Bildung Lehrermangel und Unterrichtsausfall: Wo es in Thüringen läuft und wo nicht

05. Oktober 2022, 17:34 Uhr

Noch vor 15, 20 Jahren hat sich fast jeder, der damals die Schule besuchte, darüber gefreut, wenn am Vertretungsplan das große A für Ausfall prangte. Eher selten bis kaum war das der Fall. Heutzutage sind Ausfallstunden vor allem in Schulen in den ländlichen Regionen nahezu gang und gäbe. Lehrkräfte sind krank - oder fehlen ganz. Ein Faktencheck.

Das ist die aktuelle Situation

Derzeit arbeiten in Thüringen laut Bildungsministerium 16.901 Lehrerinnen und Lehrer an 806 staatlichen Schulen. Seit fünf Jahren werden es nach und nach weniger. Grund dafür: Es gehen mehr Lehrerinnen und Lehrer in Rente, als neue hinzukommen. Vor allem an den Regelschulen im Freistaat sinkt die Anzahl derer, die unterrichten.

Stabil blieb dagegen die Zahl der Lehrkräfte an den Grundschulen und Gymnasien in den vergangenen fünf Jahren. Auch an den 161 freien Schulen unterrichtet seit fünf Jahren mehr oder weniger die gleiche Anzahl an Lehrerinnen und Lehrern. 

Zum Aufklappen: Lehrer-Zahlen im Detail

Zahl der Lehrkräften an Regelschulen 2017/18: 3.809, 2021/22: 3.492
Zahl der Lehrkräfte an Grundschulen seit fünf Jahren stabil etwa 3.900
Zahl der Lehrkräfte an Gymnasien seit fünf Jahren stabil etwa 4.100
Zahl der Lehrkräfte an freien Schulen seit fünf Jahren stabil etwa 3.200

Seit Schuljahresbeginn 2022/23 lernen in Thüringen 251.080 Schülerinnen und Schüler an staatlichen und freien Schulen sowie berufsbildenden Schulen. Ihre Zahl steigt seit zehn Jahren. Heißt: Immer mehr Kinder werden von einer gleichbleibenden Anzahl an Lehrern unterrichtet.

Aktuell gibt es 709 offene Lehrerstellen im Freistaat. Das Land stellt längst nicht mehr nur zum Halbjahr, sondern das ganze Jahr über neue Lehrkräfte ein. Wo Bedarf ist, werden Stellen durch die Schulämter ausgeschrieben. So gelingt es laut Thüringer Bildungsministerium derzeit, wenn auch mit leichten Schwankungen, die Zahl der ausscheidenden Lehrerinnen und Lehrer zu kompensieren. Dabei gibt es jedoch regionale Unterschiede im Freistaat.

Wo läuft es gut?

Seit Jahren steigt die Zahl der neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrer in Thüringen. Waren es 2017/18 noch 606 neue Lehrkräfte, so lag der Zahl 2021/22 bei 1.021. Seit Beginn des neuen Schuljahres wurden bereits 459 Pädagoginnen und Pädagogen eingestellt.

Besonders gut besetzt sind Lehrerstellen in den Universitätsstädten Erfurt, Weimar und Jena. Auch die daran angrenzenden Landkreise profitierten von dem Trend der Lehrkräfte hin zu größeren Städten, so ein Sprecher des Bildungsministeriums. Auch sei nach wie vor der Studiengang "Lehramt an Gymnasien" extrem nachgefragt. In dieser Schulart fehlen daher nicht ganz so viele Lehrkräfte wie etwa an Regel- oder auch berufsbildenden Schulen.

Wo hakt es?

Lehrermangel und demzufolge auch der Ausfall von Unterricht ist ein diffuses Problem, so das Bildungsministerium. Es gebe keine besondere oder herausgehobene regionale Spezifik. Dennoch sei der Lehrermangel in den ländlichen Regionen, die abseits von Metropolregionen liegen, besonders hoch. Vom Lehrermangel sind nahezu alle Fächer in Thüringen betroffen.

Die Auflistung des Bildungsministeriums liest sich wie der Stundenplan in einer zehnten Klasse. So fehlen Lehrerinnen und Lehrer in Mathe, Physik, Englisch, Französisch, Deutsch, Chemie, Biologie, Sport, Ethik, Informatik, Musik, Kunst, Wirtschaft/Recht/Technik und technischem Werken.

So viel Unterricht fällt aus

In Thüringen haben zuletzt 47.057 Unterrichtsstunden nicht regelgerecht stattgefunden. Davon wurden 19.105 Stunden vertreten, der Rest - 27.952 Stunden - wurde ersatzlos gestrichen. Im Schuljahr 2020/21 lag die Zahl der ersatzlos gestrichenen Unterrichtsstunden noch bei 18.127. Die Statistik zum Unterrichtsausfall in Thüringen wird anhand mehrerer Stichwochen erhoben. Die aktuellen Daten stammen aus der zuletzt erhobenen Woche Anfang Mai 2022.

Den meisten Unterrichtsausfall gab es in mathematisch und naturwissenschaftlichen Fächern (10.366 Stunden) sowie in Deutsch (6.286 Stunden). Die meisten Stunden (13.918) fielen an Regelschulen aus. Am wenigsten betroffen waren Förder- und Gesamtschulen.

Der Hauptgrund dafür, dass Unterricht ausfällt, ist und bleibt Krankheit. Von den rund 47.000 Stunden konnten mehr als 26.000 nicht gehalten werden, weil Lehrkräfte krank geworden waren. Auch wegen fehlender Fachlehrer fielen zahlreiche Stunden aus beziehungsweise mussten anderweitig vertreten werden (7.966 Stunden).

Das sind die Gründe dafür

Lehrermangel und Unterrichtsausfall haben selten nur einen einzigen Grund, sondern oft verschiedene Ursachen, die teilweise mehrere Jahrzehnte zurückliegen. Dennoch ist die aktuelle Alterszusammensetzung der Lehrerschaft eine der Hauptursachen. So müssen laut Bildungsministerium im Freistaat derzeit gleich zwei Lehrer-Generationen ersetzt werden.

Zum einen die Generation, die in den 1990er- und 2000er-Jahren nicht eingestellt worden ist. Viele von denen, die damals zur Lehrkraft ausgebildet wurden, konnten ihr Referendariat nicht in Thüringen machen und kehrten dem Freistaat den Rücken.

Zum anderen braucht es neue Leute, die diejenigen ersetzen, die derzeit in großen Jahrgängen in den Ruhestand gehen. "Das ist eine Generationenaufgabe und alle Anstrengungen gehen weiter und werden weiter verstärkt", heißt es aus dem Bildungsministerium. Der Altersdurchschnitt bei Lehrerinnen und Lehrern liegt derzeit bei etwa 50 Jahren.

Zahl der Schülerinnen und Schüler steigt erst seit 2013 wieder

Hinzu kommt, dass bis etwa 2017/18 die damalige Landesregierung noch auf dem Stellenabbaupfad bei Lehrkräften wandelte und damit auch die von der CDU-Regierung initiierte Sparpolitik aus den Jahren zuvor fortsetzte. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler sank in Thüringen seit 1996 kontinuierlich, neue Lehrerinnen und Lehrer wurden deshalb selten, und noch dazu kaum unbefristet, eingestellt. Erst seit dem Schuljahr 2013/14 steigt die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die eine Schule besuchen, wieder an.

Was wird dagegen getan?

Durch das Karriereportal  des Thüringer Bildungsministeriums soll sich der Bewerbungsprozess für Schulämter als auch die Bewerberinnen und Bewerber deutlich vereinfacht haben. Außerdem hätten sich die Bewerbungszeiten durch die ganzjährigen Einstellungen von Lehrkräften verringert. Neueinstellungen und noch dazu unbefristete stehen mittlerweile ganz oben auf der Prioritätenliste der Schulämter im Freistaat, so das Ministerium.

Gehaltsanpassung und Sonderzuschläge für Lehrkräfte

Seit Januar 2021 gibt es zwischen den Schularten in Thüringen keine Gehaltsunterschiede mehr. So bekommen Lehrkräfte an Regel- und Grundschulen das gleiche Einstiegsgehalt. Dadurch soll der Lehrerberuf und die Entscheidung für die Grundschule attraktiver gemacht werden und "zwar auch dort, wo es manche vielleicht nicht sofort von selbst hinzieht", so das Ministerium und spielt insbesondere auf den ländlichen Raum an. Auch mit Sonderzuschlägen oder Abordnungen von Lehrerinnen und Lehrern an andere Schulen wird derzeit versucht, Unterrichtsausfall zu vermeiden.

Ab Oktober 2022 sollen zudem Zulagen an junge Lehrerinnen und Lehrer ausgezahlt werden. Die Zuschläge gehen an Lehrkräfte, die nach Ende der Ausbildung dort unterrichten, wo der Lehrermangel besonders groß ist. Sie erhalten einen Gehaltszuschuss von zehn Prozent (etwa 450 Euro). Der Zuschlag soll für fünf Jahre gewährt werden und zwar dann, wenn an einer Schule oder in einer Region oder in einem bestimmten Fach ein Lehrermangel besteht. Allein für das Jahr 2023 seien dafür 1,6 Millionen Euro aus der Landeskasse vorgesehen. Bildungsminister Helmut Holter (Linke) rechnet mit jährlich etwa 400 Pädagogen, die davon profitieren würden.

Immer mehr Seiteneinsteiger

Unter bestimmten Voraussetzungen können seit mehreren Jahren auch Seiteneinsteiger in den Schulen unterrichten. Das sind vor allem Lehrkräfte, die einen Uni- oder Hochschulabschluss haben oder etwas studiert haben, das nicht ein Lehramt zum Ziel hatte. Meisterinnen und Meister verschiedener Berufsgruppen sowie Fachschulabsolventinnen und -absolventen können als Fachlehrer an berufsbildenden Schulen arbeiten. Seit dem Schuljahr 2017/18 steigt die Zahl derer, die jährlich als Seiteneinsteiger in Schulen arbeiten kontinuierlich, von einst 28 auf zuletzt 240 pro Schuljahr.

2019 rief das Bildungsministerium die Lehrergewinnungskampagne "Erste Reihe" ins Leben. Dazu gehören neben einer großen Plakatkampagne auch Social-Media-Videos, mit denen konkret auf freie Stellen in den Thüringer Schulen, insbesondere solche auf dem Land, aufmerksam gemacht wird.

MDR (jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 05. Oktober 2022 | 18:00 Uhr

13 Kommentare

Insomnia am 06.10.2022

Vielleicht würde es ja auch helfen, die Lehrer, die man hat, nicht zu vergraulen. Schön, dass die Grundschullehrer in der Entgeltgruppe angeglichen wurden - dafür wurde bei den Erfahrungsstufen gestrichen. Ich verdiene damit dann ab Februar weniger als nach der alten Eingruppierung. Und jetzt schon lange deutlich weniger als wäre wirklich eine echte Aufwertung der Grundschullehrer geschehen. Bleibt der Weg zum Anwalt.

(Die verbeamteten Kollegen trifft das übrigens nicht, die sind stufengleich erhöht worden.
Aber das mit der Verbeamtung ist in Thüringen das nächste Schmierentheater: Überall gibt es einen Überhang an Gymnasiallehrern. Wechseln die aber zum Beispiel an die Grundschule, wo dringend im ländlichen Bereich Lehrer gebraucht werden, werden die nicht verbeamtet, weil falsche Laufbahn. Da könnte man mal nach Sachsen schauen und sich fragen, was hier schief läuft. Lieber alteneingesessene dauerkranke Beamte finanzieren, statt junge und motivierte Kollegen zu halten.)

Jedimeister Joda am 06.10.2022

Also seit 1990 gibt es Probleme bei der landesdominierten Bildung. Egal wer am Ruder war oder ist hat es verkackt. In der DDR war das Bildungssystem sogar Vorbild für nordische Länder. Ich will nur Finnland nennen. Die gelten heute weltweit als Vorbild. Also in Germania waren die Fähigkeiten vorhanden. Im Land Thüringen eher nicht wie ich meine. Und ich habe Erfahrung mit ausstudierten Lehrern die zwei Tage vor der Arbeitslosigkeit nach Bayern gingen. So sieht es aus. Schande

Ilse am 06.10.2022

JanderBlasius
"der Bildungsminister Matschie und Holter, ist mir einfach zu viel. Die Geringschätzung meiner Tätigkeit durch die Politik grenzt nahezu an Verachtung."

Also sogenannte Linke hatten es noch nie so mit der Bildung obwohl immer von denen das Gegenteil behauptet wird/wurde, mehr mit der Ideologie u. der Haltung. Lesen sie hier mal quer über alle veröffentlichte Kommentar-themen, da fallen sie um.

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