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SpracheLandtag appelliert: Landesbehörden sollen nicht gendern

11. November 2022, 14:35 Uhr

Die Thüringer Landtagsverwaltung, die Landesregierung und die Landesbehörden sollen keine gendergerechte Sprache verwenden. Diesen Appell hat der Landtag auf Antrag der CDU beschlossen. Inzwischen regt sich Protest.

Thüringer Landesbehörden sollen nach dem Beschluss des Landtages künftig ausschließlich die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung befolgen. Nicht empfohlen hat der Rat unter anderem Konstruktionen mit Binnen-I ("PolitikerInnen"), Unterstrichen ("Politiker_innen") oder Sternchen ("Politiker*innen").

74 Abgeordnete waren anwesend, als über den CDU-Antrag in der Nacht zu Freitag abgestimmt wurde. In namentlicher Abstimmung votierten 38 für den Antrag und 36 dagegen. Nach dpa-Informationen kamen die Stimmen gegen die Nutzung der Gendersprache ausschließlich von CDU und AfD sowie den vier Abgeordneten der Gruppe der Bürger für Thüringen, von denen drei Ex-AfD-Mitglieder sind. Damit setzte sich bei diesem eher symbolischen Entscheid die Opposition gegen die Landtags-Fraktionen der amtierenden Minderheitsregierung von Linke, SPD und Grünen durch.

Der "Gendern? Nein Danke!"-Antrag der CDU-Fraktion zum Nachlesen

Deutschlandweit einzigartig - aber kein Verbot

Auf die Gendersprache verzichten sollen der Landtag und die Ministerien, aber auch alle nachgeordneten Einrichtungen des Landes bis hin zu staatlichen Schulen. Zu Hochschulen, Einrichtungen der Rechtspflege und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie dem MDR heißt es in dem Antrag, die Landesregierung solle sich dafür einsetzen, dass auf Gendersprache verzichtet wird.

Ausdrücklich empfohlen wird die Verwendung des generischen Maskulinums im Schriftverkehr der Behörden ("Politiker"). Der bundesweit einzigartige Beschluss ist jedoch kein Verbot, sondern nur ein Appell. Grund ist, dass der Antrag nicht als Gesetz gefasst worden war.

CDU: Mehrheit lehnt Gendern ab

Christoph Zippel von der CDU nannte als Grund für den Antrag, dass eine Mehrheit der Deutschen nach verschiedenen Umfragen "Gendersprache" ablehne. Sie würde teilweise als Bevormundung empfunden und sei "ein Eliteprojekt einer kleinen Minderheit."

Der Linken-Abgeordnete Christian Schaft warf der CDU Stimmungsmache vor. Er sagte, die CDU betreibe einen rechten Kulturkampf "wie man ihn sonst von der AfD-Fraktion erwarten würde." Die rot-rot-grüne Minderheitskoalition hatte zuvor versucht, mit einer "Selbstverpflichtung zu einer respektvollen Kommunikation" als Gegenantrag einen Kompromiss zu finden.

Die SPD-Abgeordnete Cornelia Klisch sagte, die CDU verkenne, dass sich Sprache ständig weiterentwickle. Sie bezeichnete gendersensible Sprache als "legitimes Mittel, die Gleichheit der Geschlechter zum Ausdruck zu bringen."

Die AfD-Abgeordnete Corinna Herold hatte vor der Abstimmung angekündigt, dass ihre Fraktion den CDU-Antrag unterstützen werde und nannte gendergerechte Sprache "Sprachverhunzung". Ute Bergner von den Bürgern für Thüringen bezeichnete es als "unsinnig" und eine "Unkultur". Die Gruppe der FDP beteiligte sich nicht an der Abstimmung.

Thüringens Staatskanzleiminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) sagte, die Landesregierung halte sich an die Regeln, die unter anderem durch Gleichstellungsgesetze oder die Rechtsprechung gesetzt seien. Mit der geschlechtergerechten Sprache sei es wie mit der Frauenquote, so Hoff. «Sie muss erkämpft werden.»

Was ist gendergerechte Sprache?

  • Das Wort "gender" kommt aus dem Englischen und bedeutet Geschlecht. Damit ist nicht das biologische Geschlecht, sondern das soziale Geschlecht gemeint.
  • Ein soziales Geschlecht bezieht sich auf alles, was als typisch für Frauen und Männer gilt. Es geht um das gelebte und gefühlte Geschlecht, nicht um das aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesene Geschlecht. 
  • Gendern bedeutet geschlechtergerechte Sprache. Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung alle Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden.
  • Im Deutschen wird bis heute meist das generische Maskulinum verwendet, also die männliche Variante. Personen und Berufe werden grammatisch männlich bezeichnet, obwohl es in aller Regel auch eine weibliche Wortform gibt.
  • Seit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption "divers" im Jahr 2018 wird zudem über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten.
  • Diskussionen über eine geschlechtergerechte deutsche Sprache gibt es seit den 1970er Jahren. Die Positionen sind oft verhärtet. Die einen sehen Gendern als Ausdruck der Gleichstellung, andere empfinden es als Sprachverhunzung und Bevormundung.

(Quelle: lpb-bw.de)

Formen der gendergerechten Spache:

  • Beidnennung: Beide Geschlechter werden genannt (z. B. Lehrerinnen und Lehrer) oder die weibliche Form wird durch Abkürzung hinzugefügt (Lehrer/-innen; LehrerInnen).
  • Neutralisierung: Die männliche Form wird durch geschlechterneutrale Formen (z. B. Lehrkraft) oder Substantivierung (z. B. Lehrende) ersetzt. 
  • Gender-Zeichen: Für die mehrgeschlechtliche Schreibweise wird zwischen männlicher Form und weiblicher Endung ein Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ergänzt (z. B. Lehrer*innen, Lehrer_innen, Lehrer:innen). Die Sonderzeichen sind Platzhalter für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen.

(Quelle: Quarks.de)

Bildungsgewerkschaft: CDU bleibt reaktionärer Tradition treu

Die Bildungsgewerkschaft GEW kritisierte den Landtagsbeschluss scharf. Der Thüringer GEW-Vizechef Thomas Hoffmann erklärte am Freitag, mit ihrem "Gendern? Nein danke!"-Antrag bleibe die Landes-CDU ihrer reaktionären Tradition treu. Die GEW erinnerte daran, die damals CDU-geführte Thüringer Landesregierung vor mehr als 20 Jahren beim Bundesverfassungsgericht erfolglos gegen die eingetragene Lebenspartnerschaft geklagt hat.

Der Beschluss sei für die GEW ein Schlag ins Gesicht gegen alle, die sich bemühen, inklusiv zu handeln und auch sprachlich niemanden auszugrenzen. Die GEW schrieb von einer "Missachtung derjenigen Menschen, die nicht mit der maskulinen Form bezeichnet werden wollen" und von einer Bevormundung der Bildungs-Beschäftigten im Landesdienst.

Universität Jena bleibt bei Empfehlung zur geschlechtergerechten Sprache

Walter Rosenthal, Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena, rät dazu, den Umgang mit dem Thema nicht durch politisch motivierte Maßgaben zu polarisieren. "Sprache wird an der Friedrich-Schiller-Universität Jena wissenschaftlich betrachtet. Studien der Sprachwissenschaften, Soziologie und Psychologie haben gezeigt, dass Sprache die Welt nicht nur abbildet, sondern formt und sich auf die soziale Wahrnehmung und das Verhalten auswirkt."

Die Freiheit von Forschung und Lehre ist den Universitäten sehr wichtig. Bildrechte: FSU/Günther

Aus diesem Grund halte die Universität an ihren Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache fest. "Den Universitätsangehörigen ist es mit Verweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre freigestellt, die vielfältigen sprachlichen Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Sprache für sich zu wählen", so Rosenthal. Gleichzeitig werde niemandem ein Nachteil entstehen, der auf das Gendern verzichte.

Beschluss über mehr Geld für Beamten und für Expertenkommission

Außerdem entschied der Landtag, dass Landesbeamte ab Dezember mehr Geld bekommen. Außerdem soll eine Expertenkommission prüfen, ob die Parlamentarier bei Steuern und Sozialversicherung mit der übrigen Bevölkerung gleichgestellt werden können.

MDR (seg/ls), dpa, epd

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 10. November 2022 | 19:00 Uhr

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