Welt-Blutspende-TagSchwule von der Blutspende quasi ausgeschlossen
Etwa 15.000 Blutspenden werden pro Tag gebraucht. Wegen der Corona-Krise werden vielerorts die Blutkonserven knapp. Vor diesem Hintergrund fordern Oppositionspolitiker, die Beschränkungen für homosexuelle und bisexuelle Männer aufzuheben. Zum Weltblutspendetag am Sonntag haben wir nachgefragt.
Inhalt des Artikels:
Mit dem Thema Blutspenden hatte sich Alfonso Pantisano nie wirklich auseinandergesetzt. Bis eines Tages der Spende-Truck des DRK bei ihm zu Hause Station machte. Spontan entschloss sich der Moderator, etwas Gutes zu tun, zumal ja Blutkonserven immer knapp sind. Was dann passierte, ärgert ihn immer noch: Er wurde weggeschickt. "Als schwuler Mann darfst du praktisch kein Blut spenden. Ich konnte nicht fassen, was da passiert ist", erzählt er.
Pantisano lebt seit vielen Jahren in einer Partnerschaft und dachte zunächst an ein Missverständnis. Aber auch beim nächsten Versuch wurde er nicht zugelassen. "Ich war richtig sauer. Diese Regelung suggeriert doch, dass Männer, die Sex mit Männern haben, Krankheiten übertragen. Das ist diskriminierend!"
Natürlich versteht Pantisano das Bedürfnis nach Sicherheit für die Empfänger des Blutes. "Ich kenne selbst Menschen, die durch Bluttransfusionen in den 80er-Jahren mit HIV infiziert worden sind. Das ist furchtbar! Aber heute ist die Wissenschaft doch weiter." Jede Spende muss gründlich getestet werden. Schließlich füllen die Spender lediglich einen Fragebogen aus, bevor ihnen Blut entnommen wird. Überprüft werden die Angaben nicht. Für Alfonso Pantisano ist die Sache ganz einfach: "Menschen, die Blut spenden, müssen sich ihrer Verantwortung doch völlig bewusst sein. Wir alle wollen im Notfall sicheres und getestetes Blut bekommen. Wenn du dich schützt beim Sex, darfst du Blut spenden, wenn nicht, dann nicht - egal ob du schwul, bi oder hetero bist."
Was sagt die gültige Regelung genau?
Die Blutspende ist in Deutschland im Transfusionsgesetz (TFG) geregelt. Das stammt vom Mai 1998. Darin heißt es: "Die Zulassung zur Spendeentnahme soll nicht erfolgen, soweit und solange die spendewillige Person nach Richtlinien der Bundesärztekammer von der Spendeentnahme auszuschließen oder zurückzustellen ist."
Bis 2017 waren homosexuelle Männer komplett von der Blutspende ausgeschlossen. Nach Kritik der EU hat die Bundesärztekammer 2017 neue Richtlinien veröffentlicht. Diese sogenannte "Richtlinie Hämotherapie" sieht seitdem vor, dass Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben, vor einer Blutspende zwölf Monate lang keinen Sex haben durften. Die besondere Vorsicht mit Blutspenden von Homosexuellen stammt aus den 1980er-Jahren, als Aids und die Gefahr durch HIV virulent wurden. Alle Blutspenden werden zwar auf HIV getestet, aber mit den Tests können frische Infektionen nicht nachgewiesen werden. Der Nachweis ist erst einige Zeit nach der Ansteckung möglich. Dieser Zeitraum wird als "diagnostisches Fenster" bezeichnet.
Blut wird in Corona-Krise knapp
Während der Corona-Krise haben deutlich weniger Menschen Blut gespendet. Jetzt werden die Konserven langsam knapp. Dieser Engpass hat auch zu einer Bundestagsdebatte zum Thema am 27. Mai geführt. FDP und Grüne hatten Anträge eingebracht, die bestehenden Regelungen zu ändern.
Wie ist der Ablauf bei der Blutspende?
Jeder Spender muss vor der Blutentnahme einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Dazu gehören nicht nur Angaben zu ihrer Gesundheit - sondern auch zum Lebenswandel. Es gibt etwa Fragen zu Tattoos und auch zum Sexualverhalten. Danach werden die Blutwerte bestimmt, Fieber und der Blutdruck gemessen. Nach einem Gespräch mit dem Arzt geht es dann auf die Liege und 500 Milliliter Blut werden abgezapft.
Was sagt der Blutspendedienst?
Nico Feldmann ist beim DRK-Blutspendedienst NSTOB Regionalleiter für Sachsen-Anhalt und Thüringen. Für ihn hat die Sicherheit der Blutprodukte, trotz der aktuell sehr angespannten Versorgungslage, oberste Priorität.
Zwar wird das Blut in unseren Laboren unter anderem auf HIV, Hepatitis C, Hepatitis B und Syphilis untersucht, ein Restrisiko aufgrund des diagnostischen Fensters bleibt jedoch.
Nico Feldmann | NSTOB - Regionalleiter
Daher spielt nach seiner Ansicht auch die individuelle Lebensweise der Spender eine Rolle: "Grundsätzlich werden alle Spender, die einer sogenannten Risikogruppe angehören (zum Beispiel aufgrund von Vorerkrankungen, Aufenthalten in bestimmten Urlaubsregionen, häufig wechselnder Sexualpartner, et cetera) zeitlich oder auf Dauer von der Blutspende ausgeschlossen."
Dass aber Männer, die Sex mit Männern haben, nur dann zur Blutspende zugelassen sind, wenn sie in den vergangenen zwölf Monaten keinen sexuellen Kontakt hatten, findet Feldmann "nicht unbedingt zeitgemäß und in gewisser Weise auch lebensfremd". Feldmann weiter: "Ich bin sicher, dass es zahlreiche homosexuelle Paare gibt, die in festen Beziehungen leben und sich monogamer verhalten als einige heterosexuelle Paare. Dennoch sind die Regularien der Bundesärztekammer und des Paul-Ehrlich-Institutes eindeutig und für alle Blutspendedienste bindend."
Was sagen die Verbände?
Die "Prout at Work Foundation" hat in Zusammenarbeit mit mehreren in Deutschland aktiven Großunternehmen ein Positionspapier veröffentlicht, in dem ein Ende der Diskriminierung von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten beim Zugang zum Blutspenden gefordert wird. In dem Brief wird beklagt: "Durch die ausschließliche Anknüpfung der Richtlinie an die sexuelle Orientierung wird pauschal ein Risikoverhalten unterstellt - unabhängig vom tatsächlichen sexuellen Verhalten und der individuellen Lebenssituation wie zum Beispiel einer monogamen Partnerschaft."
Die Deutsche Aidshilfe bestätigt, dass Männer, die Sex mit Männern haben, häufiger von HIV betroffen sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. "Dies rechtfertigt jedoch keinen pauschalen Ausschluss", heißt es in einer Stellungnahme, die die Deutsche Aidshilfe auf ihrer Website veröffentlich hat. Auch medizinisch sei diese Regel wenig sinnvoll, die Frist von einem Jahr sei "willkürlich gewählt." Nach sechs Wochen lässt sich eine HIV-Infektion mit einem Antikörpertest sicher ausschließen. Die Aidshilfe fordert deshalb, die "Diskriminierung homosexueller Männer" zu beenden und die Sicherheit von Blutprodukten über neue Kriterien sicherzustellen.
Eine ähnliche Kritik formuliert der Verband für Lesben und Schwule (LSVD). "Die Richtlinie ergibt medizinisch keinen Sinn und es ist natürlich diskriminierend, Schwule so pauschal von der Blutspende auszuschließen. Entscheidend ist nicht, welche sexuelle Neigung jemand hat, sondern ob der Sex geschützt ist oder nicht."
Was sagen die Thüringer Bundestagsabgeordneten?
FDP | Gerald Ullrich
Auch für Gerald Ullrich steht die Sicherheit der Blutspenden an erster Stelle. Die Testverfahren haben sich aus seiner Sicht aber in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert.
"Die Politik kann so etwas natürlich nicht entscheiden, aber wir müssen die richtigen Fragen stellen." Vor allem die diagnostischen Zeiträume fasst er dabei ins Auge. "Jemanden sechs Wochen oder von mir aus sogar drei Monate auszuschließen, ist völlig in Ordnung. Aber die zwölf Monate kann niemand erklären. Zumal für den Ausschluss das Sexualverhalten ausschlaggebend sein sollte und nicht die sexuelle Ausrichtung." Ullrich hofft jetzt, dass der Ausschuss eine Experten-Anhörung im Bundestag empfiehlt. Den Antrag der FDP "Einfach Leben retten - Blutspendeverbot für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen abschaffen" finden Sie hier.
CDU | Albert H. Weiler
Albert Weiler hat das Gefühl, dass im Parlament eine gewisse "Angst vor dieser Debatte" herrscht.
Auch er findet, dass die sexuellen Gewohnheiten das Thema sind und nicht die sexuelle Orientierung. "Egal, ob in einer schwulen oder heterosexuellen Beziehung - manche Menschen leben monogam und andere nicht." Vor allem stört Weiler der Ausschluss-Zeitraum von zwölf Monaten. Er hofft, dass jetzt im Gesundheitsausschuss fachlich debattiert wird und nicht parteipolitisch. "Gerade, weil die Corona-Krise jetzt zeigt, dass wir es uns gar nicht leisten können, ganze Gruppen von der Blutspende auszuschließen."
Bündnis 90/Die Grünen | Katrin Göring-Eckardt
Für Katrin Göring-Eckardt ist es ein "Skandal, dass homo- und bisexuelle Männer immer noch von der Blutspende praktisch ausgeschlossen sind".
Natürlich müssten Blutspenden sicher sein. Aber jede Person, die bereit ist, für die Gemeinschaft Blut zu spenden, müsse aus ihrer Sicht mit den gleichen Kriterien geprüft werden. "Hier ist das individuelle Risikoverhalten und nicht die sexuelle Identität entscheidend. Alles andere führt zu pauschaler Diskriminierung." Den Antrag der Grünen "Diskriminierung bei der Blutspende beenden - Transfusionsgesetz ändern" finden Sie hier.
SPD | Elisabeth Kaiser
Elisabeth Kaiser hält die geltende Regelung für "sehr diskriminierend". Heterosexuelle Menschen würden bei der Blutspende nur zurückgestellt, wenn sie angeben, ein erhöhtes sexuelles Risikoverhalten aufgrund wechselnder Partnerschaften zu haben.
Elisabeth Kaiser: "Aber wer beantwortet diese Frage denn stets ehrlich? Würden Ehepartner zum Beispiel offen zugeben, neben ihrer Frau oder dem Ehemann weitere sexuelle Kontakte zu pflegen?" Aus ihrer Sicht braucht es hier einen grundlegenden Perspektivwechsel bei der Sicherheitsvorsorge in der Blutspende: "Weg von der Lebensführung der Spender hin zu besseren, schnelleren und flächendeckenden Testverfahren der Blutspende. Leider kam in der aktuellen Debatte die Weiterentwicklung von Testverfahren kaum zur Sprache."
Linke | Ralph Lenkert
Aus Sicht von Ralph Lenkert wird die Diskussion zu sehr durch Vorurteile belastet.
"Für mich ist der Zeitraum von zwölf Monaten medizinisch nicht nachvollziehbar. Da wird eine ganze Menschengruppe diskriminiert. Das Risiko muss nach Sexpraktiken bewertet werden und danach, wie sich jemand schützt. Aber nicht nach seiner sexuellen Orientierung." Und da das durch den Fragebogen bei der Blutspende umfassend geklärt wird, sind für Ralph Lenkert keine Sonderbestimmungen für bestimmte Menschengruppen nötig.
AfD | Robby Schlund
Die AfD sieht in der bisherigen Regelung kein Verbot für die genannten Gruppen, sondern allein eine Einschränkung für ein bestimmtes Sexualverhalten.
Und zwar von Personen, die ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten wie HBV, HCV oder HIV aufweisen könnten. Robby Schlund: "Solange ein Restrisiko besteht, dass im Verhalten bestimmter Personen eine Gefahr für Spenderblut liegt, geht die Sicherheit der Empfänger vor, nicht eine ideologische Ausrichtung der Antragsteller."
Was sagt die Bundesärztekammer?
Die Bundesärztekammer weist den Vorwurf der Diskriminierung zurück. Sie verweist darauf, dass für die Richtlinien zur Sicherheit der Empfänger von Blutspenden nicht sexuelle Präferenzen relevant seien, sondern das konkrete Verhalten des Einzelnen. Für die Bundesärztekammer haben Schwule durch ihr Sexualverhalten trotzdem auch heute noch ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten. Man verwende aber in der Richtlinie bewusst die Beschreibung "Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)". Damit werde ein Verhalten beschrieben und bewusst offengelassen, welche sexuelle Orientierung im individuellen Einzelfall bestehe.
Im Jahr 2016 haben Vertreter des "Arbeitskreises Blut", des Ständigen Arbeitskreises "Richtlinien Hämotherapie", des Robert Koch-Instituts, des Paul-Ehrlich-Instituts und des Bundesministeriums für Gesundheit die aktuellen medizinischen und epidemiologischen Daten zuletzt geprüft.
Samir Rabbata, Pressesprecher der Kammer: "Aus Sicht der Bundesärztekammer ist es nachvollziehbar, dass das Thema Emotionen berührt und wohl auch immer wieder berühren wird. Dennoch halten wir es für erforderlich, die dargestellten sachlichen Argumente nicht aus den Augen zu verlieren. Nur der Gesetzgeber wäre – beispielsweise auf Vorschlag des Bundesministeriums für Gesundheit – legitimiert, anderweitige Festlegungen als rechtliche Regelung zu erlassen und entsprechende Folgen zu verantworten."
Wie geht es jetzt weiter?
Nach der Aussprache zu den beiden Anträgen hat der Bundestag sie in die entsprechenden Ausschüsse verwiesen. Dort wird jetzt darüber gesprochen und dann gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder entscheidet der Ausschuss, dass es im Parlament eine Experten-Anhörung zum Thema geben soll oder dass über den Antrag direkt im Parlament abgestimmt werden soll. Wenn die Mehrheit das will, kann der Bundestag dann allerdings nur empfehlen, die gültige Richtlinie zu überprüfen - ob durch neue Studien oder externe Berater. Die Bundesärztekammer entscheidet am Ende.
Wie regeln das andere Länder?
Laut einer Mitteilung des Arbeitskreises Blut am Robert Koch-Institut (RKI) gilt ein einjähriges Spende-Verbot nach dem Sex zwischen Männern unter anderem auch in den USA, Australien, Tschechien, Großbritannien, in Frankreich oder in den Niederlanden. In Spanien müssen sechs Monate nach dem letzten "Partnerwechsel" vergangen sein. In Italien genügt eine individuelle Risikobewertung.
Allerdings gibt es auch dort jetzt ein Umdenken: Großbritannien und Kanada haben 2017 beziehungsweise 2019 die Rückstellung auf drei Monate reduziert. Frankreichs Gesundheitsminister hat bekanntgegeben, die Rückstellung von zwölf auf vier Monate reduzieren zu wollen. In Dänemark soll bei in monogamer Partnerschaft lebenden Spendern gar keine Rückstellung mehr erfolgen. Japan praktiziert eine Rückstellung von sechs Monaten. Italien, Portugal, Spanien und Südafrika wenden Regelungen an, nach denen nicht die sexuelle Identität, sondern das konkrete Sexualverhalten - von homosexuellen und heterosexuellen Männern und Frauen - maßgeblich für die Spenderprüfung ist. In Israel wurde 2018 im Rahmen eines Pilotprojekts ein sogenanntes Doppeltestverfahren eingeführt. Danach wird das Plasma aus Blutspenden homosexueller Männer vier Monate lang eingefroren. Nach diesem Zeitraum wird der Spender erneut auf Infektionskrankheiten getestet. Wenn er gesund ist, wird die eingefrorene Blutplasmaspende rückwirkend freigegeben.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. Juni 2020 | 07:00 Uhr
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