Landtagswahl Wie nach der Wahl der Machtwechsel in Thüringen abläuft
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04. September 2024, 11:34 Uhr
Nach der Landtagswahl werden in Thüringen die Karten politisch neu gemischt. Wie der neue Landtag und der Ministerpräsident gewählt werden und wo es Probleme geben könnte.
Nach der Thüringer Landtagswahl am Sonntag müssen sich nun ein neuer Landtag und eine neue Landesregierung zusammenfinden. Die politischen Mehrheitsverhältnisse bleiben absehbar sehr schwierig. Daher gibt es einige Punkte, die für Diskussionen sorgen. Es geht nicht nur um die Wahl des Ministerpräsidenten, sondern zuvor auch um die Wahl des Landtagspräsidenten und darum, wie lange der bisherige Landtag noch amtiert. Ein Überblick über den Ablauf des Machtwechsels in Thüringen.
- Wieso kann es mehr als 88 Thüringer Landtagsabgeordnete geben?
- Was sind die nächsten Schritte der neuen Abgeordneten nach der Landtagswahl?
- Bis wann ist die bisherige Regierung nach der Wahl noch im Amt?
- Bis wann muss der neue Landtag zusammentreten?
- Warum ist die Wahl des neuen Landtagspräsidenten so wichtig?
- Wie wird der Ministerpräsident gewählt und wo könnte es Probleme geben?
- Könnten Neuwahlen eine Lösung in einer Regierungskrise sein?
Wer errechnet, welche Abgeordnete in den Thüringer Landtag einziehen?
Nach der Schließung der Wahllokale am Sonntag sind die Stimmen in ganz Thüringen ausgezählt. Der Landeswahlausschuss sammelte dafür die Ergebnisse aus allen Wahllokalen. Er hat daraus errechnet, wie viele Landtagssitze jede Partei erhält, die mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommen hat.
Im Landeswahlausschuss sitzen nach Angaben des Landeswahlleiters neben dem Landeswahlleiter Holger Poppenhäger zwei Richter des Thüringer Oberverwaltungsgerichts sowie je ein Vertreter von Linke, AfD, CDU, SPD, Grüne und FDP.
Mit dem amtlichen Endergebnis einige Tage nach der Wahl stehen die 44 Direktkandidaten endgültig fest, die jeweils mit der Erststimme auf dem Wahlzettel die meisten Stimmen erhalten haben und somit als direkt gewählte Abgeordnete in den Thüringer Landtag einziehen. Falls es wirklich einmal zu einer Stimmengleichheit zwischen zwei Direktkandidaten kommen sollte, wird gelost.
Weitere 44 Landtagsabgeordnete sind über vorher festgelegte Kandidatenlisten eingezogen. Ob es ein Kandidat davon in den Landtag schafft, haben die Wähler vor allem mit ihrer Zweitstimme entschieden. Mit dieser gaben sie einer Partei ihre Stimme. Die Kandidatenlisten haben die Parteien vor der Wahl selbst festgelegt. Das führte ebenso wie bei der Wahl der Direktkandidaten oftmals zu Diskussionen, Machtkämpfen oder Kampfkandidaturen in den Parteien.
Wieso kann es mehr als 88 Landtagsabgeordnete geben?
Entscheidend für die Mehrheitsverhältnisse der Parteien im Landtag ist die Zweitstimme für die Partei. Das Wahlverfahren mit Erststimme und Zweitstimme kann jedoch dazu führen, dass eine Partei mehr Direktmandate durch die Erststimmen erhält, als ihr nach den Zweitstimmen zustehen würden. Diese direkt gewählten Kandidaten können trotzdem ihr Mandat - diese Mandate werden Überhangmandate genannt - im Landtag annehmen.
Wann gibt es Überhangmandate? Ein Beispiel
Beispiel: Eine Partei hat aufgrund der Zweitstimmen Anspruch auf 20 Sitze im Thüringer Landtag, gewinnt aber in 21 Wahlkreisen ein Direktmandat. Da alle mit der Erststimme direkt gewählten Kandidaten Anspruch auf einen Sitz im Landtag haben, erhält die Partei einen Sitz beziehungsweise ein Überhangmandat mehr, als ihr prozentual zustehen würden.
Um die Sitzverteilung im Landtag trotzdem möglichst gerecht wiederzugeben, kann es sogenannte Ausgleichsmandate geben. Nach einem bestimmten Verfahren werden dabei den anderen Parteien zusätzliche Abgeordneten-Sitze zugeteilt. Das ist der Grund, warum im Thüringen bisher Landtag 90 statt 88 Abgeordnete sitzen. Nach der Landtagswahl am 1. September gab es jedoch keine Überhangmandate.
Übrigens: Es hätte auch passieren können, dass kein Kandidat der Landesliste einer Partei in den Thüringer Landtag einzieht. Das wäre der Fall gewesen, wenn die Partei mindestens so viele Direktmandate holt wie ihr nach den Zweitstimmen zustehen. Das ist einer der Gründe, warum Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, der 2019 im Wahlkreis seines Wohnortes im katholisch geprägten Eichsfeld das Direktmandat nicht holen konnte, dieses Mal im Kreis Greiz antrat. Dort sah er bessere Chancen für sich. Doch er holte auch im Kreis Greiz kein Direktmandat. Jedoch zieht er über die Zweitstimmen seiner Partei in den Landtag ein.
Was sind die nächsten Schritte der neuen Abgeordneten nach der Landtagswahl?
Wenn der Landeswahlausschuss das amtliche Wahlergebnis in der Regel wenige Tag nach der Wahl feststellt, müssen die gewählten Landtagsabgeordneten ihre Wahl zunächst annehmen. Dann gründen die gewählten Politiker einer Partei eine Fraktion im Landtag, sobald es mindestens fünf Abgeordnete sind. Eine Fraktion hat mehr Rechte und bekommt mehr staatliche Unterstützung als einzelne Abgeordnete. Vier Abgeordnete können eine parlamentarische Gruppe bilden, die jedoch wie die FDP in der abgelaufenen Landtagsperiode über weniger Rechte und Geld als eine Fraktion verfügt.
Bis wann ist die bisherige Regierung nach der Wahl noch im Amt?
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist nach Artikel 75 der Thüringer Verfassung verpflichtet, so lange weiterzuregieren, bis eine neue Regierung gebildet wurde. Er kann seine bisherigen Minister "ersuchen", bis dahin weiter im Amt zu bleiben.
Bis wann muss der neue Landtag zusammentreten?
Ein neuer Landtag muss sich spätestens 30 Tage nach der Wahl, also am 1. Oktober 2024, konstituieren. Die erste Sitzung beruft noch die bisherige Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) ein. Sie leitet diese aber nicht mehr.
Sind die bisherigen Abgeordneten nach der Landtagswahl noch im Amt?
Ja. Bis zur ersten Sitzung des neuen Landtages üben die bisherigen Abgeordneten ihr Mandat weiter aus. Ob der Landtag noch im September oder erst im Oktober zusammentreten wird, ist dabei für die Abgeordneten nicht unerheblich. Falls das erst im Oktober geschieht, bekommen die bisherigen 90 Abgeordneten einen Monat länger ihre Diäten und sonstigen Einkünfte.
Wer leitet den neuen Landtag, solange es noch keinen neuen Landtagspräsidenten gibt?
Die erste Sitzung des Landtages wird vom Alterspräsidenten geleitet. Damit ist der älteste Abgeordnete gemeint. Wenn dieser ablehnt, übernimmt der nächstälteste Abgeordnete die Sitzungsleitung. Dieser führt damit auch durch die Wahl des neuen Landtagspräsidenten. Nach der Wahl ist voraussichtlich Jürgen Treutler (AfD) der älteste Abgeordnete im neuen Landtag. Er gewann die Wahl im Wahlkreis Sonneberg I.
In der ersten Sitzung des neues Landtages ernennt der Alterspräsident zwei vorläufige Schriftführer und lässt die Namen der Abgeordneten aufrufen. Das ist Voraussetzung dafür, dass der Landtag etwas beschließen kann. Wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist, kann der Landtag Beschlüsse fassen.
Warum ist die Wahl des neuen Landtagspräsidenten so wichtig?
Ohne einen neu gewählten Landtagspräsidenten ist keine Wahl eines neuen Ministerpräsidenten und damit keine neue Regierung in Thüringen möglich. Denn der Landtagspräsident beruft jeweils den Landtag ein, der dann den Ministerpräsidenten wählt.
Der Landtagspräsident hat neben der Leitung des Landtages organisatorische Aufgaben. Er stellt sicher, dass die Geschäftsordnung eingehalten wird, übt also Hausrecht, Ordnungs- und Polizeigewalt aus. Die Polizei darf zum Beispiel den Landtag oder die Abgeordnetenbüros nur durchsuchen oder Akten beschlagnahmen, wenn der Landtagspräsident zugestimmt hat.
Der Präsident repräsentiert schließlich den Landtag nach außen, indem er offizielle Reisen unternimmt, Delegationen empfängt oder Besucher durch den Landtag führt.
Wie wird der neue Landtagspräsident gewählt?
Zunächst darf nach der Geschäftsordnung des Thüringer Landtages ausschließlich die stärkste Fraktion im neuen Landtag einen Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorschlagen. Der Präsident ist gewählt, wenn er mehr Ja- als Neinstimmen erhält. Wenn es keine Mehrheit gibt, wird die Wahl wiederholt.
Erst wenn es auch beim zweiten Mal keine Mehrheit gibt, können nach Auffassung der Landtagsverwaltung neben der stärksten Fraktion auch die übrigen Fraktionen einen Kandidaten vorschlagen. Bei mehreren Bewerbern gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen. Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es eine Stichwahl zwischen den zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen.
Allerdings gibt es an diesem Ablauf des dritten Wahlganges auch Zweifel, da die Regelung in der Geschäftsordnung für den Thüringer Landtag nicht genau beschrieben ist. Juristen verweisen daher darauf, dass deshalb der Alterspräsident entscheiden müsse, wie die Geschäftsordnung ausgelegt wird. Dieser könnte das Vorschlagsrecht auch nach dem zweiten Wahlgang auf die stärkste Fraktion beschränken. Folge könnte ein Rechtsstreit und eine Hängepartie bei der Regierungsbildung sein. Denn erst, wenn der Landtagspräsident feststeht, kann der neue Landtag seine Arbeit aufnehmen.
Diese Hängepartie wäre auflösbar, wenn es dafür eine Mehrheit im Parlament gibt. Dafür sind 45 Stimmen nötig, die theoretisch CDU, BSW, SPD und Linke hätten. Wie könnte darauf ein AfD-Alterspräsident reagieren? Das ist völlig ungewiss, denn so eine Situation gab es bisher noch nicht in Thüringen.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die fehlenden stabilen Mehrheiten im Landtag nach der Landtagswahl gibt. Da die Wahl geheim stattfindet, sind weitere Überraschungen nicht ausgeschlossen.
Zuletzt wurde zwar eine Änderung des Wahlablaufes im Parlament diskutiert, aber im Frühjahr letztendlich abgelehnt. Insbesondere die Fraktionen von Linken und Grünen hatten die Befürchtung geäußert, dass ein AfD-Kandidat im Landtag keine Mehrheit finden und damit kein neuer Ministerpräsident gewählt werden könnte.
Bis wann muss ein neuer Ministerpräsident gewählt werden?
Die Thüringer Verfassung sieht keinen festen Zeitpunkt vor, bis wann ein neuer Ministerpräsident gewählt werden muss.
In der Vergangenheit wurde der Ministerpräsident fast nie in der ersten Sitzung des Landtages gewählt. Nach der Wahl des Landtages am 27. Oktober 2019 dauerte die Regierungskrise mehrere Monate, bis wieder ein Ministerpräsident gewählt wurde. Grund für die langen Verhandlungen war, dass die zuvor regierende rot-rot-grüne Koalition ihre Mehrheit verloren hatte und keine neue Mehrheit im Landtag zustande kam.
FDP-Politiker Thomas Kemmerich trat damals, nachdem er Anfang Februar 2020 auch mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, nach nur vier Tagen zurück. Er blieb geschäftsführend bis zur Wahl Ramelows Anfang März im Amt. Minister gab es in Thüringen bis zur Wahl Ramelows keine, weil Kemmerich keine Regierung berufen hatte.
Wie wird der Ministerpräsident gewählt und wo könnte es Probleme geben?
Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder in geheimer Abstimmung gewählt. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte aller Stimmen der Abgeordneten erhält.
Erhält im ersten Wahlgang niemand die Mehrheit, so wird erneut gewählt. Gibt es auch im zweiten Wahlgang keine Mehrheit, wird laut Artikel 70 der Thüringer Verfassung im dritten Wahlgang derjenige gewählt, der "die meisten Stimmen erhält".
Bei zwei oder mehr Kandidaten ist die Sache klar. Doch eine Diskussion gibt es darum, wie dieser Satz bei nur einem Kandidaten ausgelegt wird und wenn es dazu keine eindeutige Mehrheit im Landtag gibt. Was ist, wenn derjenige mehr Nein- als Ja-Stimmen erhält?
Die meisten Juristen legen dies so aus, dass im dritten Wahlgang die Nein-Stimmen nicht gezählt werden. Um ganz sicher zu gehen, wurde sogar empfohlen, nur noch Ja-Stimmen auf den Stimmzetteln für den dritten Wahlgang vorzusehen. Dieser Wahlablauf wurde im Landtag und in der Landesregierung regelmäßig diskutiert, ohne dass es bisher zu einer Änderung gekommen ist.
Bisher ist der Fall auch noch nicht in Thüringen vorgekommen, dass es im dritten Wahlgang mehr Nein- als Ja-Stimmen gegeben hat. Doch drei Wahlgänge für die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten sind nicht ungewöhnlich. Schon Christine Lieberknecht (CDU) benötigte 2009 zur Wahl als Ministerpräsidentin drei Anläufe - und trat im letzten Wahlgang ausgerechnet gegen Ramelow an.
Auch hier gilt wieder: Falls keine sicheren Mehrheiten im Landtag feststehen, kann es wegen der geheimen Wahl zu Überraschungen kommen - wie bei der Wahl des Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich.
Wer bestimmt die Minister?
Der Ministerpräsident bestimmt laut Landesverfassung seinen Stellvertreter und seine Minister. Hinter der nüchternen Formulierung in der Landesverfassung stecken in der Regel längere Koalitions-Verhandlungen der an der neuen Regierung beteiligten Parteien, bei dem sich über die Zahl der Minister und ihrer Aufgabenbereiche geeinigt werden muss.
Könnten Neuwahlen eine Lösung sein, wenn kein Ministerpräsident gewählt werden kann?
Rechtlich ist das eher schwierig - ganz davon abgesehen, dass sich das politische Kräfteverhältnis nach der Wahl ähnlich wie zuvor gestalten könnte. Laut der Thüringer Verfassung müssen mindestens zwei Drittel der Abgeordneten des Landtages eine Neuwahl beschließen. Die AfD-Fraktion im Landtag würde mit mehr als einem Drittel der Abgeordneten hier über eine Sperrminorität verfügen. Ohne sie beziehungsweise einiger ihrer Abgeordneten können Neuwahlen nicht beschlossen werden.
Die zweite Möglichkeit ist, dass der Ministerpräsident im Landtag die Vertrauensfrage stellt. Wenn ihm diese die Mehrheit der Abgeordneten verweigert, muss der Landtag innerhalb von drei Wochen einen neuen Ministerpräsidenten wählen. Wenn diese Frist abläuft, ohne dass ein neuer Ministerpräsident gewählt, gibt es Neuwahlen. Ein einfacher Rücktritt des Ministerpräsidenten reicht nicht für Neuwahlen aus, weil er bis zur Wahl seines Nachfolgers ja im Amt bleibt.
Neuwahlen müssen schließlich laut der Landesverfassung innerhalb von 70 Tagen stattfinden.
Hinweis Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit wurde ausschließlich das männliche Geschlecht verwendet.
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 28. August 2024 | 19:00 Uhr
Peter vor 4 Wochen
"Wie nach der Wahl der Machtwechsel in Thüringen abläuft"
Bodo Ramelow wird mit Anstand als Ministerpräsident abtreten und wie von ihm angekündigt, an der Bildung einer neuen Mehrheitsregierung verantwortungsvoll mitwirken.
Diesmal werden die Abgeordneten Höcke nicht gestatten, wieder den Landtag vorzuführen. Auch eine 33%-Partei ist eine Minderheit, die 5 weitere Jahre auf der harten Oppositionsbank Platz nehmen wird.
Thommi Tulpe vor 4 Wochen
tolly
Bis dahin bleibt Bodo`s Regierung im Amt. Solange wird sich zumindest erst einmal nichts verschlechtern. "Wieder Monate" kann dem sich schämenden Thüringer doch das zumindest keine schlechte Antwort sein. Kann! Nicht muss!
Thommi Tulpe vor 4 Wochen
Bria
Man muss mit dem Fakt leben - sicher. Man muss aber keine Koalition eingehen. Oder kennen Sie ein einziges Gesetz, was die beiden stärksten Fraktionen in neu gewählte Parlamente
verpflichtet, zusammenzuarbeiten? Ein solches Gesetz gibt es bisher einzig im Wunschdenken von AfD und deren Wähler.