Neuwahl-Streit Analyse zum Neuwahl-Streit in Thüringen: Warum die Lage so verfahren ist

17. Juni 2021, 18:48 Uhr

In Thüringen geht der Politkrimi weiter, der am 5. Februar 2020 mit der Wahl des Dreitage-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD begann. Jetzt ist die Corona-Zwangspause vorbei, und die politischen Akteure lassen die Fetzen fliegen über die Frage, ob und wann es jetzt tatsächlich Neuwahlen zum Thüringer Landtag geben soll. Versprochen sind sie ja. Aber halten Linke, CDU, SPD und Grüne diese Zusage auch ein? Am Donnerstag wurde die Entscheidung wieder vertagt.

Ursprünglich klang die Rechnung simpel: 42 Stimmen der rot-rot-grünen Minderheitskoalition in Thüringen plus 21 von der CDU macht 63. Das sind gleich drei Stimmen mehr als für eine Zweidrittelmehrheit im Thüringer Landtag nötig sind - denn die fordert die Landesverfassung mindestens für eine Selbstauflösung des Parlaments als Voraussetzung für Neuwahlen.

Rot-Rot-Grün und CDU hatten sich darüber verständigt , die Thüringer vorzeitig zur Wahl zu bitten, um die schwierige Situation mit linksgeführter Minderheitsregierung bei partieller Duldung durch die CDU zu beenden. Aber dann kündigten vier CDU-Abgeordnete Widerstand an.

Plötzlich Bauchschmerzen

Es geht um Michael Heym, Jörg Kellner, Maik Kowalleck und Christina Tasch. Die begründen Ihre Ablehnung so: Der Landtag sei doch für fünf Jahre gewählt, das Risiko auf ein ähnlich schwieriges Wahlergebnis wie 2019 viel zu groß, das Land doch im Großen und Ganzen regierungsfähig. Warum also Neuwahlen?

Nicht nur die Kolleginnen und Kollegen in der CDU-Landtagsfraktion rieben sich die Augen. Wie kann das sein? Christdemokraten, die die Chance einen roten Ministerpräsidenten abzuwählen, verstreichen lassen wollen? Schließlich verkündet doch CDU-Fraktionschef Mario Voigt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass Rot-Rot-Grün unter Führung des Linken Bodo Ramelow nicht einen Tag länger im Amt sein dürfe als nötig. Es sei daher die Pflicht eines jeden Christdemokraten … aber die Vier bleiben beim Nein.

Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach

Die Erklärungsversuche geraten schnell ins Persönliche: Alle vier seien Gefolgsleute des ehemaligen, in der Landtagswahl 2019 gescheiterten CDU-Frontmanns Mike Mohring. Ihre Renitenz sei quasi ein Zeichen dafür, dass der geschasste und von Mario Voigt beerbte Mohring in der CDU immer noch einen Schatten wirft. "Mikes Fanclub ist aktiv", raunt es.

Und: Außer bei Maik Kowallek neigt sich die politische Laufbahn der CDU-Renegaten in Richtung Abendsonne - die Legislatur 2019 bis 2024 hätte vom Alter her gut die letzte vor der Pension sein können. Warum soll man sich da den Tort antun und sich vorfristig Neuwahlen stellen? "Denen ist das Hemd näher als der Rock", heißt es unter Verweis auf drei Jahre Abgeordneten-Bezüge, die gerade auf der Kippe stehen.

Rot-Rot-Grün und CDU spielen Schwarzer Peter

Zur Motivlage befragen lassen sich "Die Vier" übrigens nicht: Nachfragen versanden, zurückgerufen wird nicht. Auch dass die FDP-Landtagsabgeordnete Ute Bergner mittlerweile erklärt hat, ebenfalls für Neuwahlen zu sein, hat die Lage nicht beruhigt.

Die schnell von CDU-Fraktionschef Voigt aufgemachte Rechnung - 42 + 21 – 4 + 1 = reicht doch! - wollen Linke, SPD und Grüne nicht akzeptieren und nennen die ganze Chose ein Problem der CDU: Fraktionschef Voigt habe seine Leute entweder nicht (mehr) im Griff oder schon bei den Verhandlungen im vergangenen Jahr mit einem ungedeckten Scheck bezahlt. Also den vorgezogenen Neuwahlen zugestimmt, obwohl er sich der Zustimmung seiner Leute nicht sicher sein konnte.

Voigt hingegen verbittet sich, so wörtlich, "taktische Spielchen" und versichert, dass es die nötige Mehrheit für die Landtagsauflösung geben werde. Stattdessen fordert er die Regierungskoalition auf, die Abstimmung aus eigener Kraft zu beantragen – dafür hätte Rot-Rot-Grün genügend eigene Stimmen.

Deal von 2020: CDU hilft Rot-Rot-Grün und bekommt Pause zugestanden

Über vorgezogene Neuwahlen wird in Thüringen geredet, seit die AfD den FDP-Mann Thomas L. Kemmerich am 5. Februar 2020 unter Verwendung eines Schein-Kandidaten zum Ministerpräsidenten gewählt hatte. Bekanntlich nahm Kemmerich die Wahl ein wenig verdattert an, um kurz danach zurückzutreten.

Damals hätten die Linken die Gunst der Stunde gerne genutzt und sofort neu gewählt, während die CDU das aus Angst vor dem politischen Absturz vereitelte. Bekanntlich lieferten die Thüringer Christdemokraten dafür sogar ihre Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer ans Messer.

Weil die rot-rot-grüne Minderheitskoalition für die Ministerpräsidentenwahl aber auf Stimmen der CDU angewiesen war, handelten der Linke Bodo Ramelow mit dem Christdemokraten Mario Voigt einen Deal aus, den sogenannten Stabilitätspakt: Die CDU hilft bei der Wahl des linken Regierungschefs im Landtag und arbeitet beim Landeshaushalt konstruktiv mit.

Im Gegenzug gestand Rotrotgrün der gebeutelten CDU eine Erholungspause zu - die vorgezogenen Neuwahlen sollten frühestens im April 2021 stattfinden. Wegen Corona wurde der Termin auf den Tag der Bundestagswahl, also den 26. September, verschoben.

Alles Weitere regelt die Thüringer Verfassung

Wer den Landtag auflösen will, muss eine hohe Hürde nehmen – mindestens zwei Drittel der 90 Abgeordneten müssen zustimmen. Außerdem gelten bestimmte Fristen: Wenn die Landtagswahl am 26. September stattfinden soll, dann muss sich der Landtag spätestens am 19. Juli selbst auflösen. Die Abstimmung über die Selbstauflösung muss in der Zeit zwischen dem 18. Juni und 7. Juli von mindestens einem Drittel der Abgeordneten beantragt werden.

Die Hängepartie geht weiter

Am Donnerstag haben Rot-Rot-Grün und die CDU verhandelt, allerdings ohne konkretes Ergebnis. CDU-Fraktionschef Mario Voigt kam mit dem Angebot, 10 von 21 Abgeordneten würden den Antrag auf Einleitung der Abstimmung unterschreiben. Mit Blick auf die eigentliche Abstimmung blieb er vage, aber selbstbewusst: "Die Mehrheit steht!" Und vielleicht finde die FDP-Abgeordnete Bergner ja noch Nachahmer in ihrer liberalen Landtagsfraktion.

Steffen Dittes (Linke), Matthias Hey (SPD) und Astrid Rothe-Beinlich (Grüne) reicht das nicht. Sie wollen jetzt mit ihren Fraktionen darüber sprechen – also am kommenden Mittwoch in den regulären Fraktionssitzungen. Bis zum 7. Juli ist ja noch ein bisschen Zeit.

Und wenn die Neuwahl doch nicht kommt?

Und was passiert, wenn der Auflösungsbeschluss am 19. Juli nicht zustande kommt? Dann regiert Rot-Rot-Grün als Minderheitskoalition weiter. Aber: "Der Stabilitätspakt endet mit Beginn der Parlamentarischen Sommerpause", gibt CDU-Fraktionschef Voigt zu bedenken.

Also ist Thüringen danach unregierbar? Da weicht Voigt ein bisschen aus: Seine CDU sei eine verantwortungsbewusste Partei. Also doch Zustimmung von Christdemokraten bei wichtigen Entscheidungen, etwa beim Landeshaushalt? "Die Minderheitskoalition darf nicht glauben, dass sie einfach so weiter wurschteln kann."

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 17. Juni 2021 | 19:00 Uhr

61 Kommentare

knarf2 am 19.06.2021

Denkender:Tut mir leid wenn Sie Ironie nicht erkennen.Von abwertend kann meiner Meinung nach nicht die Rede sein.Außerdem liegt es mir fern andere Menschen zu beleidigen

knarf2 am 19.06.2021

sh.Das stimmt nur bis zu dem Punkt wo sich eben mehrere Parteien zusammen schließen und somit auch die Mehrheit
haben auch wenn es dem Einzelnen nicht gefällt

Nico Walter am 19.06.2021

„Die Wutausbrüche so mancher "Demokraten" im Bundestag, wenn ihnen Fakten gesagt werden?“

Hätten Sie dafür mal ein Beispiel?

Im Übrigen glaube ich, es ging hier um die Sprache der AfD, die ist mir bisher eigentlich noch nicht durch übermäßiges Gendern aufgefallen. (Es sei denn, Höckes Klage, Europa habe seine Männlichkeit verloren, fällt für Sie darunter, die unter dem Geschlechter-Aspekts ja vor allem deshalb interessant ist, weil Europa als Tochter des Agenor jetzt nie wirklich männlich war. :-)

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