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Schutz vor dem WolfArbeiten mit Herdenschutzhunden: Effektiv, aber nicht einfach

07. März 2023, 21:05 Uhr

Nachdem ein Herdenschutzhund in Espenfeld im Ilm-Kreis gerissen wurde, sind erneut Fragen zum Schutz vor dem Wolf aufgekommen. MDR THÜRINGEN hat mit Weidetierhaltern und Experten über aktuelle Probleme und Herausforderungen gesprochen.

von Lisa Wudy, MDR THÜRINGEN

Um den Wolf von der Herde fernzuhalten, werden neben Schutzzäunen auch Herdenschutzhunde eingesetzt. Es ist eine sehr alte und effiziente Form des Herdenschutzes. Mit der Rückkehr der Wölfe in Deutschland rückt diese Methode auch hier immer mehr in den Fokus der Weidetierhalter. Davon geht das Bundeszentrum Weidetier und Wolf aus, auch wenn derzeit keine konkreten Zahlen vorliegen.

Die ehemalige Fachstelle "Herdenschutzhunde Thüringen" betreute in den vergangenen zwei Jahren etwa 40 Hunde im Freistaat. Die Schäfer und Weidetierhalter rund um den Truppenübungsplatz Ohrdruf haben damit gute Erfahrungen gemacht. Doch nach dem gerissenen Herdenschutzhund in Espenfeld im Ilm-Kreis sind erneut Fragen und Unsicherheiten aufgekommen. MDR Thüringen hat mit Weidetierhaltern und Experten über aktuelle Probleme und Herausforderungen gesprochen.

Herdenschutzhund höchstwahrscheinlich von Wolf getötet

Es ist das erste Mal, dass in Thüringen ein zertifizierter Herdenschutzhund mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einem Wolf gerissen wurde. Bei den Weidetierhaltern rund um den Truppenübungsplatz Ohrdruf - wo das Wolfsrudel ansässig ist - flammt nun erneut Sorge auf.

Herdenschutzhunde agieren in Deutschland und Mitteleuropa hinter den wolfsabweisenden Zäunen. Wenn der Zaun - aus welchen Gründen auch immer - eine Schwachstelle aufweist, somit Wolf und Hund aufeinandertreffen, kann ein Herdenschutzhund unter Umständen von Wölfen verletzt oder getötet werden. Eine unglückliche Verkettung von Ereignissen, sagt das Kompetenzzentrum Wolf, Biber, Luchs.

Es gibt keinen 100-prozentigen Schutz gegen den Wolf.

Gerd Steuding | Agrarprodukte Schwabhausen

Ein Einzelfall, sagt WWF-Wildtierexperte Moritz Klose. Aber der Fall in Espenfeld zeige, dass es dazu kommen und nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. "Es gibt keinen 100-prozentigen Schutz gegen den Wolf", sagt Gerd Steuding, Bereichsleiter für die Schafe der Agrarprodukte Schwabhausen in Wechmar. Aber der Herdenschutz verringere laut Bundeszentrum "Weidetier und Wolf" die Gefahr vor Übergriffen.

Veränderungen im Wolfsrudel und Auswirkungen auf den Herdenschutz

Eine Veränderung im Wolfsrudel kann sich laut Bundeszentrum auf die Wirksamkeit von Herdenschutzmaßnahmen auswirken: "Beispielsweise kann der Zuzug eines neuen Wolfs wie auch das Verschwinden eines Rudelmitglieds in Einzelfällen dazu führen, dass bisher wirksame wolfsabweisende Zäune überwunden werden".

Die These, dass man immer einen Herdenschutzhund mehr haben sollte als Wölfe in einem Rudel, kann Klose nicht bestätigen: "Es wäre zu einfach zu sagen, nur, weil es mehr Wölfe in einem Rudel gibt, braucht es mehr Herdenschutzhunde. Das stimmt so nicht."

Dennoch gebe es schon Beobachtungen, wo Wölfe unter Umständen bestimmte Herden patrouillieren und nach Schwachstellen suchen würden. Aber es käme auch auf die einzelnen Herdenschutzhunde an. Ist einer träge oder reagiert nicht stark, kann es passieren, dass die Wölfe eher versuchen, in die Herde zu kommen. Pro Herde werden mindestens zwei Hunde eingesetzt.

Bei hohem Wolfsdruck nachjustieren

Nicole Benning ist Schäferin und Hundezüchterin und betreibt eine Wanderschäferei in Niedersachsen. In dem Nachbarbundesland leben derzeit 34 nachgewiesene Wolfsrudel. Benning ist gleichzeitig auch im Verein für arbeitende Herdenschutzhunde tätig. Im Umkreis ihrer Herden gebe es derzeit drei nachgewiesene Rudel. Nicht täglich, aber hin und wieder bekommt sie die Wölfe zu sehen.

Das Verhalten dieses Hundes war schon sehr beeindruckend. Er kam aus dem Anhänger raus und stellte sofort die Nackenhaare auf.

Nicole Benning | Schäferin und Hundezüchterin

Sie erinnert sich an eine Situation, in der die Zusammensetzung ihres Hundeteams eine direkte Auswirkung auf die Wölfe hatte. Acht parallellaufende Wolfspuren sichtete sie damals auf dem Ackerboden: "Dann wurde uns das zu heiß und wir haben damals unseren Deckründen geholt und ihn in die Herde gestellt. Das Verhalten dieses Hundes war schon sehr beeindruckend. Er kam aus dem Anhänger raus und stellte sofort die Nackenhaare auf, war quasi mit Verlassen des Anhängers schlecht gelaunt."

Er markierte, setzte seine Haufen und hat sich akustisch bemerkbar gemacht: "Dann sind die Wölfe noch einmal wiedergekommen und dann war da Ruhe", berichtet Benning. Aber nicht in allen Betrieben wäre es so einfach, die Konstellation je nach Situation mal eben schnell anzupassen.

Benning setzt auf die Hunderasse Kangal, weil die Tiere sich deutlich gegenüber dem Wolf positionieren würden, findet die Schäferin. Wenn die Wölfe feststellen würden, dass die Hunde keine Gegner darstellen, könne es aber durchaus problematisch werden.

"Dann gehen da zwei Wölfe rein und beschäftigen die Herdenschutzhunde", während die anderen Wölfe Schafe reißen. "Dann haben wir ein Problem, gegen das wir nicht mehr anarbeiten können", so Benning. Solche Fälle wären schon aus Südeuropa bekannt.

Gibt es bessere oder schlechtere Herdenschutzhunde?

"Es gibt wirklich in jeder Rasse brauchbare und nicht brauchbare Hunde", sagt der Thüringer Michael Sinke vom Verband Herdenschutz. In Deutschland werden unter anderem Herdenschutzhunderassen wie Kangale, Maremmen-Abruzzen, Pyrenäen-Berghunde, Ovtcharkas oder auch Kuvasz eingesetzt. Die großen und kräftigen Hunde wachsen zusammen mit den Ziegen, Schafen oder anderen Weidetieren auf. Sie sind dann eine Familie und wollen diese auch beschützen.

Wir können in Deutschland eigentlich nur Hunde halten, die völlig friedlich zu Menschen sind. Aber dann trotzdem offensiv verteidigungsbereit zum Wolf sind. Das ist ein Spagat, den man hinkriegen muss.

Michael Sinke | Verband Herdenschutz

Man sollte eigentlich bei den Herdenschutzhunden weniger auf eine Rasse gucken, die eine Eignung sichtbar macht, so Sinke, sondern auf den individuellen Hund. Entscheidend sei auch die Zuchtlinie, die Ausbildung und Sozialisierung des Hundes.

"Wir können in Deutschland eigentlich nur Hunde halten, die völlig friedlich zu Menschen sind. Aber dann trotzdem offensiv verteidigungsbereit zum Wolf sind. Das ist ein Spagat, den man hinkriegen muss mit dem Hund. Das ist nicht einfach. Es ist schwierig so ein Hund überhaupt zu erkennen", so Sinke.

Die Hunde müssen ein starkes Schutzverhalten gegenüber ihrer Herde zeigen. Sie müssen schnell bei Bedrohungen reagieren, wenn zum Beispiel andere Hunde hinter dem Zaun sind. Hat sich Bedrohung von der Herde entfernt, müssen sie dieses Verhalten aber auch wieder einstellen können. Gleichzeitig müssen die Hunde aber auch Teamfähig sein und die Rangordnung akzeptieren.

Ob die Hunde alle wichtigen Kriterien für den Einsatz an der Herde erfüllen, wird von den Verbänden abgeprüft. Eine Zertifizierung von ausgebildeten Herdenschutzhunden übernimmt in Thüringen derzeit der Verein Arbeitsgemeinschaft Herdenschutzhund. Um ausreichend Herdenschutzhunde bei Bedarf zur Verfügung zu haben, empfiehlt der Thüringer Bauernverband, auch weitere Verbände für die Zertifizierung zuzulassen.

Lösung oder zusätzliche Belastung?

Herdenschutz kostet viel Geld und Arbeitszeit, und es gibt keine Pauschallösungen. In jedem Betrieb muss eine individuelle Lösung für die Umsetzung des Herdenschutzes gefunden werden.

Rund um den Truppenübungsplatz Ohrdruf, wo derzeit nach Informationen des Thüringer Umweltministeriums ein achtköpfiges Rudel lebt, gibt es sowohl kleinere Betriebe mit 600 bis 800 Schafen, als auch größere Betriebe mit bis zu 2.600 Schafen.

Zu den Großen gehört die Genossenschaft Agrarprodukte Schwabhausen. Der Betreib beweidet auf und rund um den Truppenübungsplatz etwa 300 bis 400 Hektar mit insgesamt zwei bis drei Herden. Seit dem Verschwinden der alten Ohrdrufer Wölfin, die Zäune übersprang und für zahlreiche Risse verantwortlich war, und durch den Einsatz von Herdenschutzhunden hat sich die Lage in dem Großbetrieb entspannt, sagt der Bereichsleiter für die Schafe, Gerd Steuding.

Du hast jeden Tag mindestens für so eine Herde eine Stunde, anderthalb Stunden Mehraufwand.

Gerd Steuding | Bereichsleiter für die Schafe

Die Pyrenäen-Berghunde, die jeweils zu zweit oder zu dritt in den 500 bis 800-köpfigen Schafsherden eingesetzte werden, haben in den letzten Jahren gute Arbeit geleistet. Seitdem hat sich aber auch der Alltag der Schäfer verändert, denn der Umgang mit den Hunden sei anspruchsvoll.

"Du hast jeden Tag mindestens für so eine Herde eine Stunde, anderthalb Stunden Mehraufwand. Die Hunde müssen an uns Schäfer gewöhnt sein, die müssen mal ausgekämmt werden, da müssen auch mal Klauen geschnitten werden. Da ist mal ne läufige Hündin, da darf ich keinen Rüde dazutun, also muss ich da wieder händeln", zählt Steuding auf. "Wir haben uns für die Pyrenäen entschieden, sind bis jetzt gut weggekommen und hoffen, dass das so bleibt."

In den vergangenen zwei Jahren sind insgesamt neun kleine und große Ziegen- und Schafshalter in Ohrdruf durch das Pilotprojekt "Fachstelle Herdenschutzhunde Thüringen" betreut worden. Wenn die Zäune in einem Gebiet als Schutz vor dem Wolf nicht ausreichen würden, sollten Schäfer grundsätzlich über die Anschaffung von Hunden nachdenken, sagt Steuding. Aber die Entscheidung müsse gut überlegt sein.

Die Anschaffung, Haltungskosten und die Prüfung sowie die Ausbildung von Personen, die mit Herdenschutzhunde arbeiten wollen, werden in Thüringen gefördert. "Ein Schritt in die richtige Richtung", ist Steuding der Meinung. Auch wenn das Geld nicht alle Kosten abdecken würde. Ab einer Herdengröße von 100 Tieren können sich Halter die Hunde finanzieren lassen. Bei besonders wertvollen Beständen sind auch Ausnahmen möglich. Das gilt im Einzelfall auch bei Landschaftpflegeaufgaben, wo es kleinere Herden bedarf.

Kritik an fehlender Beratung und unklarer Gesetzeslage

Die durch das zweijährige Pilotprojekt "Fachstelle Herdenschutzhund Thüringen" geförderten Betriebe, haben während der Projektzeit eine schnelle praxisnahe Vor-Ort-Beratung für den Einsatz der Herdenschutzhunde bekommen. Das würde jetzt fehlen. Darüber sind sich Sinke, Steuding und auch der Thüringer NABU-Sprecher Silvester Tamás einig. Der Bedarf in Thüringen sei nach wie vor da.

Eine kontinuierliche Betreuung der Tierhalter, die über telefonische Gespräche hinausgehe, empfiehlt auch WWF-Wildtierexperte Moritz Klose. In vielen Bundesländern würde es derzeit an ausreichend staatlichen Beratungsangeboten fehlen. Dabei sei es auch wichtig, dass der Herdenschutz fortlaufend auf Wirksamkeit geprüft und weiterentwickelt wird. Das sei Aufgabe der Behörden und wenn personelle Kapazitäten dafür nicht da sind, könnten externe Experten oder die Herdenschutzhundeverbände damit beauftragt werden.

Das Thüringer Umweltministerium sieht derzeit keinen Bedarf die Fachstelle Herdenschutzhunde weiterzuführen. Die Beratung zum Thema Herdenschutzhunde würde aber weiter laufen.

Wir haben jetzt das Problem, dass sich die Bevölkerung zunehmend über das Gebell beschwert.

Nicole Benning | Schäferin und Hundezüchterin

Benning kritisiert, dass es zudem bundesweit an einem Rechtsrahmen für den Einsatz von Herdenschutzhunden fehlen würde. "Wir haben jetzt das Problem, dass sich die Bevölkerung zunehmend über das Gebell beschwert", so Benning. Bisher sei man da auf das Verständnis des Ordnungsamtes angewiesen.

MDR (gh)

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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 07. März 2023 | 17:00 Uhr

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