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Auch bei Ronny Fischer fing Multiple Sklerose mit Wahrnehmungsstörungen an. Sein linkes Auge war so gut wie blind, das rechte sah nur noch verschwommen. Bildrechte: IMAGO

Welt-MS-Tag"Ich habe Multiple Sklerose und lebe recht normal"

30. Mai 2020, 05:00 Uhr

Den meisten Menschen ist Multiple Sklerose nur als Name einer schweren Krankheit ein Begriff. Was es mit dieser aber genau auf sich hat, wissen die Wenigsten. Ronny Fischer ist 42 Jahre alt. Vor elf Jahren erhielt der Erfurter die Diagnose: MS. Im Interview spricht er über Vorurteile, Herausforderungen und darüber, wie er trotzdem ein ganz normales Leben führt.

von Andreas Kehrer

Herr Fischer, wie reagieren die Menschen, wenn Sie erzählen, dass Sie MS haben?

Die Reaktionen sind häufig sehr ähnlich. MS ist zwar vielen ein Begriff, aber natürlich wissen die Wenigsten, was das konkret bedeutet. Sie gehen vom Schlimmsten aus und nicht selten kommen entweder Mitleidsbekundungen oder ziemliche Klischees auf. Sie wundern sich dann zum Beispiel, dass ich nicht im Rollstuhl sitze. Daher vermeide ich, wo es nicht sein muss, meine Krankheit anzusprechen.

Schwingt da auch die Angst mit, dass andere Sie auf ihre Krankheit reduzieren könnten?

Es ist nicht mal nur die Angst. Es ist leider oft Fakt, dass Menschen sich anders verhalten. Das ist wohl auch normal, weil es schwer ist, so eine Krankheit einzuschätzen, wenn man nicht selbst betroffen ist. Klischeehaft wird mir dann eine Schwäche unterstellt, was ungerechtfertigt ist, denn nicht nur ich, sondern auch andere Betroffene meistern tagtäglich viele Herausforderungen. Man gewöhnt sich daran, mit den Auswirkungen zurechtzukommen und seinen Alltag trotzdem so gut es geht zu bewältigen.

Multiple Sklerose:MS ist eine autoimmune, chonisch-entzündliche Nervenerkrankung. Dabei attackiert das Immunsystem irrtümlich die Hüllen der Nervenfasern, wodurch es zu Entzündungen kommt. Die Gründe für diese Fehlreaktion sind unklar. Da Multiple Sklerose die unterschiedlichsten Verläufe nehmen kann, trägt sie den Beinamen "Die Krankheit mit Tausend Gesichtern". Typische Symptome sind Lähmungen, Schmerzen, Seh- und Gefühlsstörungen, die sich oft schubweise entwickeln.

In Thüringen leiden rund 7.000 Menschen an MS. Deutschlandweit sind rund 250.000 Menschen erkrankt. Es gibt viele Behandlungsmethoden, aber bisher keine Heilung.

Ist es aber nicht gerade das, was Multiple Sklerose so schwer erträglich macht? Dass sich der Alltag mit jedem neuen Krankheits-Schub ändern kann?    

Das ist nicht weniger individuell und von Fall zu Fall verschieden. MS hat grundsätzlich sehr unterschiedliche Verlaufsformen, die natürlich auch überwiegend schubförmig kommen. Für mich persönlich sind weniger die körperlichen Einschränkungen schwer zu ertragen, es ist vielmehr die Ungewissheit. Je nachdem welche Defizite als nächstes auftreten, muss man sich wieder einer neuen Therapie aussetzen. Als eine Erkrankung im zentralen Nervensystem hat MS auch Einfluss auf die Psyche. Für mich ist deshalb auch entscheidend, wie mein soziales Umfeld aufgestellt ist: zu wissen, mit wem ich darüber reden kann. Und man wächst auch persönlich an jeder neu bewältigten Herausforderung.

Sie haben schon gesagt, dass MS sehr unterschiedlich verläuft. Wie war das bei Ihnen, wann haben Sie festgestellt, dass etwas nicht stimmt?

Bei mir begann es mit Sehstörungen. Ende 2008 begab ich mich in die Notaufnahme, weil ich feststellte, dass ich auf dem linken Auge so gut wie nichts mehr gesehen habe. Und auch rechts zeichneten sich Doppelbilder und schleichend zunehmend verschwommene Bilder ab. Ich habe damals viel am Bildschirm gearbeitet und dachte, es hängt damit zusammen. Die diensthabende Ärztin war treffenderweise Fachärztin in der Augenheilkunde. Einige Tests später stellte sich heraus, dass nicht das Auge, sondern der Sehnerv hinter dem Auge nicht intakt war. Dann folgten verschiedene Untersuchungen: die Punktion, eine Nervenwasseruntersuchung, im Januar 2009 dann eine MRT. Die Diagnostik in Summe brachte dann das Ergebnis: Multiple Sklerose.

Und dann?

Dann begann die Suche nach einem Facharzt, um zu eruieren, was eine geeignete Basistherapie wäre. Auch innerlich lief von diesem Moment an eine Suche ab. Ich musste mir überlegen, wie ich mit der komplett neuen Situation zurechtkommen sollte.

Wie haben Sie die Diagnose damals verkraftet und wie haben Sie gelernt, damit zu leben?

Im ersten Moment war es ein Schock. Vermutlich würde meine konkrete Situation zum damaligen Zeitpunkt, einschließlich mangelnder ärztlicher Aufklärung am Ende des stationären Aufenthalts, hier ausufern. Insgesamt kann ich rückblickend also nur sagen: Ich habe versucht, die Dinge im gesunden Maße zu hinterfragen, habe Aufklärung gesucht und ich habe vor allem den Mut nicht verloren, auch wenn es in den ersten Monaten schwer war, die richtige Therapie auszumachen. So eine Diagnose hinterlässt aber natürlich auch mentale Spuren, denn plötzlich stand mein Leben von jetzt auf gleich auf dem Kopf.

Wie schwer ist es an so einem Punkt, weiterzumachen und nach vorne zu schauen?

Es ist nicht einfach, der Angst, Panik und damit der Gleichgültigkeit sich selbst gegenüber nicht die Kontrolle zu überlassen. Es braucht Willenskraft, weiterzumachen und anders zu leben, als das vorher der Fall war. Um das aber auch ganz klar zu sagen: Dieser Mut wird belohnt. Keine meiner unterschiedlichsten Herausforderungen konnte mich in die Knie zwingen, heute ist meine ärztliche Betreuung  sehr gut und ich lebe - abgesehen von der kognitiven Belastbarkeit unter Stress - recht normal.

Wie äußert sich das in Stresssituationen?

Mediziner sprechen von: Fatigue. Das ist die Bezeichnung für überdurchschnittliche Ermüdungs- und Erschöpfungszustände. Kurz gesagt, führt das Gefühl der Ermüdung bis hin zu kognitiven Defiziten. Wenn ich zum Beispiel in sehr kurzer Zeit viele verschiedene Aufgaben absolvieren muss, führt das zur Blockade. Man kommt von jetzt auf gleich nicht mehr weiter. Auch hastige, physische Abläufe - wie etwa Sport, aber auch sehr einfache Dinge im Alltag - können dazu führen, dass man früher eine Pause braucht als andere. Ich habe mir dadurch ein gutes Selbstmanagement zugelegt und gehe die Dinge einfach langsamer an.

Haben Sie Einschränkungen durch die medikamentöse Behandlung?

Nein, ich persönlich nicht mehr. Inzwischen habe ich mit meiner Neurologin gemeinsam ein Medikament gefunden, welches gut passt und auch für mich selbst in den Nebenwirkungen überschaubar ist.

Diese Frage klingt vielleicht erstmal unsensibel, aber kann man einer solchen Krankheit auch etwas Positives abgewinnen?

Allgemein und grundsätzlich? Nein. Eine chronische, entzündliche Erkrankung am zentralen Nervensystem ist eher ein beständiges Spiel mit dem Feuer, das man selbst nicht einmal in der Hand hat. Dennoch kann man mit MS durchaus gut leben. Und für mich persönlich betrachtet, habe ich gelernt mich auf wirklich Wesentliches zu konzentrieren. Das ist doch positiv, oder?

Herr Fischer, vielen Dank für das Interview!

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | 27. Mai 2020 | 11:10 Uhr

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