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WohnungswirtschaftGasnotstand: Mieter und Vermieter vor finanziellen Engpässen?

22. Juli 2022, 05:00 Uhr

Der befürchtete Gasnotstand stellt Mieter und die Wohnungswirtschaft vor neue Herausforderungen. Eine Erhöhung der Nebenkostenvorauszahlungen und Sparmaßnahmen sind ratsam, so Verbandsdirektor der Wohnungswirtschaft Thüringen, Frank Emrich. Im Interview erklärt er, wie man sich vorbereiten kann und wo die Politik jetzt einschreiten muss.

Frage: Vor welche Herausforderungen stellt uns die Gas-Krise?

Antwort Frank Emrich: Das hatten wir noch nicht. Energiepreise, Baupreise, Inflation, Zinsanstieg, Kapazitätsengpässe, Lieferketten, alles ballt sich. Es ist eine neue Situation für uns alle, aber für die Wohnungswirtschaft und für die Vermieter insbesondere.

Haben Sie bereits Maßnahmen getroffen, um dem Gasnotstand entgegenzuwirken?

In den letzten zehn bis zwanzig Jahren haben wir intensiv energetisch saniert. Viele unserer Objekte sind gedämmt, haben neue Fenster bekommen und wir haben uns um die Dächer gekümmert. Wo wir eigene Heizungsanlagen haben wurde regelmäßig gewartet, damit die Leistungen zu dem passen, was im Haus abgerufen wird. Außerdem sind wir natürlich mit den Mietern im Gespräch, um Tipps und Hinweise zu geben, wie man sich klugerweise in der aktuellen Situation verhält.

Zur Person: Frank EmrichFrank Emrich ist Direktor des Verbandes der Wohnungswirtschaft Thüringen. Gegründet als Fach-, Berufs- und Interessenverband für die Wohnungswirtschaft im Freistaat, werden heute über 260.000 genossenschaftliche und kommunale Wohnungen durch die Wohnungsunternehmen bewirtschaftet. Emrich vertritt die Interessen des Verbands und seiner Mitglieder in allen Bereichen und Ebenen der Politik und der Wirtschaft.

Was würden Sie Ihren Mietern aktuell empfehlen?

Im Frühjahr sind wir auf unsere Mieter zugekommen und haben vorgeschlagen, die Vorauszahlungen für die Heizkosten zu verdoppeln. Unserer jetzigen Einschätzung nach wird dies nicht reichen. Wir gehen eher von einer Verdreifachung und in der Spitze von einer Vervierfachung aus, sodass es klug ist, eine weitere Erhöhung der Vorauszahlung vorzunehmen und auf den Vermieter zuzugehen. Und jeder kann an seinem Verhalten arbeiten: Wie lüfte ich? Habe ich den ganzen Tag das Fenster gekippt oder mache ich mal fünf Minuten Stoßlüften? Jedes Grad weniger an Raumtemperatur erspart etwa sechs Prozent Energie und wie viel Warmwasser man in Anspruch nimmt, hat man ja selbst in der Hand. Wir haben nicht die eine Maßnahme. Das ist die Summe der kleinen Maßnahmen.

Trotzdem geht es für die Mieter um hunderte Euro mehr - Was passiert, wenn die Mieter die erhöhten Nebenkosten doch nicht bezahlen können? Droht dann eine schnelle Kündigung?

Wir sind als sozial orientierte Vermieter unterwegs. Wohnungsgenossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften werden im Sommer nächsten Jahres, wenn die Nachzahlungen in den Briefkästen liegen und jemand sich das nicht leisten kann, nicht sofort kündigen. Wir werden über Ratenzahlungen sprechen und an öffentliche Stellen vermitteln. Aber irgendwann muss die Zahlung geleistet werden.

Wie viele Mieter könnten wegen der zu hohen Gaskosten in Schwierigkeiten geraten?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist das eine schwierige Frage. Wenn wir versuchen uns dem zu nähern, würde ich von etwa zehn Prozent der Mieterinnen und Mieter ausgehen.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Im ersten Schritt haben wir die öffentlichen Stellen, beispielsweise das Wohngeld oder die Übernahme von den Kosten der Unterkunft. Unsere Forderungen als Wohnungswirtschaft deutschlandweit ist, dass es Härtefallfonds gibt wie zu Corona-Zeiten. Der war vorbereitet für die Menschen, die es sich nicht leisten konnten und den kann man wieder reaktivieren. Dann ist man ein Stück weit vorbereitet auf Bundesebene. Wir sind sehr intensiv mit der Politik im Gespräch und wir sind optimistisch, dass es da zu einer Lösung kommt. Noch haben wir ein bisschen Zeit, aber es ist dringender Handlungsbedarf! Auch bei den Wohnungsunternehmen wird es dazu kommen, dass wir Liquiditätsunterstützung brauchen, um den Faden der Energieversorgung nicht abreißen zu lassen.

Wie könnte es dazu kommen? Haben Sie ein Beispiel?

Wenn ein Wohnungsunternehmen tausend Wohnungen hat, dann hat es 60.000 Euro im Monat an Abschlag für diese Wohnungen an den Fernwärmeversorger zu zahlen. Das sind im Jahr 720.000 Euro, die das Wohnungsunternehmen vorab leistet und die dann an Betriebskosten zurückgefordert werden. Die Fernwärme vervierfacht sich in ihrem Preis – somit kommen wir von 60.000 Euro auf 240.000 Euro und im Jahr dann auf rund 2,7 Millionen Euro, die an Vorleistungen gebracht werden. Diese Situation nimmt ungeplant große Mengen von Liquidität in Anspruch, die wir nicht dauerhaft leisten können.

Welche Lösung sehen Sie für diese Situation?

Wir brauchen ein Instrumentarium für die Wohnungsunternehmen, die möglicherweise einen Liquiditätsbedarf haben, um die Vorauszahlungen an die Energielieferanten zu realisieren.  Beispielsweise in Form von Bürgschaften oder staatlichen Fonds. Eine Flexibilisierung des Betriebskostenrechts würde dazu führen, dass die Vorauszahlungen an die jetzigen Preise schneller angepasst werden dürfen. Dies würde die Geschwindigkeit dessen, was um die Mieterinnen und Mieter herum passiert, auch abbilden. Wenn man das gesellschaftlich insgesamt betrachtet, dann hat jede Gruppe berechtigte Ansprüche und ich frage mich auch: Wo soll das Geld alles herkommen?  Es braucht erhebliche Reserven und Mittel, die da gebunden werden. Das wird den Staat viel Geld kosten. Und es wird lange dafür sorgen, dass wir uns anderes nicht leisten können.

Quelle: MDR exakt/ lk/ mpö

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