Mafia-Untersuchungsausschuss Mysteriöser Einbruch bei Thüringer Ex-Innenminister wohl Thema im Ausschuss

24. November 2022, 13:55 Uhr

Der frühere Thüringer Innenminister Richard Dewes ist am Donnerstag als Zeuge vor den Mafia-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages geladen. Dabei dürfte es auch um einen bisher öffentlich unbekannten Einbruch in seine damalige Wohnung Mitte der Neunzigerjahre gehen. Die Akten über den mysteriösen Einbruch finden sich in einem Ermittlungsverfahren gegen die italienischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta wieder.

Kurz vor Mitternacht des 29. März 1995 klingelt das Telefon der Thüringer Polizei. Der Anrufer: der damalige Thüringer Innenminister Richard Dewes (SPD). Er meldet, dass die Tür seiner Wohnung aufgebrochen wurde. Dewes war bis 1994 Staatssekretär im saarländischen Innenministerium und hatte dann nach Thüringen auf den Ministerposten gewechselt. In Erfurt lebte er in einer Wohnung in der fünften Etage der Neuwerkstraße 2.

Dewes wohnte unter Decknamen

Ein Einbruch bei einem Mitglied der Landesregierung versetzt selbst in den damaligen wilden 1990er-Jahren die Beamten sofort in Alarmbereitschaft. Noch alarmierter sind sie vor dem Hintergrund, dass Dewes an dieser Adresse unter einem Decknamen lebt. Am Klingelschild und am Briefkasten steht der Name "J. Wilden", die Bewohner des Hauses wissen nicht, dass dort der Innenminister lebt. Nur ein kleiner Kreis von Beamten kennt seine Adresse.

Die Polizei verständigt sofort das Landeskriminalamt (LKA) und die Staatsanwaltschaft Erfurt. Noch in der Nacht taucht der damalige LKA-Präsident Uwe Kranz auf. Dazu die Leiter von zwei Einheiten, die sich mit Organisierter Kriminalität beschäftigten. Auch Spurensicherer kommen zum Einsatz.

Wohnung professionell aufgebrochen

Die Polizei will kein Risiko eingehen und betritt die Wohnung mit dem Sprengstoffsuchhund "Xito von der Wildsau", so ist es in den vertraulichen Akten vermerkt, die MDR THÜRINGEN einsehen konnte. Eine Bombe wird in Dewes Wohnung nicht gefunden. Dafür stellt der Innenminister fest, dass Akten in einem Schlafzimmerschrank durchwühlt worden sind. Gestohlen ist nach seiner Wahrnehmung nichts.

Dafür entdecken die Spurensicherer zwei aufgerissene Packungen mit Papiertaschentüchern der Marken "Softies" und "Kokett". Sie stammen nicht von Dewes, es ist unklar, wie sie in die Wohnung gekommen sind. Die Polizei vermerkt an diesem und an den vorangegangenen Abenden keine weiteren gezielten Wohnungseinbrüche in der Gegend. Dewes Wohnung ist die einzige, die professionell aufgebrochen worden ist.

Akten Teil des Mafia-Verfahrens Fido

Heute, 27 Jahre nach dem damaligen Einbruch, dürfte dieser wieder Thema werden. Im Thüringer Landtag tagt nämlich der Mafia-Untersuchungsausschuss. Er beschäftigt sich mit den Hintergründen eines Verfahrens gegen die kalabrische Mafia 'Ndrangheta, das Anfang der 2000er-Jahre von der Staatsanwaltschaft Gera unter dem Decknamen "Fido" geführt wurde. Im Konvolut des Anti-Mafia-Verfahrens finden sich auch die Akten über den Einbruch bei Richard Dewes. Warum eigentlich?

Mafiamord erschüttert Thüringen

Fakt ist, dass es den zuständigen LKA-Fahndern 1995 nicht gelang, den Einbruch zu klären. Das Verfahren wurde eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ein Mafia-Mord den Freistaat erschüttert. Im Oktober hatten Killer der russischen Mafia einen türkischen Zuhälter in Erfurt erschossen. In der Folge des Mordes war die Sonderkommission (Soko) "Skorpion" gegründet worden. An ihrer Spitze: Der westdeutsche Beamte Ulrich S..

Der geriet in den Ermittlungen allerdings schnell selbst ins Zwielicht: Ein halbes Dutzend Zeugen berichteten über Verbindungen zwischen Polizei und Organisiertem Verbrechen in Thüringen. Auch internen Ermittlern galt Ulrich S. lange als mutmaßlicher Informant, der Infos an Gangster weitergeleitet haben soll.

Fahndergruppe untersucht Korruptionsvorwürfe

Um diese Vorwürfe zu untersuchen, gründete die Polizei 1996 die Arbeitsgruppe "Antivirus". Und diese beschaffte sich Mitte Mai 1997 die Akten über den Einbruch beim Innenminister Dewes. Der Hintergrund: Damals rumorte es im skandalgebeutelten LKA und dem nicht minder skandalgebeutelten Thüringer Verfassungsschutz. Es soll Intrigen gegeben haben, um Mitglieder der Landesregierung zu diskreditieren. War der Einbruch bei Dewes ein solches Manöver? Hatten die Täter konkrete Unterlagen oder andere belastende Dinge in seiner Wohnung gesucht?

Beamter in Finanznöten

In der Nacht des Einbruches bei Dewes war jedenfalls auch Ulrich S. am Tatort. Laut den Akten war er dort in seiner Rolle als Leiter der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift (GER). Was wollte der oberste Drogenfahnder des LKA am Tatort eines Einbruchs?

Nur wenige Jahre später bekam S. ernsthafte Probleme. Beim Thüringer Finanzministerium tauchten Mahnbescheide auf, die sein Gehalt als Beamter hätten pfänden lassen sollen. S. hatte seinem neuen Thüringer Arbeitgeber bei der Einstellung offenbar seine prekäre finanzielle Lage verschwiegen. Offenbar hatte er Steuerschulden und war bereits von einem Gericht in einem westdeutschen Bundesland verurteilt worden.

Ein leitender Drogenermittler in finanziellen Schwierigkeiten dürfte für das LKA damals ein erhebliches Sicherheitsrisiko gewesen sein. Daher rührten auch die Gerüchte, S. könnte ein Informant für das Organisierte Verbrechen gewesen sein - was er immer zurückgewiesen hatte und was in den Ermittlungen letztendlich auch nicht bewiesen werden konnte.

Warum sind die Akten Teil des Fido-Verfahrens?

Die wohl spannendste Frage, die sich nun die Abgeordneten des Mafia-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag stellen dürfte, ist: Warum befinden sich die gesamten Dokumente über den Einbruch bei Richard Dewes in den Akten des großen Anti-Mafia-Verfahrens "Fido"?

Angefordert wurden sie im April 2000 vom damaligen Leiter des Verfahrens, Oberstaatsanwalt Steffen Flieger. Die für Organisierte Kriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Gera teilte aktuell mit, dass Fragen des MDR zu dem Vorgang den Gegenstand des laufenden Untersuchungsausschuss betreffen und deswegen keine Auskünfte erteilt werden können.

Spuren führen zu Affäre im Saarland

Möglicherweise hängt die Anforderung von Verfahrensleiter Flieger damals mit einem Vorfall zusammen, von dem Dewes mutmaßlich mehr wissen konnte. Von 1991 bis zu seinem Ruf nach Thüringen war Dewes Innenstaatssekretär im Saarland.

Dort war eine Affäre um einen usbekischen Geschäftsmann mit einem kriminellen Hintergrund aufgekommen. Er soll damals etwas fragwürdige Kontakte zum Saarländischen LKA gehabt haben. Der damalige LKA-Präsident: Gregor Lehnert, der später unter Dewes Innenstaatssekretär in Thüringen wurde.

Kontakte zu Gastronom mit Mafia-Verbindungen

Der Usbeke pflegte zudem gute Kontakte zu einem italienischen Gastronom in Duisburg, der später im Thüringer Fido-Verfahren verdächtig werden sollte zum engsten Kreis der Erfurter `Ndrangheta-Gruppe zu gehören. Dieser Italiener soll mit dem usbekischen Geschäftsmann eine saarländischen Delegation unter der Leitung der damaligen saarländischen Innenministers in Tunesien getroffen haben.

Eingeladen zu der Reise habe ihn sein damaligen usbekischer Freund, sagte der Gastronom Jahre später in einer Vernehmung. Was wusste der damalige saarländischen Innenstaatssekretär Dewes von diesen dubiosen Kontakten? Eine Anfrage von MDR THÜRINGEN ließ Dewes bisher unbeantwortet.

Vorfall in italienischem Restaurant

Der Gastronom zog später nach Erfurt. Dort trafen er und Dewes 1996 aufeinander, im neuen Restaurant des aus der Toskana stammenden Mannes. Dewes hatte sich mit seinem Chef Bernhard Vogel außerhalb der Öffnungszeiten diskret zu einem Essen dort getroffen. Noch während sie speisten, marschierten Polizisten in den Laden und durchsuchten diesen. Sie ermittelten in einem Mordverfahren. Ein Verdächtiger damals: der italienische Gastronom.

Der Verdacht wurde später fallen gelassen, genauso wie das Fido-Verfahren 2006 ohne eine einzige Anklage eingestellt wurde. Der Gastronom starb dann 2018. Dewes schied, nach mehrmaligen Versuchen an die Thüringer SPD-Spitze zurückzukommen, aus der Landespolitik aus.

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MDR (dr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. November 2022 | 05:00 Uhr

4 Kommentare

mattotaupa am 24.11.2022

da geht es aber nicht um den notgroschen, sondern um nachweise, daß immobilien mit legalen mitteln erworben wurden. alle fordern immer vorgehen gegen kriminelle clans, die reihenweise villen besitzen und h4 beziehen aber bei der verfolgung von geldern mauern entweder die banken oder der deutsche hat angst, daß vater staat sich mit jeder bargeldsumme in der sofaritze beschäftigen will.

Freies Moria am 24.11.2022

@Ralf G: Beweisen Sie doch mal, daß die 2000 Euro in Ihrer Notreserve von einer Bargeldabhebung von vor 14 Jahren stammen weil Sie damals in der Finanzkrise Angst hatten kein Geld mehr abheben zu können weil das in England gerade der Fall war.
Können Sie nicht?
Hmm, ist wohl Drogengeld, nehmen wir mit...
Deshalb ist ein Beweislastumkehr eine ganz blöde Idee!

Ralf G am 24.11.2022

In einem anderen Artikel des MDR zum Thema war einmal zu lesen, dass italienische Ermittler immer wieder eine Gesetzesreform in Richtung Beweislastumkehr bei zweifelhaften Geldvermögen empfehlen. Es gab nur eine halbgaren Änderung. Warum weigert sich die deutsche Politik so hartnäckig gegen dieses wirksame Instrument der Verbrechensbekämpfung? Sind die Verbindungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität größer als man vermutet?

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