9-Euro-Ticket Von Rittersdorf nach Erfurt im Bus: Ein Selbstversuch

22. Juli 2022, 15:38 Uhr

Viel wurde in den vergangenen Monaten über das 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr diskutiert. Die häufige Kritik: Menschen auf dem Land haben wenig davon. Unser Reporter ist in Rittersdorf im Weimarer Land in den Bus eingestiegen und weiß nun: Leicht wird es Menschen in ländlichen Gebieten nicht gemacht, das Auto stehen zu lassen.

MDR THÜRINGEN-Reporter Jonas Wölke
Bildrechte: MDR/Christin Gertler

Rittersdorf - das sind sanierte Fachwerkhäuser, ruhiges Landleben, die Natur vor der Tür und eine tolle Aussicht auf den Thüringer Wald. Der 300 Einwohner zählende Ort im Weimarer Land ist ideal, um wandern zu gehen oder Ausflüge zu machen.

Denn viele Ziele, wie der Stausee in Hohenfelden, Erfurt mit seiner Altstadt und dem Dom oder Weimar mit seiner bewegenden Geschichte sind mit dem Auto in einer halben Stunde erreichbar und damit quasi um die Ecke.

Fahrplan für Frühaufsteher

Doch wer auf die Idee kommt, hier mit seinem 9-Euro-Ticket einen Ausflug zu machen, muss früh aufstehen: Um genau 8:03 Uhr am Morgen fährt der erste und einzige Bus ins nur fünf Kilometer entfernte Kranichfeld.

Von dort aus fahren Busse nach Rudolstadt, Erfurt und die Bahn nach Weimar. Eigentlich beste Voraussetzungen für eine gute Anbindung des Ortes an die großen Städte in der Region, doch der Fahrplan spricht eine andere Sprache. Und wie es ab September mit dem 9-Euro-Ticket weitergeht, darüber wird in der Politik derzeit noch diskutiert.

Zweieinhalb Stunden für etwa 30 Kilometer Strecke

Ich entscheide mich für den 13:15 Uhr-Bus nach Blankenhain - der letzte Bus in Rittersdorf an diesem Tag. Für mich wird es einer von insgesamt drei Bussen sein, in die ich auf meinem Weg zurück nach Erfurt einsteige. Eine Strecke, die mit dem Auto etwas mehr als eine halbe Stunde dauern würde. Meine App prognostiziert zweieinhalb Stunden Fahrt. Zum Glück habe ich die Route bereits vorher nachgeschaut, denn der mobile Internetempfang erinnert in einigen Straßen von Rittersdorf eher an mittelalterliche Zeiten.

Strecke: Von Rittersdorf nach Erfurt - Bus vs. Auto

Der letzte Bus von Rittersdorf

Der Bus ist zwei Minuten zu spät, kommt aber immerhin und sofort fragt mich der Busfahrer neugierig, wohin es denn für mich gehen soll. "Nach Blankenhain, bitte", antworte ich ihm und zeige ihm mein Ticket. Wie ich denn überhaupt nach Rittersdorf gekommen sei, fragt er nun.

Meine kurze, aber ehrliche Antwort: "Ab Kranichfeld zu Fuß." Denn bereits bei meiner Ankunft am Morgen gab es keinen Bus nach Rittersdorf. Was vielleicht auch erklärt, warum ich der einzige Fahrgast an diesem Tag in diesem Bus bin.

Orientieren, warten und verstehen

Angekommen in Blankenhain heißt es erstmal: warten und verstehen. Denn laut meiner Fahrplan-App auf dem Handy soll mein nächster Bus der Linie 293 nach Bad Berka zwar erst in einer halben Stunde fahren, auf dem Haltestellenschild ist diese Linie aber gar nicht aufgeführt. Ein kurzer Blick in den aushängenden Fahrplan zeigt: Ich bin hier wahrscheinlich richtig, habe aber auch Glück, dass heute Donnerstag ist.

Denn eine kleine Zahl im Fahrplan sagt mir, dass die Linie 293 nur donnerstags fährt. Ein kleiner Bus zeigt an, dass Gruppen sich auf dieser Linie vorher anzumelden haben. Ab wann man als Gruppe zählt, steht aber nicht drauf. Nicht gerade eine Einladung an potentielle neue Fahrgäste, die zum ersten Mal seit Jahren mit dem 9-Euro-Ticket mal Bus fahren wollen.

Wenig Fahrgäste nutzen das Angebot

Inzwischen sind eineinhalb Stunden seit meinem Start in Rittersdorf vergangen und wieder muss ich eine halbe Stunde warten. Diesmal in Bad Berka, wo der direkte Bus nach Erfurt fahren soll. Direkt am Busbahnhof gibt es immerhin einen Supermarkt, eine Toilette aber leider nicht. Das heißt also: Durchhalten.

Immerhin: Alle Busse, mit denen ich fahre, sind so gut wie pünktlich. Was mir auch nicht so schwer erscheint - bei einem Fahrgast im ersten, drei Fahrgästen im zweiten und immerhin 30 Fahrgästen im dritten und letzten Bus nach Erfurt.

Ein leerer Fahrgastraum in einem Linienbus.
Viel Platz für Fahrgäste: Im Bus von Rittersdorf nach Blankenhain. Bildrechte: MDR/Jonas Wölke

Fazit: Pünktlich und doch mangelhaft

Mein Fazit nach zweieinhalb Stunden Busfahrt von Rittersdorf nach Erfurt: Wer auf dem Land mit dem 9-Euro-Ticket mobil sein will, braucht starke Nerven und entweder Familie, Bekannte oder Freunde, die ein Auto haben und einen zum nächsten Ort bringen, wo regelmäßig Busse und Bahnen verkehren.

Man muss seine Ausflüge sehr gut planen und den ein oder anderen Fußmarsch mit einkalkulieren. Da bleibt die Flexibilität im wahrsten Wortsinne leider auf der Strecke.

ein Überlandbus 17 min
Bildrechte: Pelz - Adobe Stock

Nahverkehr auf dem Land ist oft keine Alternative

Für Menschen, die sonst auf dem Land mit dem Auto unterwegs sind, ist das 9-Euro-Ticket jedenfalls sicherlich kein Grund, auf den Bus umzusteigen: Das Angebot vielerorts in Thüringen ist außerhalb der Schulzeiten rar und in den Fahrplänen können Fallstricke lauern.

Gerade Menschen, die kein internetfähiges Handy haben oder wegen Funklöchern einfach keinen Internet-Empfang aufs Handy bekommen, könnten die wenigen Verbindungen, die es gibt, verpassen. Wer dann auch noch Termine oder gar eine Familie mit Terminen hat, dem bleibt nichts übrig, als weiterhin ins Auto zu steigen.

MDR (jw)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 18. Juli 2022 | 10:00 Uhr

45 Kommentare

hilflos am 24.07.2022

Leute, hier fährt am Tage 3 mal ein riesen Bus, leer. Weil er zu Zeiten fährt, die keinem nützen. Das ist kein Angebot, das ist eine Schande. Derjenige der einen normalen Job hat kann den ÖPNV nicht nutzen. Ich erkläre das nicht, weil jeder der arbeitet kennt Arbeitszeiten und die Fahrpläne

GuterMensch am 23.07.2022

Nicht schlecht was man hier so liest, die meisten User die hier schlaue Kommentare abgeben wohnen sicherlich in einer Stadt, wie ich schonmal schrieb mit ÖNV in 10 min Takt ! Gut dann kann über die Dorfbewohner große Sprüche machen !
Rufbusse und anderer grüner Schwachsinn, was soll das ? Verbrauchen die keine Energie, dann kann man gleich mit dem Auto fahren oder soll man auch da stundenlang warten bis diese ausreichend mit Passagieren gefüllt sind ?
Ich sag mal, pure Ideologie, so werden Städter gegen Dörfler bewusst ausgespielt !

Pattel am 23.07.2022

Hört auf zu träumen,es wird nie vor jeder Haustür eine Haltestelle geben.
Mit ein bissel einschalten des Kopf kommt jeder auf irgendeiner Weise in den Genuss für die Nutzung eines Tickets.Es muss ja nicht die ganz grosse Reise sein aber mehrmals von Ort zu Ort fahren mit dem ÖPNV.

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