ArbeitsmarktPlakate, Kampagnen, Sprachkurse: Wie sich Thüringer Firmen um ausländische Mitarbeiter bemühen
Der Fachkräftemangel beschäftigt viele Thüringer Firmen. Im eigenen Land gibt es nicht genügend Auszubildende - in diesem Jahr standen laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit in Thüringen 12.000 offenen Lehrstellen etwa 7.000 Bewerber gegenüber. Fachkräfte aus dem Ausland sind für viele Betriebe daher zumindest ein Teil der Lösung. Aber sind die hier überhaupt willkommen? Eine ganze Reihe von Kampagnen will das demonstrieren - mehr oder weniger eindeutig.
Inhalt des Artikels:
- Befürchtungen und klare Bekenntnisse bei Jenoptik
- Politische Gespräche am Mittagstisch
- Kammern dürfen sich nicht auf bestimmte Parteien einschießen
- Wahlplakate können abschrecken
- Auf den ländlichen Raum müssen sich Bewerber vorher einstellen
- Arbeitgeber müssen mehr Zeit für Sprachkurse freischaufeln
- Firmenchef aus Greiz übernimmt Behördengänge
Wer in Jena-Göschwitz von der Autobahn abfährt, kann bei seiner Fahrt in Richtung Stadtzentrum die Debatte in einer Minute Fahrt aufnehmen. Erst grüßt die Kampagne "Thüringen? Wir sind's", getragen unter anderem vom Verband der Wirtschaft Thüringens. Vier Köpfe lachen vom Plakat. Einer davon gehört dem Personaldienstler Eckhard Monninger. Er wird zitiert mit: "Ich beobachte die letzten 13 Jahre eine dynamische positive Gehaltsentwicklung und steigende Anzahl attraktiver Stellenangebote. Das spricht für ein erfolgreiches Thüringen."
Mitunter negative Grundstimmung aufbrechen
Das passt ins Bild der Kampagne, deren Selbstverständnis laut Internetpräsenz so aussieht, dass "extreme politische Positionen und Anfeindungen [...] unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität in Gefahr bringen [können]". Daher will man "den Stolz der Thüringerinnen und Thüringer wecken. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir uns nicht zu verstecken brauchen und viel besser sind, als wir glauben. Wir sind überzeugt: Nur im demokratischen Miteinander werden wir die anstehenden Fragen lösen und unsere Zukunft erfolgreich gestalten."
Im Gespräch mit einigen Institutionen, die die Kampagne tragen, kristallisiert sich heraus: Es geht darum, die mitunter höchst negative Grundstimmung im Land ein Stück weit aufzubrechen, auf positive Entwicklungen hinzuweisen.
Lesen kann das Zitat des Personaldienstleisters eigentlich nur, wer zufällig gerade im Stau steht - es ist zum Lesen im Vorbeifahren zu viel und zu klein gedruckter Text. Doch die Kampagne findet sich auch im Thüringer Privatradio. Beteiligt sind neben dem Verband der Wirtschaft unter anderem die Industrie- und Handelskammer Erfurt sowie die Handwerkskammer Erfurt und eine ganze Reihe von Unternehmern, die als Gesicht auftreten.
Befürchtungen und klare Bekenntnisse bei Jenoptik
Wer ein Stück weiterfährt, kann an einer Bushaltestelle ein großes Jenoptik-Plakat wahrnehmen. "Bleib offen!" ist der Leitspruch. Denn: "Wer sich abschottet, macht dicht." So hatte Jenoptik-Chef Stefan Traeger schon im Sommer 2023 argumentiert und gesagt, dass er sich Sorgen um das Erstarken rechtsextremer Kräfte in Thüringen mache. Damals noch ohne den Namen der AfD explizit in den Mund zu nehmen.
Kürzlich sagte er, der Chef eines international agierenden Technologie-Konzerns: "Wir brauchen die Europäische Union, wir brauchen ein weltoffenes Land, um weiter innovativ, kreativ und erfolgreich zu sein. Wir brauchen eine offene Gesellschaft und Toleranz. Meine persönliche Meinung ist: All das finde ich bei Herrn Höcke und der AfD nicht wieder."
Wir brauchen die Europäische Union, wir brauchen ein weltoffenes Land, um weiter innovativ, kreativ und erfolgreich zu sein.
Stefan Traeger | Jenoptik-Vorstand
Politische Gespräche am Mittagstisch
Auch deshalb hat das Unternehmen die Kampagne "Weltoffenes Thüringen" wesentlich mit angeschoben. Sportvereine, Sozialverbände, einige große und etliche kleine Unternehmen finden sich hier neben Kultureinrichtungen und Einzelpersonen als Unterstützer. Bei Instagram etwa finden sich zahlreiche Einträge mit Bekenntnissen zur Demokratie, zu Weltoffenheit, gegen Ausgrenzung von Minderheiten.
Auch Befürchtungen von ausländischen Mitbürgern, dass sich deutsche Geschichte wiederholen könnte. Für Jenoptik-Mitarbeiter, die ihn deshalb kritisieren, nimmt er sich nach eigener Aussage gebenüber MDR THÜRINGEN durchaus Zeit, etwa beim Mittagessen. Bleibt aber bei seinem Bekenntnis.
Für manche Thüringer Kammern ist das offenbar zu direkt. Es gibt auch nicht die Ansichten der Mitgliedsunternehmer wieder - denn von denen bekennen sich viele zur AfD, berichtet der Vertreter einer Thüringer Handwerkskammer, der anonym bleiben möchte. Und die Kammern seien vom Gesetz verpflichtet, das Gesamtinteresse ihrer Gewerbetreibenden wahrzunehmen.
Kammern dürfen sich nicht auf bestimmte Parteien einschießen
Klare Kante gegen bestimmte Parteien ist da quasi ausgeschlossen und wohl auch der Grund, dass sich ein Teil der Thüringer Kammern der allgemeinen Positiv-Kampagne "Thüringen? Wir sind's" angeschlossen haben und etwa auch die Südthüringer Industrie- und Handelskammer wieder eine eigene Kampagne fährt, die vor allem auf erfolgreiche Integrationsbeispiele verweist. Sofern manche Unternehmer in den Gremien der Kammern ein Problem haben, haben sie es aber für sich behalten.
Auch im Jenaer Süden findet sich nach der Vorbeifahrt an den Positiv-Plakaten das Kontrastprogramm. "Sommer. Sonne. Remigration" prangt auf dem AfD-Wahlplakat. "Wer überlegt, zum Arbeiten oder für die Ausbildung hierher zu kommen, nimmt so etwas natürlich wahr", sagt zum Beispiel Tim Plennies vom FKP Fachkräfteportal.
Wahlplakate können abschrecken
Wichtig sei, dass Unternehmer, die Mitarbeiter oder Auszubildende aus dem Ausland anwerben wollen, deutlich machen, dass sie jemanden wollen. Dass er oder sie willkommen sei. Und mit Problemen nicht allein dastehe. Damit lasse sich ein schlechter Eindruck, den man bei einer Recherche aus dem Ausland heraus bekommt, durchaus gerade rücken. Zumal es unter der Oberfläche auch in Westdeutschland jede Menge Ressentiments gebe.
Dass die politische Lage in Thüringen von Ausländern teilweise sehr genau beobachtet wird, bestätigt auch Florence Schmalz vom Projekt "Weltoffene Region Thüringen" an der Hochschule Schmalkalden. Die Schule hat in Thüringen den höchsten Anteil ausländischer Studierender, auch wegen vieler englischsprachiger Angebote.
Studierende fühlen sich nicht wohl oder willkommen
Im vergangenen Wintersemester waren es 42 Prozent. Und etwa die Hälfte kann sich gut vorstellen, im Land zu bleiben. Die andere Hälfte nicht. "Und da spielt eine Rolle, dass sich manche hier einfach nicht willkommen fühlen, etwa wegen ihrer Hautfarbe. Wieder andere haben ein Problem damit, dass im ländlichen Thüringen einfach zu wenig los ist, die Anbindung an die großen Städte zu schlecht ist."
Auf den ländlichen Raum müssen sich Bewerber vorher einstellen
"Dass wir hier ländlicher Raum sind, darauf habe ich unsere beiden künftigen Azubis aus der Türkei mehr als einmal hingewiesen", sagt Stephan Marek, Geschäftsführer der Mela Sensortechnik aus Mohlsdorf bei Greiz. Wer aus der Großstadt komme, der könne mit ländlichen Regionen oft wenig anfangen. Das ist auch aus anderen Betrieben zu hören, die zum Beispiel Vietnamesen angeworben haben.
Beim Speed-Dating der IHK übers Internet hat Marek die beiden Türken rekrutiert. Denn geeignete deutsche Bewerber hat es in diesem Jahr gar nicht gegeben - und einige Mitarbeiter gehen in absehbarer Zeit in Rente. Ihr Wissen soll nicht verlorengehen, sondern weitergegeben werden. Doch die Zuwanderung gestaltet sich schwierig, trotz "beschleunigtem Fachkräfteverfahren" bei der Ausländerbehörde reicht es wohl nicht, um pünktlich zum Ausbildungsbeginn hier zu sein. Obwohl für besseres Deutsch und ein Kennenlernen der Belegschaft besser wäre, wenn sie längst hier sind.
Arbeitgeber müssen mehr Zeit für Sprachkurse freischaufeln
Probleme, die es überall in Deutschland gibt, berichtet Tim Plennies von FKP. Neben den Debatten in der Gesellschaft kommt die Integrationsarbeit in den Unternehmen. Vor allem die sprachlichen Probleme würden oft unterschätzt. Auch weil Sprachkurse im Ausland oft eher auf eine Prüfung vorbereiteten als auf die Wirklichkeit. Er rät zu einem Jahr Zeit vom ersten Gespräch bis zum Arbeitsbeginn, das könne viele Probleme vermeiden.
Marek hat neben den Genehmigungsproblemen für seine neuen Azubis auch gute Erfahrungen gemacht. Mohammad Haider ist seit anderthalb Jahren dabei, ist vor acht Jahren aus Syrien gekommen und spricht inzwischen sehr gut Deutsch. Sein Uniabschluss ließ sich nicht nachprüfen, weil das Militär dort nicht auf Nachfragen deutscher Ämter antwortet.
Firmenchef aus Greiz übernimmt Behördengänge
Also musst er eine neue Ausbildung machen. "Die Firma weiß aber zu schätzen, dass ich eigentlich noch mehr kann", sagt er und lächelt, während er fertig produzierte Sensoren des Unternehmens prüft. "Inzwischen bringt er zu Firmenausflügen auch seine Frau mit", sagt Firmenchef Marek. Um Behördengänge seiner künftigen Azubis hat er sich gekümmert, ebenso um die Wohnungssuche. "Jetzt müssen wir mal sehen, ob die auch in ein paar Wochen noch frei sind."
"Am Ende zählen Taten, nicht Plakate"
Forscherin Schmalz weiß, dass viele Belegschaften skeptisch sind, wenn Ausländer ins Unternehmen kommen. "Denn die Einarbeitung und die Probleme damit übernehmen oft die Belegschaften und nicht so oft die Führungsebene." Und da spielt der Fachkräftemangel direkt mit hinein. "Viele Belegschaften sind ohnehin überlastet. Und dann kommen Probleme mit Sprache oder kulturellen Befindlichkeiten dazu, die einfach oft auftreten, wenn jemand aus dem Ausland neu hinzukommt."
Dass sich Unternehmer auf Plakaten zu Weltoffenheit bekennen, falle da nicht so sehr ins Gewicht. "Da geht's darum, dass sie dann bei alltäglichen Problemen ihrer Mitarbeiter auch Taten folgen lassen."
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MDR (gir,lou)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 25. Juli 2024 | 18:00 Uhr
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