Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht? Verhandlungen mit den Palästinensern

31. März 2019, 05:00 Uhr

Nach einer Woche in der DDR wird Albrecht noch immer verhört. Ein Ende ist nicht in Sicht. Und ob er in den Nahen Osten ausreisen kann, ist völlig unklar. Seinen Vernehmern sagt er, dass er "sehr deprimiert" sei: "Es belastet mich psychisch sehr, dass ganz offensichtlich in dieser Hinsicht sich nichts wesentliches getan hat." Er klagt, dass er im luftleeren Raum hänge.

Foto von Udo Albrecht aus der Akte MfS AOPK 25579/91 vom BStU
Soll von den Palästinensern übernommen werden: Udo Albrecht Bildrechte: BStU

Während Albrecht verhört wird, nimmt die Staatssicherheit Kontakt zur PLO auf, um das weitere Vorgehen und vor allem Albrechts Schicksal zu klären. Die DDR will Albrecht loswerden. Ist er ein Sicherheitsrisiko? Es gibt zumindest keine Überlegungen oder gar Pläne, Albrecht in der DDR zu behalten und zu integrieren. Am 1. August spricht die Staatssicherheit mit Abu Iyad und Al-Hindi. Die Staatssicherheit notiert als erste Reaktion der Palästinenser: "Die DDR soll ‚Albrecht‘ den BRD-Behörden ausliefern". Offenbar haben die Palästinenser kein Interesse mehr an ihrem einstigen Unterstützer und Schützling - und sehen Albrecht als Sicherheitsrisiko. Die Palästinenser bitten dann um einige Tage Bedenkzeit, denn die Angelegenheit sei für die PLO "sehr delikat". Sie bitten die "DDR Genossen" um "offene und kameradschaftliche Meinungsäußerung", wie in der Angelegenheit am besten zu verfahren sei. Eigentlich wolle die PLO mit Albrecht und den Hoffmann-Leuten nichts mehr zu tun haben. Über eine libanesische Staatsbürgerschaft Albrechts sei nichts bekannt. In einem Strategiepapier für die nächsten Gespräche mit den Palästinensern plädiert die DDR-Seite dafür, Albrecht nicht in die Bundesrepublik auszuliefern. Dies wäre nicht möglich und auch rechtlich nicht zu begründen. Albrecht könne allerdings auch nicht in der DDR bleiben. Deshalb solle Albrecht ein libanesischer Pass ausgestellt werden. Die PLO solle entscheiden, ob sie ihn aufnehme oder ob er in ein Land seiner Wahl ausreisen solle. Weiter heißt es in dem internen Argumentations-Papier: Die westlichen Pressemeldungen zur Flucht Albrechts in die DDR sollten nicht überbewertet werden. Denn: "Bei Prozess in BRD wären Konsequenzen für PLO viel schlimmer.". Wichtig sei, dass Albrecht nicht selbst in die Öffentlichkeit gehe. Deshalb sei es die "beste und sicherste Variante", wenn die PLO Albrecht übernehme. So könne er weiter kontrolliert werden. Am 3. August signalisieren die Palästinenser, dass sie mit den Vorschlägen der Staatssicherheit einverstanden sind. Albrecht werde einen libanesischen Pass erhalten. "Eine operative Kontrolle von Albrecht wird durch die PLO gewährleistet", heißt es in dem Vermerk. Die Palästinenser kündigen an, am 5. August nach Berlin zu kommen und Albrecht abzuholen.

Aus Albrecht wird Ahmed Salem Mahmaad

Am 5. August landen Atif Bsisu, der Drahtzieher des Münchner Olympia-Attentats, und sein Bruder Sahar in Schönefeld. Das Geheimgespräch mit der Staatssicherheit findet im Objekt "Kiew" statt. Die PLO-Sicherheitsmänner hören von den Fluchtumständen Albrechts und seinem Wunsch, an die PLO übergeben zu werden. Gleichzeitig bestätigen sie Albrechts Angaben zu seinen PLO-Verbindungen im Wesentlichen. Atif erklärt im Namen von PLO-Sicherheitschef Abu Iyad, dass das Problem "Albrecht" im beiderseitigen Interesse gelöst werden solle: Es solle weder für die DDR noch für die PLO "Gefahren oder Nachteile" geben. Die Palästinenser bekunden ihr Interesse an Albrecht. Sie hätten keinen Grund, ihm zu misstrauen. Allerdings sei eine konspirative Zusammenarbeit mit ihm schon lange nicht mehr möglich, da seine Aktivitäten zu sehr in den Blick der Öffentlichkeit geraten seien. Albrecht habe von der PLO deshalb Geld erhalten, um einen legalen Fahrzeug-Handel aufzubauen und gleichzeitig sei er beauftragt worden, über die rechtsextremistische Szene zu berichten. Die Palästinenser bestätigen der Staatssicherheit, dass Albrecht in Beirut tatsächlich rund 20 Koffer mit Dokumenten und Fälscherwerkzeug deponiert habe. Beide Seiten sind sich einig, dass Albrecht "zur "Vermeidung von politisch-negativen Folgen […] schnellstmöglich aus der DDR zu entfernen" sei. Die Palästinenser sagen zu, dass sie Albrecht zunächst nach Damaskus "und von dort weiter in Sicherheit" bringen wollen. Um die Ausreise zu ermöglichen, soll ihm ein falscher libyscher Ausweis ausgestellt werden: Ahmed Salem Mahmaad, geboren 1940 in Sabha und dort auch wohnhaft. Am 12. August soll Albrecht die DDR verlassen.

Nach Aussagen von Abu Daoud will Albrecht "nach wie vor, für die Interessen der PLO" kämpfen. In der Haft habe sich bei ihm die Überzeugung gefestigt, "dass die PLO mit allen Mitteln unterstützt werden müsse und der Kampf der PLO ein gerechter sei." Gleichzeitig habe sich Albrechts "nationalsozialistische Haltung abgeschwächt".

Die Staatssicherheit analysiert die Vernehmungen akribisch. Es geht um die Glaubwürdigkeit des Flüchtlings. Die Vernehmer suchen nach Widersprüchen, vergleichen die Aussagen mit anderen Dokumenten und formulieren offene Fragen. Eine offene Frage ist vor allem die Identität und der Hintergrund von "Jung". In den Archiven des MfS findet sich über den Mann nichts. Insgesamt ist die Staatssicherheit mit den Aussagen Albrecht zufrieden. "Zahlreiche operativ vorliegende Feststellungen" seien durch Albrecht bestätigt worden. In wesentlichen Punkten" seien sogar neue Erkenntnisse gewonnen worden. Hier wird besonders die "Wehrsportgruppe Hoffmann" genannt.

Ausreise nach Damaskus

Inzwischen berichten bundesdeutsche Zeitungen über die Flucht. Die "Berliner Morgenpost" spricht von "Tragikomik an der innerdeutschen Grenze" und wirft den Behörden "unglaubliche Mischung aus Leichtsinn und Naivität" vor. Die filmreife Flucht macht sogar international Schlagzeilen. Anfang September widmet "Der Spiegel" Albrecht ein ausführliches Porträt: "Dr. Schreck und die Neonazis". Das Magazin zeichnet die Verbindungen von Neonazis, Fluchthelfer-Szene und PLO-Terroristen detailliert nach. Die Staatssicherheit nimmt den Artikel genau unter die Lupe. Welche Fakten stimmen und können aus eigenen Erkenntnissen bestätigt werden? Was ist neu? Das Fazit: "Der Artikel basiert auf einer Mischung von Tatsachen, Halbwahrheiten und Spekulationen." Die vom "Spiegel" kolportierten Verbindungen Albrechts zur Staatssicherheit werden intern dementiert: "Kontakte zum MfS bestanden bis zu seinem Grenzübertritt in die DDR nicht." Dagegen schweigen die DDR-Medien. In den Zeitungen gibt es, wie von der Stasi angewiesen, keine Meldung zur Flucht Albrechts.

Am 7. August stellt der Bundesgrenzschutz seine "Aktivfahndung" nach Albrecht ein. Allerdings werden "weiterhin die Grenzübergänge besonders überwacht, die für eine Abschiebung in Frage kommen."

8. August 1981. Um 1:15 Uhr in der Nacht ist Bewegung am Diensteingang C des Flughafens Berlin-Schönefeld. Die Staatssicherheit übergibt Albrecht an zwei Vertreter der PLO. Albrecht bekommt einen falschen libyschen Pass ohne DDR-Stempel. Dann darf er in die Interflug-Maschine 824. Um 2:50 Uhr hebt der "Ausbrecherkönig" Ahmed Salem Mahmaad unbehelligt nach Damaskus ab.

Am 12. August meldet "Bild", die DDR weigere sich, Albrecht an die Bundesrepublik auszuliefern. Sie behalte den Rechtsextremisten. Eine Quelle für diese Behauptung nennt das Blatt nicht. In einem Vermerk des Bundesinnenministerium heißt es dazu schlicht: Die Meldung stimme so nicht, die DDR habe auf das Schreiben aus Hamm lediglich noch nicht geantwortet.

Deckname "König"

Am 17. August 1981 legt die Staatssicherheit eine eigene Akte zu Albrecht an. Es ist keine Spitzel-Akte, sondern eine Personenkontrolle. Die Operative Personenkontrolle des "Ausbrecherkönigs" bekommt den Decknamen "König". Den Genossen von der Abteilung XXII, die für Terrorabwehr zuständig ist, ist Albrecht bekannt. Er gehöre "zu den Vertretern des Rechtsextremismus in der BRD". Und er unterhalte "eine Vielzahl von Verbindungen" in den arabischen Raum. Das Ziel der Personenkontrolle: "Abwendung von Gefahren und Sicherheitsrisiken für die DDR und ihre Verbündeten." Es soll weiter Material über Albrecht gesammelt werden. Die Akten haben am Ende einen Umfang von rund 1.800 Blatt. In dem umfangreichen Aktenbestand gibt es keine Verpflichtung Albrechts. Auch sonstige Vereinbarungen sind nicht dokumentiert. Zwar interessiert sich das MfS nach Albrechts Abflug weiter für ihn, aber es gibt keine Kooperation.

Am 16. September trifft in Hamm der Brief aus Ost-Berlin ein. In dem Brief, der vom 8. September datiert und von Generalstaatsanwalt Josef Streit, der als Kommunist viele Jahre in KZ-Haft saß, unterzeichnet wurde, heißt es, dass dem bundesdeutschen Ersuchen aus rechtlichen Gründen nicht entsprochen werden könne. Die Auslieferung des Neonazis sei abgelehnt worden, weil die Gegenseitigkeit nicht gegeben sei. Die DDR bezog sich dabei auf den "Fall Weinhold". Der Generalstaatsanwalt in Hamm hatte es 1976 abgelehnt, dem geflüchteten DDR-Grenzsoldaten an die DDR auszuliefern. "Im übrigen" informieren die DDR-Behörden, dass der "widerrechtlich in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik eingedrungene Beschuldigte Udo Albrecht hier zwischenzeitlich ausgewiesen" worden sei. In welches Land Albrecht geschickt worden sei, wird nicht mitgeteilt. Die westdeutschen Fahnder machen die Antwort aus der DDR umgehend öffentlich.

Intern rätseln die bundesdeutschen Ermittler, wo sich Albrecht jetzt aufhalten könnte. Es sei nicht auszuschließen, dass Albrecht in ein Land seiner Wahl ausgewiesen worden sei und er sich wieder im Libanon aufhalte. Derweil stellt am 25. September 1981 das Landgericht Dortmund das Verfahren gegen Albrecht vorläufig ein, da der Angeklagte "auf unbestimmte Zeit" abwesend sei. Gleichzeitig wird ein neuer Haftbefehl erlassen.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr