Der Redakteur | 10.10.2024Wenn die Kochsalzlösungen knapp werden - Wie gehen Kliniken mit Lieferengpässen um?
Das Bundesgesundheitsministerium sah zunächst kein Problem mit dem Engpass für Kochsalzlösungen. Die Lage sei besser als dargestellt, ein Lieferengpass sei noch lange kein Versorgungsengpass. Das ist sicher richtig. Richtig ist aber auch, dass die Kliniken Versorgungsengpässe aktuell mit sehr viel Kreativität verhindern müssen.
Inhalt des Artikels:
Kochsalz und Wasser sind unbestritten ausreichend verfügbare einheimische Rohstoffe. Daran kann es also nicht liegen. Es ist aber auch nicht so, dass es mit Wasser, Salz und kräftigem Schütteln getan wäre.
Die Lösungen müssen absolut steril sein, verpackt in hochwertigen Flaschen, mit passenden Anschlüssen. Kostenpunkt pro Flasche: unter einem Euro. Das bedeutet: Bei diesen Gewinnaussichten geht niemand ins unternehmerische Risiko und baut eine neue Produktionsstrecke auf, wenn andere Hersteller oder Lieferanten schwächeln.
Abgesehen davon ist so etwas kurzfristig gar nicht möglich. Im Ergebnis rückt hinten weniger nach, als vorne verbraucht wird. Aber Hamsterkäufe sind nicht nötig.
In öffentlichen Apotheken sind Kochsalzlösungen, zum Beispiel für Inhalationsgeräte, keine Mangelware. Die Problematik ist beschränkt auf Großabnehmer wie Krankenhäuser.
Stefan Fink
Wofür werden die Lösungen in den Kliniken gebraucht?
Kochsalzlösungen werden als Trägerlösung für Medikamente benutzt, für Zugänge gebraucht, zum Spülen von Kathetern, Wunden usw. Ein Krankenhaus funktioniert ohne Kochsalzlösungen schlichtweg nicht. Je nach Bettenzahl werden hunderte bis tausende Flaschen gebraucht - pro Woche.
Dr. Manuela Pertsch ist die Landesvorsitzende der Krankenhausapotheker in Thüringen und Chefapothekerin am SRH Wald-Klinikum Gera. Sie versorgt von Gera aus fünf Krankenhäuser in Ostthüringen und Sachsen-Anhalt und alleine die verbrauchen jede Woche zehntausend solcher Flaschen. Das sind dreieinhalb Paletten.
Wenn alles gut geht, kommen diese regelmäßig von den zwei großen Lieferanten bzw. Herstellern in Deutschland. Man habe diese Zwei-Lieferanten-Strategie vor einem Jahr aus guten Gründen gewählt, genützt hat es nur bedingt etwas.
Bei beiden Lieferanten ist eine Engpass-Situation eingetreten. Ich bekomme nur 70 Prozent meines Bedarfs.
Manuela Pertsch
Wieso gibt es die Engpässe?
Engpässe sind an der Tagesordnung in unseren Kliniken. Mal fehlen bestimmte Schmerzmittel, mal Antibiotika, mal Diabetes-Medikamente und jetzt sind die Kochsalzlösungen das größte Problem.
Vieles hat damit zu tun, dass die Krisen der Welt die Lieferketten stören. Aber auch Spardruck und daraus resultierende Rabattverträge haben einen Anteil an der Situation. Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) soll Abhilfe schaffen u.a. mit Bevorratungsvorschriften.
Aber genau das dürfte die Lage zunächst eher verschärfen, wenn sich nämlich alle zusätzlich zum täglichen Bedarf noch einen Vorrat anlegen in Zeiten des Mangels. Bei den Kochsalzlösungen haben Ausfälle von Lieferanten innerhalb der Lieferkette das Problem ausgelöst. Einer der zwei großen Hersteller, die B. Braun Group in Melsungen, bestätigte MDR THÜRINGEN den Ausfall eines Lieferanten im Produktionsnetzwerk.
Wir müssen wir jetzt die Menge vor dem Hintergrund der weiter steigenden, großen Nachfrage bis zum Ende des Jahres so gut wie möglich managen.
Schriftliche Stellungnahme B. Braun Group Melsungen
Bestandskunden würden weiterhin beliefert, jedoch schrittweise. Der zweite große Hersteller, Fresenius Kabi, wurde konkreter. Man produziere in zwei Werken im hessischen Friedberg und in Italien und habe den zuständigen Behörden schon Anfang März und Ende Mai einen Lieferengpass für isotonische Kochsalzlösungen in Glasflaschen (50 ml und 100 ml) gemeldet.
Ursache dafür war ein Lieferengpass bei einem unserer Lieferanten für Glasflaschen. Seitdem versorgen wir unsere Kunden mit rund 80 Prozent des durchschnittlichen Bedarfs der letzten Monate.
Schriftliche Stellungnahme Fresenius SE & Co. KGaA, Bad Homburg
Die Engpass-Meldung habe zu einer erhöhten Nachfrage geführt, aber moderne Werke mit großen Produktionsmengen laufen rund um die Uhr bei voller Auslastung. Einfach mal so kann da zusätzlich nichts produziert bzw. abgefüllt werden. Genau das müsste aber passieren, wenn eine entstandene Lücke aufgefüllt werden muss und gleichzeitig auch noch ein sicher gut gemeintes Gesetz Bevorratung fordert.
Per Gesetz bin ich dazu verpflichtet, von diesem Medikament einen Vorrat für sechs bis acht Wochen zu haben. Das sind 40 Paletten, die ich vorrätig halten muss.
Manuela Pertsch
Aktuell hat Chefapothekerin Pertsch Reserven für fünf Wochen und die schrumpfen schnell, wenn weiterhin knapp ein Drittel des täglichen Bedarfs nicht geliefert wird.
Was ist die Lösung für das Lieferproblem?
Wenn die deutschen Produktionskapazitäten nicht ausreichen, um die Lücke wieder zu schließen, dann sind Importe ein Ausweg. Das ist auch möglich, bedarf aber einer Genehmigung durch das Bundesministerium. Man werde "übergangsweise die Voraussetzungen für den Import von Kochsalzlösungen als Arzneimittel schaffen", so ein Ministeriumssprecher auf Medienanfrage.
Pertsch erklärt, dass ein Import zwar auch jetzt schon möglich ist, aber quasi flaschenweise. Die Lösung für die Lösung wäre eine sogenannte "Gestattung", dann müsse nicht mehr – wie jetzt – jede einzelne Flasche dokumentiert werden.
Wenn ich ein Medikament importieren möchte, muss ich den Import pro Patient und Flasche dokumentieren. Bei der Masse an Flaschen ist das schier unmöglich!
Manuela Pertsch
Wir erinnern noch einmal an die zehntausend Flaschen wöchentlich, die durch die Krankenhausapotheke von Manuela Pertsch laufen. Mit dieser "Gestattung" und den Importen ließe sich der Lieferengpass durchaus zügig überwinden und auch der vorgeschriebene Vorrat könnte endlich angelegt werden.
Voraussetzung: Die importierten Flaschen passen auch zur Klinik. Denn bei allen Alternativen, die die Krankenhausapotheken bei den verschiedenen Mitteln suchen müssen, ist Kompatibilität eine Herausforderung. Es nützt nichts, wenn ein Medizinprodukt nicht zu den Geräten im Krankenhaus passt und auch das Personal muss immer auf der Hut sein, wenn sich Produktname und oder Zusammensetzung mit einem Alternativmedikament ändern.
Für die Krankenhausapotheker heißt das, man sei aktuell mehr Logistiker als Apotheker, sagt Pertsch und verbreitet trotzdem begründete Zuversicht.
Das ist das, was auch unser Anspruch ist, dass wir in noch keiner Situation total blank waren, sondern es gab immer eine Möglichkeit und das ist auch gut so.
Manuela Petsch
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MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 10. Oktober 2024 | 16:40 Uhr
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