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Debatte im BundestagKlamme Kliniken - Zweifel an Effektivität der Krankenhausreform

27. Juni 2024, 10:48 Uhr

Krankenhäuser finanzieren sich momentan zum Großteil über Fallpauschalen. Um mehr Geld bei den Krankenkassen abzurechnen, führen Krankenhäuser auch nicht notwendige Operationen durch. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das Problem mit der Krankenhausreform bekämpfen. Der Geschäftsführer der Thüringen-Kliniken zweifelt, ob die Reform wirklich Verbesserungen bewirken kann. Die thüringische Gesundheitsministerin Heike Werner sieht Änderungsbedarf beim Finanzierungssystem.

Viele Krankenhäuser in Deutschland stehen finanziell nicht gut da, so auch das in Pößneck. Es ist eines von drei Häusern des Klinikverbundes der Thüringen-Kliniken. Auch dieser Betreiber schreibt seit dem vergangenen Jahr zum ersten Mal rote Zahlen: ein Minus von 2,78 Millionen Euro für das Jahr 2023. Mit dem Bettenabbau am Standort Pößneck wurden bereits erste Konsequenzen gezogen.

Geschäftsführer der Thüringen-Kliniken, Thomas Krönert. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Geschäftsführer der Thüringen-Kliniken, Dr. Thomas Krönert, erklärt: "Wenn wir heute über Kosten reden, sind die Kostenentwicklungen der Sachkosten und auch der Energiekosten ja nicht refinanziert. Der Landesbasisfallwert für dieses Jahr ist im letzten Jahr bestimmt worden und aktuell rennen wir diesen Kostenentwicklungen immer hinterher."

Kliniken arbeiten meist nicht kostendeckend

Krankenhäuser werden von den Kassen nach Fallpauschalen vergütet. Das bedeutet: Hinter jeder stationären Behandlung steht ein bundeseinheitlicher Wert. Dazu kommt der Landesbasisfallwert, der je nach Bundesland unterschiedlich ist und jedes Jahr neu verhandelt wird. Von diesem Wert werden Personal, Sach- und Energiekosten bezahlt. Kommen allerdings innerhalb eines Jahres enorme Preissteigerungen, wie gestiegene Energiekosten dazu, reicht das Geld nicht mehr aus. Kliniken bekommen die Kosten nicht gedeckt.  

Doch nicht nur die Kassenbeträge reichen gerade nicht. Auch Geld von den Bundesländern, die für die Gebäudekosten, den sogenannten Investitionskosten zuständig sind – fehlt. "Die Häuser waren gezwungen, aus dem Tagesgeschäft Überschüsse zu generieren, um mit diesen Überschüssen Investitionen zu tätigen", erklärt Krönert. "Und das funktioniert einfach nicht mehr."

Zahlen belegen, dass die Bundesländer die baulichen Kosten von Krankenhäusern seit Jahrzehnten nicht so tragen, wie sie es müssten. So hätte es für 2021 einen Investitionsbedarf von 6,4 Milliarden Euro für alle Krankenhäuser in Deutschland gegeben. Gezahlt wurde allerdings nur etwa die Hälfte: 3,29 Milliarden Euro.

Werner sieht Änderungsbedarf bei Finanzierungssystem

Dass die große Krankenhausreform die duale Finanzierung nicht ändern wird, bedauert Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner. Sie hätte sich an der Stelle Veränderungen oder Verbesserungen gewünscht. "Wir haben finanzstarke Bundesländer, insbesondere die westdeutschen Bundesländer. Wir haben die finanzschwächeren im Osten. Und insofern kann es eigentlich nicht von der Finanzkraft der Länder abhängen, wie die Krankenhäuser mit den Investitionen tatsächlich auch unterstützt werden."

Heike Werner, Thüringens Gesundheitsministerin Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Es kann eigentlich nicht von der Finanzkraft der Länder abhängen, wie die Krankenhäuser mit den Investitionen tatsächlich unterstützt werden.

Heike Werner, Gesundheitsministerin in Thüringen

Aber warum wird diese nicht funktionierende Finanzierung nicht geändert? Auf Anfrage von MDR Investigativ teilte das Bundesgesundheitsministerium mit: "Die dualistische Krankenhausfinanzierung steht im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung." Durch die Krankenhausreform würde zwar ein Investitionsfonds auf Bundesebene mit 50 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre zur Verfügung stehen. Thüringens Gesundheitsministerin Werner betonte jedoch: "Aber man muss sagen – diese 50 Milliarden sind eben zum einen Versicherungsgelder und zum anderen Gelder der Länder." Ein Investitionsfonds also, der zum einen die Kassenbeiträge erhöhen könnte und zum anderen Töpfe beansprucht, die die Kosten bisher schon nicht ausreichend decken.

Kliniken führen unnötige Operationen durch

Dr. Ulf Marnitz, Orthopäde in Berlin Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Folge ist, dass Krankenhäuser die finanzielle Lücke bislang mit medizinischen Leistungen füllen müssen. Und so wird teilweise operiert, ohne dass es medizinisch notwendig wäre. Der Berliner Orthopäde Dr. Ulf Marnitz begutachtet Patienten, die eine Einweisung für eine Rücken-OP haben und sich eine Zweitmeinung von ihm dazu einholen. "Da sehen wir regelhaft leider auch bis heute Operationsindikation, die aus unserer Sicht nicht bestehen. Und wo man durch eine gute Aufklärung und ein Gespräch mit dem Patienten [unnötige Operationen] noch abwenden können", sagt Marnitz.

2018 wurden 815.295 Rücken-Operationen in Deutschland durchgeführt. 2007 waren es noch rund 452.000. Eine Studie der Techniker Krankenkasse geht davon aus, dass 88 Prozent der empfohlenen Rücken-Operationen unnötig sind.

"Vor 20 Jahren waren Wirbelsäulenoperationen finanziell recht unattraktiv. Dann ist die Wirbelsäulenchirurgie immer mehr und mehr geworden“, so Marnitz. "Sie wurde auch von den Kostenträgern finanziell aufgewertet. Und mit Mal wurde es auch wirtschaftlich interessanter, an der Wirbelsäule zu operieren. Das hat zu einer gewissen Goldgräberstimmung geführt", meint Marnitz.

Vor 20 Jahren waren Wirbelsäulenoperationen finanziell recht unattraktiv. Dann ist die Wirbelsäulenchirurgie immer mehr und mehr geworden.

Dr. Ulf Marnitz, Othopäde

Diese Goldgräberstimmung will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun eindämmen und eine Vorhaltepauschale einführen. In der Bundespressekonferenz vom 15. Mai 2024 sagte er: "Diese Vorhaltepauschale wird gezahlt, unabhängig von der konkreten Fallzahl, sodass jedes Krankenhaus, das diese Leistungsgruppe hat, diese 60 Prozent Vorhaltepauschale bekommt." Somit entfalle die Notwendigkeit, jeden einzelnen zusätzlichen Fall zu erbringen, sagte Lauterbach.

Krönert: Reform wird Finanzierungsproblem nicht lösen

Bisher werden Krankenhäuser von Krankenkassen zu über 80 Prozent von Fallpauschalen und zu 20 Prozent über das Pflegebudget für das Pflegepersonal bezahlt. Künftig sollen nur 40 Prozent über die Fallpauschalen finanziert werden und 60 Prozent über eine feste Vorhaltepauschale in der das Pflegebudget mit drin ist. Also eine Pauschale für das Vorhalten von Personal und Technik. Das soll für jede Leistungsgruppe gelten.

Der Geschäftsführer der Thüringen-Kliniken, Thomas Krönert, findet diese Änderung nicht ausreichend. "Das heißt, immer noch 40 Prozent werden über Fallpauschalen finanziert. Und machen Sie sich nichts vor: 60 Prozent Vorhaltekosten, damit können Sie ein Krankenhaus nicht finanzieren. Sie brauchen die restlichen Kosten. Somit haben wir doch wieder eine Ökonomisierung und doch wieder eine fallabhängige oder eine mengenabhängige Regelung. Ich weiß ich nicht, ob das tatsächlich ein neues System ist." Weiterhin wird es also eine fallabhängige Finanzierung und eine Lücke der Investitionskosten durch die Länder geben. Aber was ist die Lösung dafür?

Ich weiß ich nicht, ob das tatsächlich ein neues System ist.

Thomas Krönert, Geschäftsführer der Thüringen-Kliniken

Privatkliniken nehmen weniger öffentliche Gelder in Anspruch

Prof. Karl-Heinz Wehkamp, Gesundheitswissenschaftler Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gesundheitswissenschaftler Prof. Karl-Heinz Wehkamp. Er forscht seit mehr als 20 Jahren zur Krankenhausfinanzierung. "Jetzt sage ich etwas was, was mir eigentlich früher zumindest schwergefallen ist. Vielleicht muss der Staat sich sowieso weitgehend aus diesen Prozessen heraushalten, lediglich die Rahmenbedingungen anständig formulieren und überwachen", meint Wehkamp. "Und möglicherweise müssen wir uns orientieren an Erfahrungen, teilweise auch privater Krankenhaus- oder Gesundheitsversorgungs-Projekte." Tatsächlich belegen Studien, dass private Krankenhäuser mehr Investitionen aus eigenen Mitteln generieren konnten und weniger öffentliche Gelder in Anspruch genommen haben.

Bei den Thüringen-Kliniken jedenfalls überwiegt auch die Skepsis für die ab 2025 geplante Reform zur Krankenhausfinanzierung. Krönert meint: "Ent-Ökonomisierung habe ich erst dann, wenn wieder feststeht, dass das Krankenhaus auskömmlich finanziert ist. Wenn sowohl das Tagesgeschäft ausreichend finanziert ist, als auch Investitionen vernünftig getätigt werden können."

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Exakt | 26. Juni 2024 | 20:15 Uhr