Thüringer Geschichte Jahrelange Debatte um Fabrik-Gelände
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Anfang der 1990er-Jahre erregte eine Studie des französischen Historikers Jean-Claude Pressac weltweit Aufsehen: Erstmals wurde die Technik der Massenvernichtung in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ausführlich beschrieben. In dem Buch "Die Krematorien von Auschwitz" tauchte auch immer wieder ein Firmenname auf: Topf und Söhne, Firmensitz Erfurt. Das Fazit Pressacs: Ohne die Thüringer Krematoriums-Technik hätte der Massenmord an den Juden nicht abgewickelt werden können.
1994: DDR-Nachfolger von "Topf & Söhne" geht pleite
Mit der Veröffentlichung geriet auch ein Industriegelände im Osten der Thüringer Landeshauptstadt wieder ins Bewusstsein zurück: das einstige Firmengelände von Topf und Söhne. Dort wurden in der DDR Anlagen für Mälzereien hergestellt. Nun verwaltete die Treuhandanstalt die Produktionsanlagen. 1994 ging der Betrieb pleite. In all den Jahrzehnten wurde die Geschichte nie grundlegend erforscht.
Erben streiten um Firmengelände
Inzwischen forderten einige Erben ihr ehemaliges Eigentum zurück, schließlich handele es sich um ein ganz normales Gelände, so eine Sprecherin. Die Wellen schlugen hoch. Geldgier wurde den Erben vorgeworfen. Sogar vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde geklagt. Auch innerhalb der Familie regte sich Widerspruch. Der Journalist Hartmut Topf, ein Urenkel des Firmengründers, forderte eine offensive Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte. Er rief 1998 die Veranstaltungsreihe "Topf und Söhne - Holocaust und Moderne" ins Leben. Ihm ging es darum, die Mechanismen offen zulegen, die ganz normale Menschen veranlassten, an der technischen Umsetzung des Holocaust mitzuwirken.
1999: Förderkreis für eine Gedenkstätte
Um Hartmut Topf gründete sich ein Förderkreis, der sich für einen teilweisen Erhalt der Betriebsanlagen einsetzte. Konzepte wurden entwickelt. Inzwischen mehrten sich die Stimmen, die auf dem einstigen Firmengelände eine Gedenkstätte forderten. So schlug die "Aktion Sühnezeichen" vor, auf dem Gelände beispielhaft die Beteiligung mittelständischer Unternehmen an der Vernichtungspolitik zu zeigen. Der DGB forderte auf dem Gelände ein "Thüringer Zentrum der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus". Das Land müsse gemeinsam mit Bund und Stadt die Finanzierung sichern, so die Gewerkschafter. Auch die Heinrich-Böll-Stiftung und die Evangelische Akademie forderten eine Konservierung des Geländes. Doch der Kampf um eine Mahnstätte war und ist schwer: Zwar standen Land und Stadt dem Mahnmal wohlwollend gegenüber, aber ein deutliches Ja oder Nein war den Verantwortlichen nicht abzuringen. Zu groß war zunächst die Angst, das Image der Stadt zu beflecken und Investoren zu verschrecken.
2001: Alternative Szene besetzt "Topf & Söhne"
Gleichzeitig kam die Industriebrache immer wieder in die Schlagzeilen. Linke Gruppen quartierten sich 2001 auf dem Gelände ein. Sie sorgten mit verschiedenen Aktionen immer wieder für Aufsehen. Unter anderem wollten sie in der einstigen Fabrik ein selbst verwaltetes Jugendzentrum aufbauen. Zugleich organisierten sie aber auch Veranstaltungen zur NS-Mittäterschaft der Firma "Topf & Söhne".
2004: Denkmalschutz für Teile der Industriebrache
Erst im Jahr 2004, über zehn Jahre nach der Buchveröffentlichung über die "Krematorien von Auschwitz", wurde die Industriebrache unter Denkmalschutz gestellt. Durch die Entscheidung des Landesamtes für Denkmalpflege wurden mehrere Gebäude auf dem rund drei Hektar großen Gelände gesichert. Doch einige Monate später der Schock: Ein Feuer zerstörte im Dezember 2004 ein leer stehendes Bürogebäude auf dem Gelände. Die Ursache blieb unklar.
2007: Erfurter Stadtrat beschließt Erinnerungsort
Es vergingen mehr als drei weitere Jahre, in denen die Gebäude weiter verotteten. Ende 2004 beschloss derer Erfurter Stadtrat, im früheren Verwaltungsgebäude der Firma einen Erinnerungsort zu schaffen und zu betreiben.
Neuer Eigentümer und Streit mit Besetzern
Im Jahr darauf übernahm ein privater Investor das Gelände. Mit der Stadt Erfurt wurde vereinbart, das Verwaltungsgebäude und den Vorplatz, wie vom Stadtrat beschlossen, als Erinnerungsort zu nutzen. Auf dem restlichen Gelände sollten Wohn- und Verkaufsgebäude entstehen. Für die Stadt begannen langwierige Verhandlungen mit der autonomen Szene, die weiterhin einen Teil des Geländes nutzte. Da die Besetzer angebotene Ausweichquartiere ablehnten, wurde das Gelände im April 2009 durch die Polizei geräumt. 2010 begannen die Innen-Arbeiten im Verwaltungsgebäude. Am 27. Januar 2011 wurde der Gedenkort feierlich eröffnet.