Personalmangel Studie über zu wenig Kindergarten-Personal in Thüringen sorgt für Diskussion
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20. Oktober 2022, 17:43 Uhr
Laut einer neuen Studie kann für die meisten Kindergartenkinder in Thüringen der Bildungsauftrag nicht erfüllt werden. Es fehlen demnach etwa 10.800 Erzieherinnen und Erzieher. Die Studie sorgt für Diskussionen.
Windeln wechseln, Schuhe anziehen, beim Basteln helfen - je mehr Kinder von einer Person betreut werden, desto schwieriger wird es, den Bildungsauftrag zu erfüllen. In Thüringer Kindergärten und -krippen müssen sich die Beschäftigten laut einer Studie noch immer um zu viele Kinder kümmern.
Auf eine Erzieherin oder einen Erzieher in Vollzeit kommen etwa fünf Krippenkinder, wie die Bertelsmann-Stiftung als Auftraggeberin der Studie mitteilt. In den Kindergartengruppen seien es sogar mehr als zehn Kinder. Beschäftigte in Thüringen müssen demnach im Schnitt drei Kindergartenkinder mehr betreuen als in westdeutschen Bundesländern.
Bildungsauftrag kann nicht umgesetzt werden
Nach Angaben der Studienautoren kann so der Bildungsauftrag für die meisten Kinder nicht umgesetzt werden. Sie fordern von der Thüringer Landesregierung Reformen, damit mehr Personal eingestellt werden kann. Es gebe in Thüringen zwar fast ausreichend Kindergartenplätze, um die Nachfrage der Eltern zu decken. 91 Prozent der Kita-Kinder in Thüringen würden jedoch in Gruppen betreut, deren Personalausstattung nicht kindgerecht sei, so die Studie.
Um den Personalschlüssel zu erreichen, empfehlen die Wissenschaftler 10.800 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher. Dadurch entstünden pro Jahr zusätzliche Personalkosten von mehr als 558 Millionen Euro.
Zum Aufklappen: Was ist der Bildungsauftrag an Kindergärten?
Der Bildungsauftrag in Deutschland sieht vor, dass Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege die Entwicklung eines Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern sollen. Laut Kinder- und Jugendhilfegesetz soll sich die Erziehung an den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen eines Kindes orientieren. Auch seine ethnische Herkunft soll berücksichtigt werden.
In Thüringen liegt der Fokus auf dem Erwerb sozialer Kompetenzen, wie etwa Selbstständigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen, Kulturen und Lebensweisen sowie die Förderung von Kreativität und Fantasie. Geregelt ist dies im Thüringer Bildungsplan bis 18 Jahre.
Doppeltes Problem durch Fachkräfte-Mangel
Laut Studie ist der Fachkräftemangel ein doppeltes Problem im Freistaat. Das mangelnde Personal verschlechtere nicht nur die Qualität der Bildung für die Kinder, sondern auch die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte. Dadurch sinken die Chancen, vorhandene Mitarbeitende im Beruf zu halten, was den Personalmangel weiter verschärfe. In der Studie wird aus diesem Grund eine langfristige und für die Kitas erkennbare politische Priorität für eine bessere Personalausstattung gefordert.
Thüringen mit mehreren Spitzenplätzen bei Kita-Betreuung
Bundesweit ist Thüringen jedoch nicht nur bei Betreuungsraten und Betreuungszeiten ganz vorn, sondern auch bei der Zahl der angebotenen Kitaplätze. Nur in Mecklenburg-Vorpommern ist ebenfalls kein Ausbau nötig. In allen anderen Bundesländern ist die Nachfrage der Eltern dagegen höher als das Angebot. So fehlen der Studie zufolge im nächsten Jahr bundesweit voraussichtlich rund 384.000 Plätze vor allem für Kinder unter drei Jahren.
Debatte über Kindergarten-Qualität in Thüringen
Durch die Studie hat die Diskussion über die Qualität von Kindergärten in Thüringen neue Nahrung bekommen. Bildungspolitiker von SPD und CDU sehen Handlungsbedarf bei der personellen Ausstattung.
Die Daten des Ländermonitors seien alarmierend, erklärte der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Hartung. Sie zeigten, dass Thüringen noch immer weit entfernt von Expertenempfehlungen sei. "Wir wollen daher die Personalschlüssel bei den Über-Dreijährigen in zwei Schritten auf 1:12 deutlich verbessern."
Aus Sicht der CDU-Fraktion ist es wichtiger, mehr Personal einzustellen, "statt nur über Beitragsfreiheit zu fabulieren", wie es deren Bildungsexperte Christian Tischner formulierte. In Thüringen wird über ein drittes, für die Eltern beitragsfreies Kindergartenjahr diskutiert. Dies fordert die Linke, die CDU hatte sich im Sommer jedoch auch grundsätzlich offen dafür gezeigt.
Die Grünen sehen hingegen ein drittes beitragsfreies Kita-Jahr eher skeptisch. Für sie liegt der Schwerpunkt bei der Bekämpfung des Personalmangels. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ist in Thüringen für Gesetzesvorhaben auf Stimmen der Opposition angewiesen.
Bildungsministerium verweist auf gute Erzieher-Ausbildung
Das Bildungsministerium verwies neben den im Bundesvergleich sehr guten Betreuungszeiten dagegen darauf, dass das Kindergartenpersonal in Thüringen besser ausgebildet sei als in anderen Bundesländern, der Freistaat somit einen Qualitätsvorsprung habe. Dies erkenne auch die Bertelsmann-Studie an.
Nach deren Angaben verfügen in Thüringen 85 Prozent der Erziehungskräfte in Kindergärten über einen Fachschulabschluss, in Westdeutschland sind es 64 Prozent. Mit einem formal niedrigeren Berufsschulabschluss, etwa als Sozialassistent, arbeiten in Westdeutschland 17 Prozent des Kita-Personals. In Thüringen sind es demnach lediglich 3 Prozent.
MDR (jn)/dpa
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 20. Oktober 2022 | 12:00 Uhr
THOMAS H am 21.10.2022
Harka2: "Jetzt über die Konsequenzen jammern ist da halt einfach nur dumm." Verstehe ich Sie jetzt richtig, daß dies also bedeutet, daß die Forderungen nach mehr Personal ebenso dumm ist?
Harka2 am 21.10.2022
@Thomas H
Meine Kollegin ist fertig ausgebildete Kindergrippenerzieherin. Wie alle jungen Erzieherinnen wurde sie zur Wende entlassen und ging zur Umschulung. Nur zeigt das das Problem: Eine ganze Generation damals junger Erzieherinnen wurde entlassen und der nächsten Generation gleich mal verdeutlicht, welchen Job man lieber nicht erlernt. Zudem wurden viele Betreuungseinrichtungen geschlossen. Jetzt über die Konsequenzen jammern ist da halt einfach nur dumm.
Sozialberuflerin am 21.10.2022
Mal zum Vergleich...
Durchschnitt der Personalschlüssel nach Vollzeitäquivalenten (U3)
Baden-Württemberg 3,0
Bayern 3,7
Berlin 5,2
Brandenburg 5,3
Bremen 3,1
Hamburg 4,3
Hessen 3,8
Mecklenburg-Vorpommern 5,9
Niedersachsen 3,7
Nordrhein-Westfalen 3,7
Rheinland-Pfalz 3,7
Saarland 3,7
Sachsen 5,5
Sachsen-Anhalt 5,6
Schleswig-Holstein 3,6
Thüringen 5,4
(Statistische Bundesamt 01.03.2020)
Der Unterschied zwischen West und Ost dürfte jedem auffallen!
Und wie schon gesagt... Hier sind Urlauber und Kranke nicht eingerechnet!