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Freiflächen-PV in Thüringen: Überwiegend sind es Photovoltaikanlagen, die Bürgerenergie-Genossenschaften im Freistaat erreichtet haben. Bildrechte: IMAGO / Joerg Boethling

Zehn Jahre Bürgerenergie ThüringenEnergiewende in Thüringen: Bürger sollen nicht mehr nur Zuschauer sein

04. Juni 2023, 17:09 Uhr

Seit zehn Jahren hat Thüringen einen Dachverband für seine Bürger-Energie-Genossenschaften. Deren Geschäft ist seit der Gründung immer schwieriger geworden. Die Aktiven der Szene wollen vor allem eins: Strom aus eigenen Anlagen direkt und regional weiterverkaufen - ohne die Netze der großen Versorger.

von Lorene Gensel, MDR THÜRINGEN

Wenn eine Bürgerenergie-Genossenschaft nur noch einen Aktiven hat, dann ist sie kein Gemeinschaftsprojekt mehr. Die "Solidarische Energiegenossenschaft Thüringen eG Solide" mit Sitz in Bleicherode war kein gemeinsames Zukunftsprojekt von Bürgern mehr. Zehn Jahre nach ihrer Gründung wurde sie Ende 2022 aufgelöst.

Reinhard Guthke teilt das ganz nüchtern mit auf dem 7. Thüringer Bürger-Energie-Tag am Samstag in Altenburg. Aber es ist der traurigste Fakt in der Zehn-Jahres-Bilanz des Dachverbandes, der vor zehn Jahren von optimistischen Bürgern mit viel Elan gegründet wurde. Auch aus Bleichrode. Und Guthke ist seit dieser Gründung Vorsitzender des Dachverbandes.

Anzahl der engagierten Mitstreiter nicht gewachsen

Im Juni 2013 hatten sich die ersten Thüringer Bürger-Energie-Genossenschaften über den Dachverband vernetzt. Er informiert Interessierte über alle Möglichkeiten für Bürger, sich am Ausbau der Erneuerbaren in Thüringen zu beteiligen. Und ermuntert sie, sich vor Ort eben in Genossenschaften zusammenzutun, um die Energiewende mitzugestalten und so demokratischer zu machen. Nach zehn Jahren engagierter Arbeit fällt vor allem auf: Der Kreis der Engagierten ist überschaubar geblieben.

Knapp über dreißig Energiegenossenschaften haben sich bisher in Thüringen gegründet. Viele blieben bei dem, was möglich war: Mitglieder und damit Anteilseigner gewinnen, die investieren möchten. Zwischen 500 und 1.000 Euro kostet ein Bürgerenergie-Genossenschaftsanteil in Thüringen. Dann Standorte finden für Anlagen, Planen, Bauen. Überwiegend sind es Photovoltaikanlagen, die Thüringens Bürgerenergie-Genossenschaften erreichtet haben. Über die gesetzlich garantierte Vergütung für den ins Netz eingespeisten Strom ließen sich die Investitionen refinanzieren. Eingebrachte Anteile warfen und werfen so Gewinne ab.

Thomas Winkelmann (Vorstand) und Vorsitzender Prof. Reinhard Guthke werfen beim 7. Thüringer Bürger-Energie-Tag einen Blick auf zehn Jahre Bürgerenergie-Genossenschaft. Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Eigenes Stromprodukt brauchte langen Anlauf

Da, wo mehr Ehrgeiz im Spiel war, war auch mehr Engagement notwendig. Einige wenige Enthusiasten wollten schon 2013 den Strom aus den Anlagen der Thüringer Genossenschaften über ein eigenes Produkt in den Strommarkt bringen. Als "Thüringer Landstrom" sollte es den Thüringern die Möglichkeit geben, 100-prozentigen Ökostrom aus heimischen Bürgerprojekten zu beziehen.

Es zeigte sich allerdings schnell: Der eigenständige Stromhandel übersteigt die Kräfte der Bürgerenergie-Enthusiasten. Heute wird "Thüringer Landstrom" über die "Bürgerwerke eG" mit Sitz in Heidelberg verkauft - ein Stromhändler, der bundesweit Bürger-Ökostrom von 116 Energiegemeinschaften einkauft und anbietet. Als schwer umzusetzen erwiesen sich über die Jahre auch Bürgerwindräder. Komplizierte Ausschreibungen, lange Genehmigungsverfahren und die aufwendige Suche nach geeigneten Partnern - die Hürden summierten sich. Bürgerbeteiligung an Windrädern gibt es aktuell nur im Windpark Uthleben in Nordthüringen.

Das Interesse an einer regionalen und preiswerten Versorgung aus Anlagen vor Ort ist an vielen Stellen da.

Thomas Winkelmann, Mitglied im Vorstand des BürgerEnergie Thüringen e.V.

Genossenschaften wollen ihren Strom selbst verkaufen

Derzeit sind zwölf Thüringer Bürgerenergie-Genossenschaften Mitglieder im Dachverband. Und Reinhard Guthke als dessen Vorsitzender beobachtet: Die großen Veränderungen an den Energiemärkten seit Ausbruch des Ukraine-Krieges lassen das Interesse von Bürgern an Energieprojekten, die unabhängig sind von den etablierten Versorgern, langsam steigen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Frage: Wie können Bürger und auch interessierte Kommunen ihren Ökostrom regional, auf kurzem Weg und zu einem günstigen Preis direkt im Umfeld ihrer Anlagen verkaufen? Ihre Mitglieder, ihre Nachbarn, ihre Gemeinde quasi "übern Zaun" versorgen, ohne dabei die großen Netze nutzen zu müssen? Mit kurzen Versorgungswegen die Netze schonen und so die Stromkosten senken?

Lösung für Direktverkauf zumindest angeschoben

Energy Sharing heißt dieses Konzept, über das Bürger die Energiewende mitgestalten, indem sie Strom unmittelbar handeln und nicht anonym ins große Netz einspeisen. Die Ampelkoalition hat Energy Sharing in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Guthke persönlich hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf einer Konferenz im letzten Herbst gefragt, wann der die gesetzlichen Hürden dafür abschaffen will. Und als der ziemlich perplex auf eine spätere Antwort vertröstete, schob Guthke eine Bundesratsinitiative mit an. Ende März diesen Jahres bekam Thüringen Energieminister Bernhard Stengele die Stimmen aller Bundesländer für den Vorstoß des Freistaats.

Wachsende Anforderungen sind für Ehrenamtliche zu viel

Während im Bundeswirtschaftsministerium trotzdem noch nichts entschieden ist, häufen sich neuerdings die Anfragen beim Dachverband "Bürgerenergie Thüringen". Thomas Winkelmann, Mitglied im Vorstand und außerdem Mitbegründer der Bürgerenergie-Genossenschaft Saale-Holzland, sagt: "Das Interesse an einer regionalen und preiswerten Versorgung aus Anlagen vor Ort ist an vielen Stellen da. Jetzt braucht es aktive Bürger, die andere mitnehmen und die Projekte Realität werden lassen. Doch das ist inzwischen längst nicht mehr so einfach wie 2013. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Wer hier etwas bewegen will, braucht Kompetenzen in den Bereichen Betriebswirtschaft und Anlagentechnik. Die ehrenamtlichen Mitglieder der Thüringer Bürger-Energie-Genossenschaften sind - neben Job und Familie - damit meist überfordert. Hier müssen wir professioneller werden."

Bitte um Fachberatung durch Landesenergieagentur

Winkelmanns Bürgerenergie-Genossenschaft Saale-Holzland arbeitet inzwischen mit der Genossenschaften Ilmtal e.G. zusammen. Gemeinsam finanzieren sie eine Fachkraft. Andere Genossenschaften können sich hier Hilfe holen, doch die Ressourcen sind begrenzt. Deshalb bekam Thüringens Energieminister Bernhard Stengele bei seinem Besuch auf dem 7. Thüringer Bürger-Energie-Tag die dringende Bitte mit auf Weg: Das Land möge bei der Thüringer Energie- und Greentec-Agentur ThEGA eine Stelle schaffen für einen Mitarbeiter, der zum Thema Bürgerenergie berät. Die Zahl der Anfragen an den Dachverband und bei den Genossenschaften sei von den Ehrenamtlichen einfach nicht mehr zu stemmen, hieß es. Stengele stellte zumindest in Aussicht, dass die ThEGA im neuen Haushaltsjahr mehr Geld bekommen soll.

Thüringens Energieminister Bernhard Stengele besuchte den 7. Thüringer Bürger-Energie-Tag vom Dacherverband Bürgerenergie Thüringen e.V. Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Thüringen plant eigene Regeln für Beteiligung der Bürger

Die Bürger über eigene Investitionen in eigene Projekte und über unabhängigen Stromhandel unmittelbar an der Energiewende beteiligen und sie mitgestalten lassen - das ist das eine. Stengele will aber über ein Windenergie-Beteiligungsgesetz die Möglichkeiten ausweiten, Bürger auch mittelbar an der Produktion von Windstrom vor ihrer Haustür teilhaben zu lassen. Etwa dann, wenn ihnen das Geld für Anteile an einer Genossenschaft fehlt.

Anlehnen soll sich Thüringen dabei an den Paragrafen 6 des Erneuerbaren Energien-Gesetzes. Darin ist geregelt, dass Windfirmen jenen Kommunen, in deren Gemarkung ein oder mehrere Windräder gebaut werden, pro erzeugte Kilowattstunde, die aus den Anlagen tatsächlich ins Stromnetz fließen, bis zu 0,2 Cent zahlen dürfen. Stengele stellt sich vor, dass Thüringen diesen Betrag aufstockt auf 0,3 Cent. Und dass Firmen, die Bürgern und Kommunen keine direkte finanzielle Beteiligung an ihren Windparks anbieten, sogar 0,5 Cent pro Kilowattstunden zahlen sollen.

Wertschöpfung soll nicht weiter abfließen

Bei den Aktiven der Thüringer Bürgerenergie-Genossenschaften kam dieser Vorschlag am Samstag gut an. Jede Unterstützung, die die Szene bekommen kann, ist im Moment hochwillkommen. Thüringen gehört zu den Bundesländern mit einer vergleichsweise geringen Quote von Windrädern, deren Eigentümer vor Ort sitzen. Und hier Steuern zahlen. Es geht im Freistaat nicht nur darum, mit mehr Bürgerbeteiligung die Energiewende demokratischer zu machen. Der weitere, sehr deutliche Ausbau der Windenergie bietet ein riesiges Potential an Wertschöpfung. Die Herausforderung für die Politik heißt: Alles tun, damit diese Wertschöpfung in den Regionen bleibt. Denn bisher ist der übergroße Teil der Thüringer bei der Energiewende vor allem eins: Zuschauer.

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MDR (thk)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 04. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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