Lichtshow bei der Kulturarena Jena
Jahr für Jahr feiern Tausende Besucher bei der Kulturarena in Jena rauschende Feste. Nur 2020 nicht; die Corona-Pandemie hat die Veranstaltungsbranche lahm gelegt. Bildrechte: Christoph Worsch

Neue Allianz Bevor das Licht ausgeht: Veranstaltungsbranche sendet Hilferuf

29. Juli 2020, 12:06 Uhr

Während Hotels und Gaststätten schon längst wieder geöffnet haben und selbst Flugzeuge starten dürfen, stehen in der Veranstaltungswirtschaft noch immer alle Räder still. Die Umsätze sind nicht nur eingebrochen, sie wurden praktisch ausradiert. Im Freistaat hat sich nun eine Allianz der Thüringer Veranstaltungswirtschaft zusammengeschlossen, um auf ihre Not aufmerksam zu machen.

"Nicht systemrelevant - das ist das Unwort des Jahres für mich, was mir und unserer ganzen Branche sehr wehgetan hat", erklärt Jens Peterlein mit fast erstickter Stimme. Im Juni feierte sein Unternehmen "PVS Veranstaltungsservice" das 30-jährige Firmenjubiläum, wobei "feiern" in diesem Zusammenhang an Zynismus grenzt. Denn seit März gleicht die Stimmung bei PVS in Jena der einer Beerdigung. Die Corona-Pandemie, die viele im Alltag schon fast wieder vergessen haben, bringt die Thüringer Veranstaltungsbranche an den Rand des Ruins.

Bilanz ist desaströs: Umsatzrückgänge von 85 bis 100 Prozent

Stärker als die Veranstaltungshäuser, die vorsichtig die ersten kleineren Events im Freien wieder durchführen, trifft es dabei die Veranstaltungstechniker. Ihre Bilanz ist desaströs. Bei PVS brach der Umsatz seit März um rund 85 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein. PVS sorgt für die technische Betreuung bei Veranstaltungen. Die Firma baut Bühnen, verleiht und verkauft Veranstaltungstechnik und gibt technischen Support.

Gleiches gilt für Robert Wolf und seine Firma "Live Veranstaltungstechnik" aus Gebesee. Er hat seit fünf Monaten gar keine Aufträge mehr: "Monatlich habe ich durch Kredite, Leasingverträge und Personal Kosten von 20.000 bis 30.000 Euro - und seit März keinen Euro mehr umgesetzt." Seine Mitarbeiter sind in Kurzarbeit und aus der Corona-Soforthilfe habe er 70.000 Euro erhalten. Er selbst habe seit März kein eigenes Einkommen mehr und lebe vom Gehalt seiner Frau. Wenn nicht bald etwas passiert, müsse er seine Firma, die er erst im November 2019 übernommen hat, zum Jahresende schließen. 18 Jahre Firmengeschichte gehörten dann der Vergangenheit an.

"Der dunkelste Moment"

Eine weitere Thüringer Traditionsfirma, die von Corona bedroht ist, ist die "Adapoe Event- und Studiotechnik GmbH" aus  Weimar. Seit 1994 liefert die Firma die technischen Voraussetzungen für Events. Inzwischen betreut sie europaweit Großveranstaltungen und geht mit Künstlern auf Tournee. Geschäftsführer Thomas Adapoe zieht eine ähnlich verheerende Bilanz wie seine Kollegen: 92 Prozent Umsatzrückgang. Bis Ende August rechnet Adapoe mit einem Umsatzverlust von einer Million Euro.

Wir haben die Finanzkrise und manch anderes erlebt. Wir sind mit Sicherheit krisenerprobt, aber das ist der dunkelste Moment in unserer Firmengeschichte und für die gesamte Branche.

Thomas Adapoe

Allianz der Thüringer Veranstaltungswirtschaft

Die Not in der Veranstaltungsbranche ist so groß geworden, dass die Wettbewerber mehr und mehr zusammenrücken. Adapoe, Wolf und Peterlein sind der neu gegründeten "Allianz der Thüringer Veranstaltungswirtschaft" beigetreten, in der wohl alle Veranstalter, die in Thüringen Rang und Namen haben (zum Beispiel Jenakultur, die Messe Erfurt oder die Weimarhalle) vertreten sind. Sie wollen ihren Anliegen mit einer gemeinsamen Stimme mehr Ausdruck verleihen und bei der Politik Gehör finden.

Der Allianz geht es nicht darum, Forderungen zu stellen oder die Corona-Regeln infrage zu stellen. Im Gegenteil - wir wollen mit der Politik zusammen Lösungen erarbeiten und dabei unsere Erfahrungen als Veranstalter einbringen.

Thomas Adapoe, Sprecher der Allianz der Thüringer Veranstaltungswirtschaft

Sechstgrößter Wirtschaftszweig in Deutschland

Die Branche ist nämlich alles andere als "nicht systemrelevant". Die Veranstaltungswirtschaft ist mit rund 130 Milliarden Euro Umsatz der sechstgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland. Rund eine Million Arbeitsplätze hängen daran. Doch im Gegensatz zur Autoindustrie oder der Lufthansa habe die Branche ein Aufmerksamkeitsproblem, sagt Jens Peterlein und verweist auf die "Night of Light", die deutschlandweit zwar Schlagzeilen produzierte, aber keine Ergebnisse. "Wir wurden gesehen, aber nicht gehört", sagt Peterlein.

Bei den Überbrückungsgeldern steckt der Teufel im Detail

Die drängendsten Fragen der Allianz der Thüringer Veranstaltungswirtschaft betreffen die Finanzierungshilfen. Zwar sind vom Bund Überbrückungsgelder zugesichert, aber "der Teufel steckt auch hier im Detail", erklärt Thomas Adapoe, der auch Sprecher der Allianz ist. Das Eckpunktepapier beinhalte zahlreiche Einschränkungen, die viele Firmen nicht erfüllten. Unklar ist auch, wie die Betriebe Kredite und Leasingverträge bedienen sollen, wenn sie weiterhin nicht arbeiten können? Aktuell sind diese zwar gestundet, aber das ist nur eine kurzfristige Lösung. Der Vorschlag der Allianz sieht deshalb zinslose Darlehen vor, die die Thüringer Aufbaubank vergeben könnte.

Ganze Ausbildungsjahrgänge gehen verloren

Ein weiterer wichtiger Punkt auf der Agenda ist die Lage der Auszubildenden. Derzeit kann keine Firma neue Azubis annehmen, geschweige denn eine praktische Ausbildung gewährleisten. "Ich habe zwei Auszubildende im Unternehmen, die seit März nicht vorankommen. Und weil keiner neue Azubis einstellen kann, gehen ganze Ausbildungsjahrgänge verloren", erklärt Robert Wolf. Hinzu kommt, dass Azubis im Spätsommer, sobald die Schule wieder losgeht, zu einem Kostenfaktor werden. Sobald sie die Schulbank drücken, kann ihr Lohn nämlich nicht mehr als Kurzarbeitergeld fortgezahlt werden. Auch hier wünscht sich die Allianz eine Lösung, in der etwa die IHK oder die Arbeitsagentur einspringen und somit die Ausbildungsplätze retten könnte.

Veranstaltungsverbote und unterschiedlichste Hygienekonzepte

Und dann sind da noch die Veranstaltungsverbote, die in der Branche einem Berufsverbot gleichkommen. Bis zum 31. Oktober sind Großveranstaltungen untersagt, obwohl es Ansätze gibt, wie diese mittels Ticketing oder Corona-Test-Verfahren teilweise wieder möglich sein könnten. Außerdem fehlen seit Beginn der Corona-Pandemie klare Leitlinien, unter denen Veranstaltungen überhaupt stattfinden können. Stattdessen sind die Hygienekonzepte von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich. Gäbe es eine Richtlinie für Thüringen, dann wäre das schon mal ein Anfang - zumindest für kleinere Veranstaltungen.

Wenn das Licht ausgeht

An diesen und weiteren Punkten will die Allianz mitarbeiten, beraten und der Politik helfen, Lösungen zu entwickeln. "Ich kann verstehen, dass Politiker bei Corona auf Sicht fahren, aber wir brauchen eine Perspektive", sagt Jens Peterlein, dem die Situation nahegeht. "Jeden Tag kommen Mitarbeiter und Azubis zu mir und fragen mich, der das schon 30 Jahre lang macht: Jens, wie geht's denn weiter?"

Jens Peterlein zuckt dann mit den Schultern, denn wie es weitergeht, liegt nicht in seiner Hand. Andere entscheiden darüber, ob seine Firma, die er über 30 Jahre aufgebaut hat, den Betrieb im Jubiläumsjahr vielleicht sogar einstellen muss. Eine Firma, die für manche "nicht systemrelevant" scheint.

Wir alle tun unser Bestes, um der Gesellschaft etwas zu geben. Jeder Politiker muss sich darüber klar werden, dass es ohne uns keinen Ton und kein Licht gibt. Wenn ein Politiker ans Mikrofon tritt, dann muss das Mikrofon auch dastehen. Und wenn unser Licht ausgeht, dann steht da nichts mehr.

Jens Peterlein

Quelle: MDR THÜRINGEN

5 Kommentare

MAENNLEiN-VON-DiESER-WELT am 30.07.2020

Wie bitte ? ? - Nur 4 weitere Kommentare...? Sonst gar nix...?
Das enttäuscht mich jetzt aber echt... Dann kann es ja wohl
„so schlimm“ doch gar nicht sein in der Branche....?!

Es macht natürlich einen Unterschied, ob ich fester städtischer Angestellter eines Theaterhauses bin - oder ob ich mich mit den Damen und Herren der Straße im freien Markt selbst und ständig „bewege“(n muss)....

Wenn’s gut läuft, dann ist die freie Veranstaltungswirtschafts-Szene (sometimes
so-called: „Kreativwirtschaft“) „besser dran“ als der gemeine öffentlich-unter-bezahlte Stadt-Theater-Dienst.

Wenn’s aber nicht läuft - dann ist der öffentlich-rechtlich abhängig beschäftigte Künstler klar im Vorteil ! Was also wollen wir ? Sicherheit oder „wirklich frei sein“ - mit allen Vor- und Nachteilen, die dieser „schönste Beruf der Welt“ mit sich bringt....?!

Sorry,
abba mit „Wirtschaft“ hat det Janze - für misch - wirklisch nix zu tun ! Jahr nüscht !

„ Staatshaftungsrecht ? “ - nisch mei Bier !

Rasselbock am 29.07.2020

Ja, was wird wohl werden oder besser, was ist bereits unbemerkr geworden? Ich denke, die Antwort haben Sie schon gegeben. Der Preis ist, Corona hatalles verändert, auch das Kulturleben. Aber, was ist primär? Ist Kultur primär wenn Leute durch das Virus sterben? Fragen Sie doch mal die Leute die durch kurzsichtige Gewinnmaximierung diese Entwicklung mit forciert haben(Globalisierung). Natürlich werden sie sagen, sie seien daran nicht schuldig. Die Fähigkeit zur Einsicht erfordert Intelligenz. Sehen Sie diese bei diesen Typen?

Rasselbock am 29.07.2020

Man kann den Betroffenen nur den Rat geben: Umorientieren im Berufsleben, je schneller desto besser. Es ist vorbei mit den Grossveranstaltungen, das Virus bekommt man nicht mehr in den Griff, auch mit Impfung nicht. Proteste, Anleuchten von Gebäuden als Protestausdruck, all das wir nichts nützen. Veranstaltungsbranche der bisherigen Form, es ist vorbei.

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