Sicherheitsprobleme Aggressionen gegen Zugpersonal: "Es ist wie Roulette spielen"
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21. Juni 2024, 15:08 Uhr
Im April wurde bekannt, dass es erhebliche Sicherheitsprobleme auf der Strecke der Südthüringen Bahn von Erfurt nach Meiningen gibt. Der Betriebsrat sprach von einem "Schlachtfeld" für die Reisebegleiter aufgrund immer wieder eskalierender Fahrscheinkontrollen. Nachdem das Land eine Kostenbeteiligung versprochen hat, wurde das Sicherheitspersonal aufgestockt. Wie hat sich die Lage seitdem entwickelt?
- Zugbegleiter auf der Strecke Erfurt-Suhl erleben trotz eines neuen Sicherheitskonzepts weiter Probleme mit Schwarzfahrern.
- Das Land beteiligt sich nach einem Brandbrief an den Kosten für mehr Sicherheitspersonal in den Zügen.
- Die Bahngewerkschaft EVG fordert ein flächendeckendes Sicherheitskonzept für ganz Thüringen.
Die Zugbegleiterin, eine dunkelhaarige Frau mittleren Alters, wirkt zupackend und unerschrocken. Kurz nach Fahrtbeginn bittet sie per Lautsprecher-Durchsage alle Fahrgäste in höflichem Ton darum, bei der anstehenden Fahrkartenkontrolle mitzuwirken.
Dazu gehört zum Beispiel, dass Deutschlandticket-Nutzer auch ihren Ausweis bereithalten müssen. Bei ihrem anschließenden Gang durch den Waggon tritt die Schaffnerin freundlich, aber bestimmt auf.
Besonders problematisch: Abendfahrten auf dem Streckenabschnitt Erfurt-Suhl
Probleme gibt es während dieser zufällig ausgewählten, abendlichen Fahrt im Juni auf der - wie ein Brandbrief des Betriebsrats der Südthüringen Bahn nahelegt - berüchtigten Strecke von Erfurt über Suhl nach Meiningen nicht.
Das könne aber nach wie vor auch ganz anders aussehen, sagt die Schaffnerin, die sich am Ende der Fahrt zu einem spontanen Gespräch bereit erklärt, aber anonym bleiben will: "Das ist immer noch wie Roulette spielen. Nach einer friedlichen kann jederzeit wieder eine problematische Fahrt kommen."
Erst kürzlich habe sie eine Faust im Gesicht gehabt. Sie sei nicht geschlagen, aber mit der geballten Faust bedroht worden.
Eine weitere stichprobenhafte Fahrt gibt einen direkten Eindruck davon, wie sich Situationen - trotz des neuen Sicherheitskonzepts - aufheizen können. Mehrere Fahrgäste ohne Tickets werden von den zwei resoluten Schaffnerinnen, die diesen Zug begleiten, hinausbefördert. Zum Teil unter lautstarkem Protest.
Brandbrief des Betriebsrats im April
Dass es offenbar immer wieder schwerwiegende Probleme mit renitenten Reisenden auf dem speziellen Abschnitt der Südthüringen Bahn von Erfurt nach Meiningen gibt, wurde erstmals im April öffentlich. Der Betriebsrat prangerte in einem Schreiben an das Land katastrophale Zustände und eine nicht mehr zumutbare Sicherheitslage für Schaffnerinnen und Schaffner an.
Grund seien immer wieder eskalierende Situationen mit Fahrgästen, die kein gültiges Ticket besitzen. Reisebegleiter gerieten demnach regelmäßig in aggressive Auseinandersetzungen, in denen sie beleidigt, herabgewürdigt, teils auch körperlich bedroht und angegangen würden.
Offenbar unterschiedliche Personengruppen an Randalen beteiligt
Für Aufsehen hatte gesorgt, dass in dem Brief davon die Rede war, dass die Störer auf der Route oft - wenngleich auch nicht immer - Menschen mit Migrationshintergrund seien. Es stand die Vermutung im Raum, die Gruppen junger Männer stammten aus der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Suhl.
Ich kenne auch viele Migranten, die regelmäßig mit uns fahren, die sich immer höflich, nett und anständig verhalten.
Die Zugbegleiterin, die zu Beginn dieses Texts zitiert wurde, nimmt kein Blatt vor den Mund: Es gebe Migranten, die kein Wort Deutsch sprechen, aber sagen können: "Bitte Strafe aufschreiben". Für sie mache das oft den Anschein, dass sie nicht mit Konsequenzen für ihr Schwarzfahren zu rechnen hätten. An deren Ausweisen erkenne sie auch, dass viele dieser Männer in der Suhler Erstaufnahme lebten.
Ich habe auch schon Männer rausgeworfen, die Migranten beleidigt haben.
Oftmals seien es jedoch immer die gleichen Personen, die negativ auffallen: "Ich kenne auch viele Migranten, die regelmäßig mit uns fahren, die sich immer höflich, nett und anständig verhalten", so die Schaffnerin. Zudem, und dass ist ihr auch wichtig zu betonen, gebe es auch genug andere problematische Fahrgäste, die keinen Migrationshintergrund haben. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen erlebten grundsätzlich eine gestiegene Aggression.
Offizielle Zahlen gibt es keine
Im Verdacht generell gegenüber Migranten vorurteilsbehaftet zu sein, steht die Schaffnerin nicht. Zu Beginn der Fahrt kann man beobachten, wie sie allen Fahrgästen ausgesprochen hilfsbereit gegenübertritt. Ausländischen Reisenden bietet sie sofort das Englisch an, fragt sie nach Endreisezielen, um sie später individuell an Aus- und Umstiege zu erinnern.
Einen jungen, etwas verwirrt wirkenden Mann, der ebenfalls kein Deutsch spricht und dem die Schaffnerin hilft, seine Verbindung zu verstehen, nennt sie mütterlich "Schatz". Später erzählt sie auch, dass sie grundsätzlich keinerlei Pöbeleien im Zug dulde. Sie stehe Frauen zur Seite, die ungewollt von Männern angequatscht werden. Genauso schreite sie ein, wenn sie rassistische Vorfälle beobachte: "Ich habe auch schon Männer rausgeworfen, die Migranten beleidigt haben".
Eine Anfrage bei der Bundespolizei, wie sich die Vorfälle in Zahlen übersetzen lassen, wird nicht beantwortet. Wie viele Schwarzfahrer es auf der Strecke gibt und wie hoch der Anteil Nicht-Deutscher ist, könne man nicht sagen.
Land schießt sechsstelligen Betrag zu
Auf den Brief des Betriebsrats im April folgte eine Krisensitzung mit der Landesregierung. Am Ende stand die Einigung: Das Land wird Kosten für Sicherheitspersonal übernehmen. Laut einer Sprecherin des Infrastrukturministeriums sind die Verträge mittlerweile vorbereitet und können in Kürze abgeschlossen werden. Das Land wird die Südthüringen Bahn demnach voraussichtlich bis Ende des Jahres finanziell unterstützen. Dafür werde ein mittlerer sechsstelliger Betrag eingesetzt.
Nach Angaben der Südthüringen Bahn wurde die Frequenz an Sicherheitspersonal seit der Zusage erhöht. Wann oder wie viele Züge genau begleitet werden, darüber will das Unternehmen keine Auskünfte geben. Beobachtungen zeigen aber, dass nicht von einem flächendeckenden Einsatz die Rede sein. Die Wahrnehmung bestätigen auch Gespräche mit den Reisebegleitern.
Probleme nicht aus der Welt, aber Sicherheitsgefühl leicht verbessert
Insgesamt hat MDR THÜRINGEN mit einer Handvoll Zugbegleiterinnen und Zugbeleiter und zwei Sicherheitsleuten gesprochen. Sie alle sagen übereinstimmend: Die Probleme sind nicht behoben. Die Fallzahlen von Mitfahrern ohne oder mit gefälschten Tickets seien in etwa gleichgeblieben.
Aber: Das individuelle Sicherheitsgefühl habe sich leicht verbessert. Neben dem Sicherheitspersonal fahre zudem auch die Bundespolizei häufiger mit. Auch eine Sprecherin des Südthüringen Bahn gibt an, dass durch die Begleitung schwierige Situationen besser deeskaliert werden könnten und sich sowohl Mitarbeiter als auch Fahrgäste seitdem sicherer fühlten.
Gewerkschaft fordert flächendeckendes Sicherheitskonzept für ganz Thüringen
Die Bahngewerkschaft EVG begrüßt die ergriffenen Ad-hoc Maßnahmen. Auch sie schreibt von einer Verbesserung der Lage. Allerdings sei es zu wenig, nur punktuell - sowohl auf die Strecke, als auch die Züge bezogen - einzugreifen.
Die Gewerkschaft fordert dauerhaft in ganz Thüringen mehr Sicherheitspersonal in den Zügen und eine Doppelbesetzung der Züge auf Schwerpunktlinien und Hauptverkehrszeiten. Dies müsse schon in den Verkehrsausschreibungen für den Regionalverkehr festgeschrieben werden.
Die Gewerkschaft spricht zudem dezidiert von allen Strecken in Thüringen, denn überall erlebten Kolleginnen und Kollegen eine wachsende aggressive Stimmung. Offenbar seien die Reisebegleiter eine Art "Blitzableiter" für Frust, der sich auch während Corona aufgebaut hat.
Die Tätergruppen seien dabei sehr unterschiedlich. Während auf der Suhler Strecke möglicherweise vermehrt junge migrantische Männer negativ auffallen, können das anderswo betrunkene Fußballfans oder andere Gruppen sein.
MDR (med/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 22. Juni 2024 | 18:00 Uhr
SZ Rentner vor 24 Wochen
@ Deutscher_Patriot
Sie sind einfach zu leichtgläubig .
Googlen sie doch mal : Brandbrief thüringesches Zugpersonal
Nehmen sie aber nicht die Beiträge des MDR .
Sonnenanbeter vor 24 Wochen
Da passt es ja in's Bild, dass Schwarzfahren in Zukunft wohl nur noch als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden soll. Nur hier trifft man damit eindeutig die Falschen. Denn es handelt es sich nicht um Menschen, die sich das Deutschlandticket nicht leisten könnten, sondern die ihr Geld lieber anders verprassen und notorisch Schwarzfahren. Die müssen sich durch diese Bagatellisierung in ihrem Handeln doch vollends bestätigt sehen. Wenn das erhöhte Beförderungsentgelt in der Praxis tatsächlich regelmäßig eingetrieben werden würde, dann hätte jeder von denen ein Deutschlandticket. Und diese Sprüche, die gäbe es erst gar nicht. Puzzleteil für Puzzleteil entsteht hier ein Gesamtbild, das viele ohnehin schon vermutet hatten...
astrodon vor 24 Wochen
@dimehl: Es geht weniger darum, wie "solche Leute" diese Zustände finden. Ich finde solche Zstände auch zum k... Die Frage ist nur, wo man die Gründe sucht und findet.