener Hinsicht. Besonders vor dem Hintergrund der Energiepreise, der Personal- und Lohnkosten, aber auch der Infrastruktur, wie dem Breitbandausbau.

25 Prozent der Unternehmen hätten nach einer internen Umfrage von Automotive Thüringen Ende vergangenen Jahres angekündigt, im Ausland zu investieren. Einige Autohersteller erwarteten in diesem Zusammenhang von ihren hiesigen Zulieferbetrieben, für Produktionen mit in die Region zu gehen, in der man produziere, also "Local Content" in den Zielmärkten.

Neue Chancen am deutschen Standort

Trotz Verlagerungsdiskussionen wegen unsicherer Rahmenbedingungen entstünden am heimischen Standort aber auch neue Industriesparten, die zu Wertschöpfung beitrügen. Neue Ansiedlungsvorhaben seien rund um das Thema Batterie entstanden. Darin liege eine große Chance, so Chmelik, Aus Umfragen wisse man, dass weit über 75 Prozent der befragten Zulieferbetriebe bereits Aufträge für Komponenten zur Elektromobilität hätten. Stärken hätten Unternehmen insbesondere um das Thema Elektroantrieb, Batteriemanagement oder Thermomanagementsysteme. Ferner habe man sich in Thüringen beim Thema Innenraum der Zukunft neu positioniert und vor zwei Jahren bereits ein Innovationscluster gegründet, bei dem es um neue Materialien, neue Funktionen und neue Fertigungsmodelle gehe.

CATL hat weiter herausragende Bedeutung

Der chinesische Batteriezellenhersteller CATL habe für die Zukunft des Automobilstandortes Thüringen eine herausragende Bedeutung. Das erste Zellenwerk in Deutschland, das eine Genehmigung zur Fertigung bekommen habe, werde von Erfurt aus den gesamten europäischen Automobilmarkt mit Batteriezellen versorgen. Mit CATL als größter Batteriezellenhersteller der Welt habe die Region ein besonderes Signal für neue Wertschätzung bekommen. So werde sich rund um die Batteriezellfertigung neue Wertschöpfung ansiedeln. Das sei eine große Chance für Thüringen.

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MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 10. Januar 2023 | 19:30 Uhr