Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
In Thüringen gibt es etwa 480 Industriegebiete. Das "Erfurter Kreuz" in Arnstadt ist das größte davon. Bildrechte: imago/Bild13

WirtschaftAbbruch und Aufbruch: Wie in alten Industriestandorten neues Leben einzieht

03. März 2022, 05:00 Uhr

Mehr als 30 Jahre nach der Wende ist so manche Firmenansiedlung in Thüringen schon wieder Geschichte. Doch wo die eine Geschichte endet, beginnt auch eine neue. Am Montag wurde im ehemaligen Coca-Cola-Werk in Weimar ein neues Produktions- und Logistikzentrum des Automobilzulieferers "Desay SV Automobile Europe" eingeweiht. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie inzwischen aufgegebene oder insolvente Industriestandorte erfolgreich nachgenutzt werden.

von Christian Franke, MDR THÜRINGEN

Im Weimarer Westen herrscht Aufbruchstimmung. In den Hallen, wo Coca-Cola 1991 in Anwesenheit von Bundeskanzler Helmut Kohl einst einen neuen Produktionsstandort in Betrieb nahm, stehen nun unzählige Kisten mit chinesischen Schriftzeichen auf dem Boden. Der Grund: Auf dem ehemaligen Gelände des Coca-Cola-Werks entsteht ein neues Produktions- und Logistikzentrum der Firma "Desay SV Automobile Europe".

Sie hat ihren Hauptsitz in Weimar, gehört aber zum chinesischen Konzern "Desay SV Automobile" und produziert Antennen- und Fahrzeugelektronik. Während Desay bereits 2017 seine erste Produktionsstätte von Bad Blankenburg nach Legefeld verlegte, sollen in der Schwanseestraße nun mittelfristig 40 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, beispielsweise in den Bereichen Qualitätssicherung, Produktion und Logistik.

Der US-amerikanische Getränkegigant Coca-Cola hat sich hingegen 2017 von seiner Produktionsstätte am Rande der Kulturstadt verabschiedet. Im Frühjahr 2018 liefen auf dem mehr als 80.000 Quadratmeter großen Gelände die letzten Flaschen vom Band. Lediglich die Logistik ist noch geblieben, über welche die Region mit Getränken beliefert wird.

Nichts währt ewig

Solch eine Nachnutzung eines inzwischen aufgegebenen oder insolventen Industriestandorts durch ein neues Unternehmen ist in Thüringen kein Einzelfall. "Solange Wirtschaft lebt, ist es wie mit dem menschlichen Leben auch. Es ist vom Entstehen, vom Werden und auch vom Sterben geprägt", sagt Dr. Arnulf Wulff, Prokurist der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG).

Seit 1992 unterstützt sie die Entwicklung des Freistaats zu einem "attraktiven Wirtschafts-, Investitions- und Technologiestandort", wie sich die LEG auf ihrer Website vorstellt. Dabei gehört vor allem das Vermitteln von freistehenden und bereits bebauten Flächen an Investoren zu ihren zentralen Aufgaben. Auch mit der Firma "Desay" habe man bereits zusammengearbeitet.

Solange Wirtschaft lebt, ist es wie mit dem menschlichen Leben auch. Es ist vom Entstehen, vom Werden und auch vom Sterben geprägt.

Dr. Arnulf Wulff | LEG Thüringen

Nach eigenen Angaben hat die LEG seit ihrer Entstehung etwa 1.200 Unternehmensansiedlungen in Thüringen begleitet, hinter denen mehr als 70.000 Arbeitsplätze und ein Investitionsvolumen von rund zwölf Milliarden Euro stehen. "Da bleibt es nicht aus, das auch immer mal wieder Ausfälle zu beklagen sind", erklärt Wulff.

In Thüringen gibt es etwa 480 Industriegebiete. Das "Erfurter Kreuz" in Arnstadt ist das größte davon. Bildrechte: imago/Bild13

Es werde Licht - oder doch nicht?

Grundsätzlich kann es viele Gründen geben, weshalb ein Unternehmen seine Produktionsstätten aufgibt. Das gehöre nun mal dazu. "Davon gibt es in Thüringen noch einige Geschichten zu erzählen", sagt Wulff. Genaue Statistiken über solche Fälle gebe es bis jetzt jedoch nicht. Ein Paradebeispiel könne dennoch genannt werden: die Thüringer Solarindustrie.

Im diesem Fall seien beispielsweise die Konkurrenz aus Fernost und der Wegfall von Förderungen wesentliche Gründe gewesen, weshalb eine ganze Branche den Bach runtergegangen sei. Mit dem Niedergang der Thüringer Solarindustrie während des vergangenen Jahrzehnts wurden auch zahlreiche Immobilien freigesetzt, beispielsweise im Erfurter Kreuz in Arnstadt - dem größten Gewerbegebiet im Freistaat.

Als Beispiel kann hier das Schicksal der Firma "Solarworld" angeführt werden, die zuvor "Bosch Solar" übernommen hatte und anschließend Insolvenz anmelden musste. "Das sind ja riesige Immobilien. (...) Die standen einfach leer. Und da reden wir von ganz anderen Dimensionen als in Weimar bei Coca-Cola", erinnert sich Wulff.

Davon gibt es in Thüringen noch einige Geschichten zu erzählen.

Dr. Arnulf Wulff | LEG Thüringen

Laut LEG ist in den ehemaligen Solartechnik-Standorten inzwischen wieder Leben eingekehrt. "Es gibt im Prinzip kaum noch eine Fläche oder eine Immobilie, die nicht nachgenutzt wird," führt Wulff aus. Im hier beschriebenen Beispiel von "Solarworld" wurde der gesamte Komplex durch den Batteriehersteller "Contemporary Amperex Technology", kurz "CATL", übernommen.

Vermittlung mit Hürden

Auch wenn die LEG im Fall von Solarworld und Catl von einer Erfolgsgeschichte spricht, betont sie auch, dass solche Geschichten nie wie von selbst oder gar reibungslos ablaufen. Schließlich geht es meist um Investitionen im mehrstelligen Millionenbereich.

Laut Herbert Stütz, stellvertretender Abteilungsleiter der LEG, ist das vor allem dann der Fall, wenn Grundstücke bereits bebaut und keine "grüne Wiese" mehr sind. "Es ist oft so, dass es schwierig ist, das zu vermitteln. Die Halle muss dann genau passen. Das ist wie ein Maßanzug", erklärt er.

Die Halle muss dann genau passen. Das ist wie ein Maßanzug.

Herbert Stütz | LEG Thüringen

Dass solch ein Anzug eben nicht jedem passt, zeige das Beispiel der Halle des Investors Masdar aus Abu Dhabi. Dort wurden auf etwa 38.000 Quadratmeter Fläche, ebenfalls in der Nähe von Arnstadt in Ichtershausen, Dünnschicht-Solarmodule gefertigt. Doch aufgrund der Beschaffenheit der Spezialhalle - zum einen ihrer Größe, zum anderen ihrer niedrige Deckenhöhe, die sich für Logistik nur bedingt eignete - sei die Vermittlung wesentlich schwieriger gewesen als in anderen Fällen.

Inzwischen habe sich aber mit dem Automobilzulieferer und Mechatronik-Spezialisten "Marquardt" aus Baden-Württemberg auch hier ein Nachnutzer gefunden.

Es kommt auf den Einzelfall an

"Jede Immobilie hat ihre eigene Geschichte. Das Thema ist so umfangreich, darüber könnten man tatsächlich ein Buch oder eine Studie schreiben.", sagt Herbert Stütz. Letztendlich komme es für LEG darauf an, möglichst günstige Rahmenbedingungen für eine Investorenansiedlung zu schaffen. Und dies sei immer ein Prozess, der mal länger mal kürzer dauere. Das sieht auch Arnulf Wulff so: "Je näher man sich kennenlernt und man die Wünsche und Anforderungen des Investors kennt, zeigt sich, ob eine Vermittlung gelingen kann oder nicht."

Das Thema ist so umfangreich, darüber könnten man tatsächlich ein Buch oder eine Studie schreiben.

Herbert Stütz | LEG Thüringen

In manchen Fällen könne es also durchaus von Vorteil und kostensparend sein, wenn Bestandsimmobilien vorhanden sind. In anderen Fällen führe dies aber zum Abwinken. Und so beginnen manche Geschichten eben auf einer grünen Wiese und andere da, wo einst koffeinhaltige Kaltgetränke vom Band gerollt sind.

MDR

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 28. Februar 2022 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen