75 Jahre Kriegsende Die Weimarer Bevölkerung muss nach Buchenwald

Nachdem General Patton Buchenwald inspiziert hatte, gab er den Befehl, 1.000 Weimarer Bürger das Konzentrationslager besichtigen zu lassen. Sie sollten direkt mit dem Leid konfrontiert werden, das tausenden Menschen direkt vor ihrer Haustür erleben mussten. Am 16. April eskortierten amerikanische Militärs die Bewohner aus Weimar vom Goetheplatz aus 15 Kilometer hinauf auf den Ettersberg. Begleitet wurden sie von zahlreichen internationalen Korrespondenten. Der Manchester Guardian schrieb über diesen Tag: "1.000 Deutsche durch Buchenwald geführt. Männer und Frauen wurden durch das, was sie sahen, überwältigt."

Der Weimarer Harry Riese war damals zwölf Jahre und kann sich noch sehr gut an den Tag erinnern:

"Es waren sommerliche Temperaturen, 25 Grad: Wir mussten dann nach Buchenwald laufen, die ganze Kolonne. Das haben die deswegen gemacht, um das nachzuvollziehen, wie die Buchenwaldhäftlinge hier ankamen, am Weimarer Güterbahnhof und mussten dann da hochlaufen. Und dort war alles noch so, wie die Amerikaner es bei der Öffnung vorgefunden hatten. Alles lag noch so. Das kann man bald nicht beschreiben, da wird einem ganz anders bei der Sache."

Im Konzentrationslager angekommen, mussten sich die Weimarer auf dem Appellplatz versammeln. Beobachtet wurden sie dabei von den noch anwesenden Häftlingen.

"General Patton hat vom Kommandoturm, wo oben ‘JEDEM DAS SEINE‘ steht, eine Rede gehalten. Das wurde vom Dolmetscher übersetzt. Wir hätten jetzt drei Stunden Zeit, um uns das ganze Lager anzusehen."

 Befreite Häftlinge auf ihren Pritschen in einer Baracke des Kleinen Lagers.
Befreite Häftlinge auf ihren Pritschen in einer Baracke des Kleinen Lagers. Bildrechte: MDR/National Archives, Washington

In Gruppen von je 100 Personen wurden die Weimarer Bürger durch das Lager geführt. Der Rundgang führte sie ins Krematorium, wo noch immer menschliche Knochen in den Öfen lagen. Im Hof des Krematoriums wurden die Weimarer mit zwei dort vorgefundenen Haufen abgemagerter Leichen konfrontiert. Anschließend führte sie der Weg durch die Baracken, wo Überlebende auf mehrstöckigen Pritschen lagen. Sie waren in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, viele zu schwach um aufzustehen. Weiter führte der Weg die Bürger zu den Reitställen, wo Tausende erschossen worden waren, sowie zum Forschungsblock, wo Ärzte tödliche Experimente an Menschen vorgenommen hatten. Viele der Besucher weinten, einige wurden ohnmächtig.

"Wir haben uns das angeguckt und ich meine, obwohl ich noch jung war, die ganze Ideologie, die die uns eingehämmert haben, ist zusammengebrochen. Das stand ja im krassen Widerspruch zu dem, was uns eingeimpft wurde, diese Verbrechen."

Die amerikanische Fotojournalistin Margaret Bourke-White schrieb über den Tag, dass einige der Weimarer Bürger immer wieder riefen "Wir haben nichts gewusst! Wir haben nichts gewusst!". Das erzürnte viele der Ex-Häftlinge, die zurückschrien, sie hätten es wohl gewusst. Nach drei Stunden mussten sich Harry Riese und die Weimarer Bevölkerung wieder auf dem Appellplatz versammeln. Patton hielt noch eine letzte Ansprache, erinnert sich Riese:

"Wir sollten das in steter Erinnerung unseren Familienangehörigen und Bekannten immer weitergeben, was sich hier ereignet hat. Dass das nie wieder vorkäme. Dann durften wir nach Hause gehen. Ohne Bewachung. So war das."

Bis Ende Mai wurden täglich mehrere hundert Weimarer zu Aufräumarbeiten und zum Bergen der Leichen in das Lager befohlen.

Buchtipp "... mitten im deutschen Volke"
Buchenwald, Weimar und die nationalsozialistische Volksgemeinschaft

Herausgegeben von Volkhard Knigge und Imanuel Baumann im Wallstein Verlag.

ISBN: 978-3835303522
Preis: EUR 14,00

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 16. April 2020 | 18:00 Uhr

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