PEN Berlin in Pößneck Wenn das Bildungsbürgertum in Pößneck eintrifft
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27. August 2024, 18:00 Uhr
Der Schriftstellerverband PEN Berlin organisiert eine Gesprächsreihe in Ostdeutschland. Der Journalist Christian Fuchs und die Autorin Peggy Mädler haben in Pößneck diskutiert, ob die Meinungsfreiheit gefährdet ist. Im Alternativen Freiraum waren aber kaum Gesprächsbereite anwesend.
- PEN-Sprecher Deniz Yücel hat die Veranstaltung in Pößneck mit einem Spiel zur Meinungsfreiheit eröffnet
- Die Diskussion schweifte schnell ab von der Meinungsfreiheit auf den Osten und die Demokratie
- Ideen zum Umgang mit anderen Meinungen kamen aus dem Publikum
Eigentlich, sagt Deniz Yücel, sollte die Veranstaltung schon begonnen haben. Doch es gibt zwei Probleme. Das erste ist die Deutsche Bahn. Christian Fuchs, Autor für "Die Zeit" und für das Podium vorgesehen, kommt nicht rechtzeitig von Berlin aufs Land.
Das zweite Problem ist die Montagsdemonstration, die sei immer ziemlich laut hier in Pößneck und würde gleich noch vorbeiziehen. Dabei sollte sie kein Problem sein, waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer doch herzlich eingeladen, gemeinsam über Meinungsfreiheit zu diskutieren.
PEN Berlin auf Ostreise
Das war zumindest der Plan. Denn der PEN Berlin ist gerade auf großer Ostdeutschlandtournee. Unter dem Motto "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" organisiert der Schriftstellerverband, der einst aus der Spaltung des PEN Zentrums Deutschland hervorging, eine Gesprächsreihe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Pünktlich zu den bevorstehenden Landtagswahlen sind die Schriftstellerinnen und Autoren unterwegs im Einsatz für die Meinungsfreiheit.
PEN Die Abkürzung PEN steht für die englischen Worte "Poets, Essayists, Novelists". Gleichzeitig bedeutet "pen" im Deutschen "Stift". Nach Vorbild der vor rund 100 Jahren in England gegründeten Schriftstellervereinigung entstanden auch in vielen anderen Ländern weltweit Zusammenschlüsse von Autoren, Übersetzern und Verlegern. PEN Berlin gibt es seit 2022, nachdem Deniz Yücel mit dem älteren PEN-Zentrum Deutschland gebrochen hatte.
Der PEN Berlin hat sich entschieden, nicht in Weimar und Jena aufzutreten, sondern dorthin zu gehen, wo sich die Menschen abgehängt fühlen, wo sie das Gefühl haben, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Dort, wo die Montagsdemonstration auch ohne konkreten Anlass weiterhin großen Zuspruch erhält.
In Pößneck hat PEN Berlin in den Alternativen Freiraum geladen, laut Yücel der "punkigste Ort der ganzen Reihe". Es gibt Bier für einen Euro, manche trinken Mate, diskutiert wird vor Graffiti.
Alle sollen mitmachen
Yücel überbrückt die Wartezeit und erklärt kurz, was der PEN Berlin ist und dass er sich im vergangenen Jahr in Gotha gegründet hat. "Eine thüringische Gründung, wie sonst nur die SPD oder der NSU", sagt er. Damit ist der Ton der Veranstaltung gesetzt.
Yücel beginnt mit einem kleinen Spiel. Er stellt Fragen, bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer bei Zustimmung die Hand heben sollen. Alle müssten sich beteiligen. Dabei fallen die typischen Fragen, die sämtliche Ostklischees thematisieren: Wer sagt noch Kaufhalle? Wer sagt noch Broiler? Wer findet Badekleidung überbewertet?
Yücel versucht, ein Stimmungsbild des Publikums einzuholen. Wer findet, dass Windräder die Landschaft verschandeln? Keine Meldung. Wer findet, dass Windräder das Schönste an Sachsen-Anhalt sind? Verzögerte Meldungen. Wer findet, dass die AfD eine gefährliche Partei ist? Viele Meldungen.
Eine Frage vergisst er dabei: Wer kommt aus Pößneck? Die Frage wird in der anschließenden Publikumsdiskussion gestellt. Nur eine Person meldet sich, eine Direktkandidatin für die anstehenden Landtagswahlen. Der Rest ist zugereist.
Typische Diskussion um den Osten
Gut besucht ist die Veranstaltung nicht. Rund 30 Stühle wurden hingestellt, die Hälfte ist besetzt, wenn die Organisatoren mitgezählt werden. Doch davon lässt sich der PEN Berlin nicht verunsichern. Zum Diskutieren ist neben Christian Fuchs die Autorin und gebürtige Dresdnerin Peggy Mädler eingeladen, moderiert wird die Veranstaltung von der Erfurter Lokaljournalistin Kathleen Kröger.
Zunächst bleibt das Gespräch auf der Bühne. Die Autorin und der Journalist überlegen im Gespräch, ob die Meinungsfreiheit gefährdet ist und woher das Gefühl kommt, dass man nichts mehr sagen darf. Christian Fuchs sagt, dass wir zwar Soziale Medien haben und damit jeder zum Sender geworden sei, doch nicht für jede Meinung gebe es Empfänger. Dabei bleibt die Diskussion im bildungssprachlichen Bereich. Peggy Mädler spricht von einem möglichen DDR-Reenactment und Triggerpunkten, die die Leute einschließlich sie selbst, emotionalisiert zurückließen.
Irgendwann schweift die Diskussion ab in Richtung Osten. Das Publikum wird in die Gesprächsrunde einbezogen und stellt Fragen. Hat der Osten ein Demokratieproblem? Ist er gar diktaturgeschädigt?
Dabei passiert etwas, was auf vielen Gesprächsrunden dieser Art passiert. Die Menschen stellen sich die Frage, ob der Westen Recht hat damit, wenn er über den Osten urteilt? Dabei vergessen sie aber, darüber nachzudenken, wie sie selbst anders über den Osten reden können, wie sie selbst die Räume wieder öffnen können für diejenigen, die glauben, nicht mehr gehört zu werden.
Raum schaffen zum Reden
Martin Rech, der Vorsitzende des Alternativen Freiraums, entlarvt die Veranstaltung dann mit der Frage, die Deniz Yücel vergessen hat. Denn kaum jemand der Anwesenden kommt wirklich aus Pößneck, das Gesprächsangebot wird zumindest hier kaum angenommen. Ein Wahlkämpfer für die Grünen aus Jena sagt, die Leute hätten das Interesse verloren, überhaupt noch zu sprechen, er würde nicht einmal mehr angepöbelt. Anastasia Rahaus, Direktkandidatin der Linken, hält dagegen. Man müsse nur bei den Leuten klingeln und sagen, dass man von nebenan sei, das Interesse sei grundsätzlich vorhanden.
Mehr als einladen können wir nicht. Das klappt mal mehr, mal weniger. Der Erfolg der Reihe bemisst sich nicht allein daran, wie viele Leute von der Montagsdemonstration hier rüberkommen.
Yücel ist überzeugt von der Veranstaltung. Niemand sei hier, um die Leute zu belehren, sondern es sei ein reines Gesprächsangebot in einer Zeit, in der es um konkurrierende Fakten gehe. "Mehr als einladen können wir nicht. Das klappt mal mehr, mal weniger. Der Erfolg der Reihe bemisst sich nicht allein daran, wie viele Leute von der Montagsdemonstration hier rüberkommen."
Zum Ende der Veranstaltung überlegen Podium und Publikum, wie man es wieder gerade biegen könne mit der Meinungsfreiheit. Die Ideen sind vielfältig. Man könnte kostenlose Tageszeitungen etablieren, mehr Demokratieprojekte finanzieren oder einfach mehr freie Rednerpulte in den Fußgängerzonen installieren. Wenn dann jemand etwas Faschistisches sagt, könne man ihn ja einfach entkräften.
MDR (luh)