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Die Glasindustrie verbraucht viel Erdgas. Und nicht alle können auf Strom umstellen. Bildrechte: imago/Rainer Weisflog

GaskriseReicht das Gas noch fürs Thüringer Glas?

04. Juli 2022, 05:00 Uhr

In Deutschland ist das Gas knapp. Und es dürfte noch weniger werden, wenn ab 11. Juli die regulären Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 beginnen. Eine Branche, die besonders viel Erdgas verbraucht, ist die Glasindustrie – viele Unternehmen sind beheimatet rund um den Rennsteig in Thüringen.

Carletta Heinz hat ein zerbrechliches Erbe angetreten. Sie leitet in dreizehnter Generation das Familienunternehmen Heinz Glas. Die Firma stellt im thüringischen Piesau Flacons her. Glutrot leuchtet die Schmelze in einer Wanne, die ihre besten Tage hinter sich hat.

Gaspreisanstieg sorgt für Umdenken in Glasindustrie

Als Energieträger nutzt Heinz Erdgas. Die Preise dafür liegen um ein Vielfaches höher als 2019. Und das, sagt Heinz, habe nun Konsequenzen: "Wir sind Überlebenskünstler in der Glasindustrie. Wir sind ja 400 Jahre alt. Aber wir sehen die Zukunft überhaupt nicht mehr in den fossilen Energieträgern." Man habe entschieden, am Standort in Piesau die Gaswanne einer Heißreparatur zu unterziehen – und sie dann durch zwei elektrisch betriebene Schmelzwannen zu ersetzen.

Heinz will Glas künftig mit Ökostrom schmelzen. Die Investition in die neuen Wannen soll rund 40 Millionen Euro kosten.

Wir wissen nicht, was passiert, wenn sich die Gasverknappung weiter zuspitzt.

Ralf Pieterwas, IHK Südthüringen

Aber nicht jeder Glashersteller kann einfach auf Strom umstellen. Und schnell geht es bei keinem. Deswegen sei die Versorgung der Branche mit Erdgas weiterhin wichtig, sagt Ralf Pieterwas von der IHK Südthüringen: "Wir wissen nicht, was passiert, wenn sich die Gasverknappung weiter zuspitzt." Wenn ein abrupter Gasstopp käme, müsste die Glasindustrie große Verluste hinnehmen.

Denn Glaswannen, erläutert Pieterwas, könnten nicht in der Nacht von ihren Energiequellen getrennt werden – das führe zum Verlust der Wannen und damit zum Verlust des Geschäfts.

7.000 Jobs in Thüringen betroffen

Gehen die Öfen aus, erstarrt das Glas in der Wanne, die damit verloren ist. In der Rennsteig-Region hingen 7.000 Jobs an der Glasindustrie, sagt Pieterwas.

Auch bei Steffen Meinel geht ohne Erdgas nichts. Seine Firma Pharmaglas fertigt in Neuhaus am Rennweg Ampullen, Gläschen und Röhrchen für die Medizinbranche. Er sagt: "Die Konsequenz, wenn wir stehen, heißt ganz einfach, dass wir für unsere ganzen Pharmaziekunden keine Verpackungsmaterialien, also keine Fläschchen mehr herstellen können." Die gesamte Gesundheitsversorgung hänge "mit dran". Meinel sagt, er vermute, dass man im schlimmsten Fall mit einer Reduzierung der Gasversorgung zu rechnen habe. Mit einem hundertprozentigen Stopp rechne er nur "im allerschlimmsten Ernstfall".

Noch ist die Auftragslage stabil

Bislang, sagt Carletta Heinz, hätten sich die Glashersteller rund um den Rennsteig tapfer durch die Energiekrise gekämpft. Die massiven Mehrkosten nicht nur bei Gas, sondern auch bei Strom, habe man an die Kunden weitergeben können. Diese zeigten Verständnis. Trotz höherer Preise sei die Auftragslage stabil. Noch.

Die Glasherstellerin schildert: "Ich mache mir schon große Sorgen, wenn wir das in den nächsten paar Monaten oder spätestens in einem Jahr nicht wieder auf ein normales Level gebracht haben, dass die Kunden sich dann an Wettbewerber im Ausland wenden." Und: Man stehe eben nicht nur im Wettbewerb mit Firmen in Europa, sondern weltweit.

Heinz hat ihre Firma erst vor zwei Jahren vom Vater übernommen, sie trägt Verantwortung für 3.000 Beschäftigte. Klar, sagt die Unternehmerin, habe sie sich ihren Start leichter vorgestellt. Doch sie wolle optimistisch bleiben. Nach Corona, Ukraine-Krieg und Energiekrise könne es doch eigentlich nur besser werden.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 04. Juli 2022 | 06:00 Uhr