Fakt ist! aus Erfurt Wie wollen wir arbeiten - TV-Debatte über Vier-Tage-Woche

21. März 2023, 01:37 Uhr

Vier Tage Arbeit, drei Tage frei? Klingt für manche nach Traum, für einige ist es bereits Realität. Ob die Vier-Tage-Woche auch zur Regel für alle werden kann, war am Montagabend Thema bei Fakt ist! aus Erfurt.

Grenzen, aber auch Chancen der Vier-Tage-Woche haben die Gäste in der MDR-Sendung Fakt ist! aus Erfurt am Montagabend diskutiert. Die von Anja Heyde und Lars Sänger moderierte Sendung zeigte durchaus, was sich in Betrieben und Einrichtungen alles ändern kann - und mit Blick auf künftige Herausforderungen vielleicht auch muss.

Arbeitgeberchef: Gesellschaft am Laufen halten

Die Thüringer Linke-Abgeordnete Lena Saniye Güngör und Sachsen-Anhalts Arbeitgeberchef Marco Langhof standen mit ihren Positionen stellvertretend für die Pros und Contras des Modells "vier Tage arbeiten, drei Tage frei".

Langhof zufolge ist der Zeitpunkt für diesen Schritt denkbar schlecht gewählt: Dass die Arbeitskräfte ausgehen, sehe man bereits jetzt an leeren Supermarktregalen und geschlossenen Kneipen. "Es ist eine Luxusdiskussion, die wir uns nicht leisten können." Erziehung der Kinder, Lehrer an Schulen, medizinische Versorgung und Pflege - es gehe darum, die Gesellschaft am Laufen zu halten, sagte er.

Die größten Umwälzungen stünden noch bevor, wenn pro Jahr 400.000 Wohnungen gebaut, 500.000 Wärmepumpen installiert und alle fünf bis sechs Tage ein Windrad aufstellt werden soll.

Auch Güngör sprach die qualifizierten Erwerbstätigen an, die dem Arbeitsmarkt bereits jetzt fehlen. Die Frage müsse aber lauten, wie der Wirtschaftsstandort Thüringen und Deutschland gestärkt werden könne. Und neben Tariflöhnen spiele da eben auch die Arbeitszeit eine Rolle, um attraktiv zu sein. "Die Vier-Tage-Woche könnte eine Lösung sein", sagte sie.

Für Güngör laute daher die Frage, wie lange sich eine Gesellschaft noch eine Fünf-Tage-Woche leisten kann. Allein durch den hohen Krankenstand gebe es einen enormen Verlust an Wirtschaftskraft. In den vergangenen 20 Jahren hätten sich die Fälle stressbedingter Krankheiten geradezu verdreifacht.

Mehrheit befürwortet Vier-Tage-Woche bei MDRfragt

Das Modell der Vier-Tage-Woche wird derzeit heiß diskutiert. Manche Unternehmen haben es bereits freiwillig eingeführt. Die Linke fordert es bundesweit. Auftrieb bekommt die Diskussion auch durch viele jüngere Beschäftigte, die sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit wünschen.

Vorab fragten wir bei MDRfragt unsere Nutzerinnen und Nutzer, ob sie der gesetzlichen Einführung einer Vier-Tage-Woche zustimmen. 59 Prozent waren dafür, 33 Prozent lehnten dies ab. Auffällig: Je jünger die Befragten waren, desto eher waren sie für die Einführung.

Einführung Vier-Tage-Woche
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Rentner stimmten mehrheitlich gegen eine Vier-Tage-Woche. Die Älteren gehörten noch zur Generation "Alleinernährer", begründete Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) die Kluft. Zudem hätten diese nicht miterlebt, was Corona für die Arbeitswelt bedeutete und was möglich ist.

Aktuell Beschäftigte hätten dagegen sehr wohl erfahren, was sich alles geändert hat. Doch was heißt "Vier-Tage-Woche" eigentlich genau? Weber gab einen kurzen Überblick über die verbreitetsten Modelle:

  1. Beschäftigte arbeiten vier Tage bei unveränderter Wochenstundenzahl. Das hätte zur Folge, dass die tägliche Arbeitszeit auf neun bis zehn Stunden verlängert wird.
  2. Die Arbeitszeit wird reduziert, beispielsweise auf eine 32-Stunden-Woche. Das Gehalt bleibt gleich wie bei einer 38- oder 40-Stundenwoche.
  3. Die Arbeitszeit wird reduziert, im gleichen Atemzug wird allerdings auch das Gehalt gekürzt.

Die Sendung zeigte durchaus, dass eine Diskussion allein über Stundenanzahl und Wochentage der Vielfalt der Arbeitswelt, der Branchen, ihren Beschäftigten und Arbeitgebern nicht gerecht wird. Das zeigten allein die im Publikum zu Wort kommenden Gäste und deren Tätigkeiten.

Skepsis gegenüber Vier-Tage-Woche

Gerade da, wo bereits jetzt Arbeitszeiten nicht immer starr eingehalten werden können, gab es auch bezüglich einer Vier-Tage-Woche Skepsis. Der ehemalige Thüringer Polizeibeamte Hans-Peter Goltz erklärte, dass Zwölf-Stunden-Schichten im "Knochenjob" eines Polizisten öfter vorkommen.

Dirk Kirchner, Mitarbeiter der Abfallwirtschaft Schmalkalden, sagte: Der Müll müsse eben abgeholt werden, das dauere auch mal zehn Stunden pro Tag. Das Unternehmen von Marcus Cramer in Geschwenda ist Weltmarktführer für Kunststoffschlitten. Da er stark auf Onlinehandel setze, müsse eben dann geliefert werden, wenn die Bestellungen eintreffen.

Maximilian Stiebling aus Bad Tabarz im Kreis Gotha hob seine Bäckerei hervor. Anders als zu erwarten, beginnt die Arbeitszeit dort nicht mitten in der Nacht, sondern morgens um 6 Uhr. Moderne Kältetechnik sowie Öfen machten es möglich. Um 7 Uhr gebe es die ersten Waren, nur Brot noch nicht.

Doch genau das sei das Problem: Brot sei um diese Uhrzeit nicht unbedingt nötig. Teilweise herrschten noch "manifestierte Denkprozesse", sagte er. Um sein Geschäft zu führen, müsse Stiebling flexibel agieren, auch um Mitarbeiter zu finden. Zu viel politische Einmischung sei da gefährlich, sagte der Bäckereichef.

Emoji-Tage im Eichsfeld

In puncto Vier-Tage-Woche gab Rocco Funke die Erfolgsgeschichte seines kleinen Handwerksunternehmens im Eichsfeld zum Besten. Im Sommer 2021 führte er das neue Modell ein - 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich - und stellte die "emotionale Gesundheit vor den Gewinn", wie er sagte. Ergebnis sei, dass sein Geschäft jetzt 50 Prozent mehr Umsatz erwirtschafte. "Wir sind effizienter", sagte er. Doch das gehe nur mit Leuten, die gerne arbeiten. Funke änderte nicht einfach nur die Arbeitszeit, sondern er optimierte Prozesse, entwickelte eine neue Unternehmenskultur.

Zur allgemeinen Verblüffung erzählte Funke von "Emoji-Tagen" in der Firma. Viermal im Jahr könnten Mitarbeiter morgens einfach ein Emoji schicken und an diesem Tag freimachen. "Wertschöpfung durch Wertschätzung", nennt er es. Und der Chef? Der hat freitags jetzt nicht einfach frei, sondern könne da an der Firma und sich selbst arbeiten. Offenbar ist so eine Firma auch für Bewerber interessant. Für zwei Schwangerschaftsvertretungen habe es 60 Bewerbungen gegeben, berichtete der Unternehmer.

Wunsch zu mehr Flexibilität

Nicht nur in den Beispielen der Unternehmer, sondern auch über weite Teile der Sendung fiel immer wieder das Wort "flexibel". Sachsen-Anhalts Arbeitgeber-Präsident wünschte sich bei diesem Thema mehr Unterstützung aus der Politik. Alte Regeln sollten auf den Prüfstand gestellt und an die Lebenssituation der Menschen anpasst werden. Aber eben nur die Rahmenbedingungen, ohne zu straffen Eingriff. Die genaue Ausgestaltung gehöre in die Hände von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. "Ich bin zuversichtlich, dass wir das irgendwann erleben. Aber nicht von heute auf morgen", sagte er mit Blick auf ein Modell wie die Vier-Tage-Woche.

Die Thüringer Linke-Abgeordnete Güngür blieb bei einer gesetzlichen Regelung zur Vier-Tage-Woche. Denn auch wenn es die genannten Vorzeigeunternehmen gebe - Flexibilität bedeute eben auch die andere Seite, auf der Arbeitnehmer verlangten, noch nach 22 Uhr eine E-Mail zu beantworten. Man dürfe sich nicht nur überlegen, wo die Menschen gerne und gesund arbeiten, sondern auch "wie die Menschen zu uns kommen". Gerade auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt sei dies schwierig.

Arbeitsmarktforscher Weber wollte der ganzen Diskussion auch etwas Gutes abgewinnen. "Das Tolle ist, wir hatten noch nie so viele Fachkräfte." Von einer Massenarbeitslosigkeit sei man innerhalb von 20 Jahren zur Vollbeschäftigung gekommen. Jetzt seien die Arbeitskräfte so knapp wie zuletzt beim Wirtschaftswunder in den Fünfzigern.

Die Debatte um die Vier-Tage-Woche sollte man daher nicht nur als "weniger arbeiten" begreifen, sondern auch als Anstoß, um Gewohntes zu verändern. Vielleicht sollte Menschen auch die Möglichkeit gegeben werden, länger im Erwerbsleben zu bleiben, weil der Job sich besser mit dem Leben vereinbaren lässt, sagte Weber. Er sei zuversichtlich, dass Betriebe und Beschäftigte das alles zum Wohle aller hinbekommen.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 20. März 2023 | 22:10 Uhr

14 Kommentare

knarf am 22.03.2023

Peter Pan:Sie wissen doch genau das diese 4-Tagewoche nicht für alle gelten kann!Lassen Sie doch diejenigen die es testen wollen es versuchen.Testen bedeutet wenn das Ergebnis fest steht können die Betriebe festlegen ob es dabei bleibt oder nicht!

Anita L. am 22.03.2023

Lesen Sie doch einfach mal in einen der verlinkten Beiträge rein, in denen über Betriebe berichten, welche die Viertagewoche getestet haben. Und zu Ihrem zweiten Einwand: Ich als Teil einer vierköpfigen Familie hätte absolut gar nichts gegen eine Viertagewoche. Was soll das denn für negative Auswirkungen auf Verpflichtungen, die offenbar nur Familien haben, nach sich ziehen?

astrodon am 21.03.2023

@martin: Bezweifeln dürfen Sie das gerne, ohne christliche Kirche wäre der Sonntag nicht unser hauptsächlicher "Frei-Tag".
Die "völlig zergliederte Arbeitszeitverteilung" ist doch bereits länger Realität: ausser Sa/So-Arbeit kommen da ja noch diverse Arbeitszeitmodelle dazu - und das gemeinwesen muss damit klarkommen, wenn nur ein Teil der Menschen arbeitsfrei hat.

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