KriminalitätGeldautomat gesprengt: So reagieren Banken und Sparkassen in Thüringen auf Raubzüge
Der klassische Banküberfall mit Maske und vorgehaltener Waffe kommt in Deutschland nur noch selten vor. Aufgesprengte Geldautomaten sind die moderne Variante des Bankraubs, so zynisch könnte man es formulieren. Bis Ende Oktober waren es bundesweit fast 400 aufgesprengte Automaten - in Thüringen in diesem Jahr bisher sieben. Selbst ohne Beute ist der angerichtete Schaden bei solchen Sprengungen gewaltig und geht in die Millionen. MDR THÜRINGEN beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
- Durch die Sprengung von Geldautomaten entstehen Schäden an Gebäude und Infrastruktur in Millionenhöhe. Zum Glück wurde bisher niemand verletzt.
- Für die Betreuung der Kunden werden Übergangslösungen gefunden, bis die Schäden an den Filialen behoben sind.
- Zur besseren Sicherung der Geldautomaten können Alarmanlagen oder längere Schließzeiten der Filiale helfen.
Was passiert bei Automatensprengungen?
Zuletzt hat es am 11. November lange vor dem Morgengrauen im Jenaer Stadtteil Lobeda-West gekracht. Der Geldautomat einer großen Privatbank wird zerfetzt, die Räume rundherum gleich mit. Minuten später fallen mehrere Schüsse, ein Verdächtiger wird von der Polizei noch vor Ort festgenommen. Er sitzt bis heute in Untersuchungshaft. Seine beiden Komplizen entkommen.
Zuvor traf es eine Sparkassen-Filiale in Elxleben am Nordrand von Erfurt. Drei Personen brechen die Vordertür der Filiale auf, die direkt neben einem Supermarkt steht. Sie durchbrechen auch eine zweite Tür und gelangen so hinter den Geldautomaten der Filiale. Der Sprengstoff deckt einen Teil des Dachs ab, viele Scheiben und Glastüren gehen zu Bruch, die Mauern bekommen Risse. Von den Tätern fehlt jede Spur.
Welche Schäden entstehen?
Hier muss unterschieden werden zwischen dem sogenannten Beuteschaden und dem Schaden an betroffenen Gebäuden. "Da ist Festsprengstoff verwendet worden", sagt David Maisel, Sprecher der Sparkasse Mittelthüringen zum Fall Elxleben, der seine Sparkasse betrifft. "Die Druckwelle hat Wände, Inventar, Gebäude und Dach erheblich beschädigt." Inzwischen ist immerhin klar, dass das Gebäude nicht abgerissen und neu gebaut werden muss.
Dennoch sind außer dem Gebäude auch Kontoauszugsdrucker, Geldautomat und weitere Technik zerstört worden. Zudem hat es ausgerechnet in der Nacht des Überfalls heftig geregnet, so dass durch das kaputte Dach eingedrungenes Wasser weitere Schäden verursacht hat. "Nach aktuellen Schätzungen beläuft sich der Schaden am Gebäude auf mehr als eine Million Euro", sagt Maisel.
Bis zum Wiederaufbau wird es nach Angaben der Sparkasse wenigstens ein halbes Jahr dauern. In Jena will die betroffene Bank keinerlei Angaben zur Sache machen, aber auch hier sind die Räume der Bank verbarrikadiert.
Von den bundesweit knapp 400 Fällen bis Ende Oktober sind nach Erkenntnissen der Landeskriminalämter 250 mit Festsprengstoff verübt worden. Jahrelang wurde meist Gas eingeleitet, das zur Explosion gebracht wurde. Doch der Anteil dieses Vorgehens ist rückläufig, ist auch aus dem Thüringer Landeskriminalamt zu erfahren.
Durch den Festsprengstoff werden die Schäden an den Gebäuden größer. Die massiven Schäden führen aber auch dazu, dass es schwieriger wird, geeignete Räume zu mieten. Das bestätigt auch die Sparkasse Mittelthüringen. Mitunter haben die Häuser mit Geldautomaten auch Bewohner in den oberen Stockwerken. Zum Glück: Personenschäden hat es nach Erkenntnissen des Landeskriminalamts bisher keine gegeben - vom Schock für Mitarbeiter oder Anwohner, die die Explosionen hören, einmal abgesehen.
Welche Banken sind betroffen?
Das Landeskriminalamt bestätigt, dass von den Sprengungen oft Automatenstandorte betroffen sind, die verkehrsgünstig zu erreichen sind. Das heißt in solchen Fällen: Der Weg zu großen Straßen, über die man schnell in verschiedene Richtungen entkommen kann, ist kurz.
Das war etwa in Elxleben der Fall. Von der Sparkasse bis zur mehrspurigen Bundesstraße 4 sind es nur wenige hundert Meter, die Autobahn ist kaum zwei Kilometer entfernt. Aus anderen Bundesländern wurden sogar Fälle berichtet, bei denen die Täter auf der Autobahn zu schnell für den Polizeihubschrauber waren.
Der Geldautomat in Jena ist ebenfalls weniger als einen Kilometer von der Autobahn entfernt - allerdings gab es durch die Lage am Rand einer großen Siedlung mit Elfgeschossern auch Zeugen.
Tatsächlich gibt es auch nach Erkenntnissen der Polizei einen Schwerpunkt im eher ländlichen Raum oder an Stadträndern, so dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken häufiger betroffen sind, während sich andere Geschäftsbanken aus diesen Räumen häufig schon zurückgezogen haben.
Wie werden die Kunden anschließend betreut?
Das ist unterschiedlich. In Jena etwa macht die Bank auf Nachfrage keine Angaben, wie es weitergeht. Allerdings gibt es in der Innenstadt eine Filiale des Geldinstituts. Der Selbstbedienungsbereich im Gebäude eines Supermarkts in Lobeda-West ist aber von der Internetseite des Unternehmens verschwunden.
In Elxleben haben die Mitarbeiter der zerstörten Filiale Unterschlupf in den Räumen der Agrargenossenschaft gefunden. Die sind zwar nicht auf dem neuesten Stand, aber Auszüge drucken und Beratungsgespräche sind hier kein Problem. Zum Geld abheben hat die Sparkasse eine Vereinbarung getroffen, dass der Automat der Volksbank gleich nebenan vorübergehend kostenlos mitgenutzt werden kann, bis die Filiale wieder eröffnet werden kann.
Wer sind die Täter?
Beim Landeskriminalamt in Erfurt werden die Erkenntnisse in diesen Fällen gesammelt. Der in Jena am 11. November festgenommene holländische Staatsbürger ist durchaus typisch. Ganz offiziell schreibt das LKA auf Anfrage von MDR THÜRINGEN: "Die ermittelten Tatverdächtigen sind in der Mehrzahl deutscher und niederländischer Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2016 konnte eine polnische Tätergruppe zerschlagen werden."
Der Fachbegriff für die Serie von Geldautomaten-Sprengungen lautet "schwere strukturelle Kriminalität". Zur organisierten Kriminalität fehlt die Einflussnahme auf die Politik. Zudem bekämpfen sich die Gruppen nach Erkenntnissen der Polizei nicht gegenseitig.
Die spezialisierten Täter seien durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen etwa in den Niederlanden aber dort weniger erfolgreich - und daher nach Deutschland ausgewichen. Der Schwerpunkt für die weit mehr als 1.000 Fälle seit Beginn 2020 liegt klar in westdeutschen Ländern. Thüringen ist vergleichsweise wenig betroffen. Dennoch: 43 Sprengungen seit Anfang 2016 sind keine Kleinigkeit.
Welche Beute machen die Täter?
Das ist schwer zu erfassen. Allgemein wird darüber nur ungern gesprochen. Ist ein Geldautomat zuvor ausgespäht worden und wurde vor der Sprengung frisch befüllt, kann die Beute beträchtlich sein. Für Elxleben gibt die Sparkasse an, der Schaden am Gebäude habe die Beute wenigstens um das zehnfache übertroffen. In einigen Fällen gelingt es den Tätern auch nicht, den Geldautomat zu öffnen.
Gibt es Lösungsvorschläge der Banken oder Behörden?
Erst Anfang des Monats dikutierten Vertreter der Branche am "Runden Tisch Geldautomatensprengungen" im Bundesinnenministerium verschiedene Vorschläge zur Sicherung. So sollen Automaten flächendeckend von 23 bis 6 Uhr morgens nicht mehr zugänglich sein, um den Zugang für die Täter zu erschweren.
Eine Maßnahme, von der die Sparkasse Mittelthüringen sagt, sie sei längst umgesetzt - sogar mit längeren Schließzeiten. Zudem sollen die Räume mit den Geldautomaten mit Vernebelungssystemen und besseren Alarmanlagen ausgestattet werden. Die Geldscheine sollen zudem entweder mit Farbe oder Klebstoff unbrauchbar gemacht werden, sofern ein Automat aufgesprengt wird. "Das erhöht natürlich nochmal die Kosten für die Bereitstellung der Infrastruktur", sagt Sparkassen-Sprecher Maisel.
Wird es weiterhin Geldautomaten geben?
Bargeld ist ohnehin schon ein teurer Spaß. Scheine müssen fälschungssicher hergestellt sein und werden immer wieder auf Echtheit überprüft. Transportiert werden sie von Sicherheitsunternehmen. Die Automaten sind heute schon teure Technik - und werden längst auch für die Geldausgabe durch die Mitarbeiter genutzt. Einen Tresor gibt es oft nicht mehr - die Funktion übernimmt der Automat mit.
Doch wenn Menschen immer öfter bargeldlos zahlen und die Geldautomaten weniger genutzt werden, lohnt ihr Unterhalt immer seltener. Mit steigenden Kosten durch Sicherheitsmaßnahmen wird dieser Trend noch verstärkt. Das könnte auch aus Sicht der Sparkasse Mittelthüringen dazu führen, dass das Netz von Filialen und Automaten weiter ausgedünnt wird, wenn Kontoführungsgebühren der eigenen Kunden und Abhebungsgebühren von Fremdkunden nicht mehr ausreichen, um die Kosten zu decken.
MDR (fra)
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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 24. November 2022 | 19:00 Uhr
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