Verfassungsschutz AfD bundesweit als rechtsextrem eingestuft - wie reagiert Thüringen?
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10. Mai 2025, 11:27 Uhr
Der Bundesverfassungsschutz stuft die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein, mit Vorwürfen wie rassistischer Hetze, Relativierung des Nationalsozialismus und Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken. Diese Einstufung erlaubt die offizielle Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Trotz der Einschätzung setzt der Verfassungsschutz die Hochstufung vorerst aus. Thüringer Parteien und Experten haben reagiert.
Bereits vor vier Jahren hat der Thüringer Verfassungsschutz den AfD-Landesverband als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Nun folgte - mit bundesweitem Aufsehen - die Einschätzung für die gesamte Partei. Der Verfassungsschutz begründet dies mit einem völkisch-nationalistischen Weltbild, systematischer Hetze gegen Migranten, Relativierung des Nationalsozialismus und der Infragestellung demokratischer Institutionen. Zudem bestünden enge Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken. Die Partei hat gegen die Einstufung bereits Klage eingereicht.
Beobachtung mit angezogener Handbremse
In Folge dessen hat der Verfassungsschutz nun eine sogenannte Stillhaltezusage gegenüber der AfD abgegeben. Das bedeutet: Bis ein laufendes Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln entschieden ist, verzichtet das Bundesamt darauf, die Partei öffentlich als "gesichert rechtsextremistisch" zu bezeichnen oder entsprechende Informationen zu veröffentlichen. Damit soll verhindert werden, dass durch öffentliche Aussagen Fakten geschaffen werden, bevor die Justiz darüber entscheiden konnte.
Thüringer Verfassungsschutz: Keine neue Lage - Kramer mahnt zum Abwarten
Für Thüringen ändert sich mit den neuen Entwicklungen auf Bundesebene erst einmal nichts - das stellt Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, klar. Seine Behörde stuft die AfD bereits seit 2021 als gesichert rechtsextremistisch ein. Diese Einschätzung wurde bislang nicht rechtlich angefochten.
Kramer warnt dennoch vor vorschnellen Schritten: Ein Parteiverbotsverfahren nach Artikel 21 des Grundgesetzes könne nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung anstoßen - nicht der Verfassungsschutz. Seine Aufgabe sei es, verfassungsfeindliche Entwicklungen zu dokumentieren. Was daraus folgt, entscheiden andere - politisch wie juristisch. Kramer verweist außerdem darauf, dass Kanzler und Bundesinnenminister angekündigt haben, das neue Gutachten zunächst sorgfältig prüfen zu wollen. Bis dahin gelte für ihn: keine Spekulationen, sondern eine klare Faktenlage.
Zum Aufklappen: Parteiverbotsverfahren - wie funktioniert das eigentlich?
Ein Parteiverbot kann in Deutschland nur durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden. Antragsberechtigt sind ausschließlich Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung. Die antragstellende Institution muss überzeugend darlegen, dass eine Partei aktiv darauf hinarbeitet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen - etwa durch Aufrufe zur Gewalt, die Abschaffung demokratischer Institutionen oder systematische Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Das Gericht prüft dann umfassend die Beweislage, führt Anhörungen durch und entscheidet am Ende in einem öffentlichkeitswirksamen Urteil.
In der Geschichte der Bundesrepublik hat das Bundesverfassungsgericht bislang zwei Parteien verboten: 1952 die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei (SRP), die als Nachfolgeorganisation der NSDAP galt, und 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), der staatszersetzende Aktivitäten unterstellt wurden. Ein weiterer Antrag gegen die NPD scheiterte 2017 - das Gericht erkannte zwar verfassungsfeindliche Ziele, sah aber keine ausreichende tatsächliche Gefährdung der Demokratie.
Cornelius Helmert vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) warnt davor, die Diskussion um ein Parteiverbot strategisch zu führen: Es gehe nicht darum, ob ein Verbot der AfD schade oder nütze - sondern darum, ob sie verfassungsfeindlich agiere. Ein Verbot dürfe außerdem nicht als Ersatz für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus verstanden werden. Die Partei sei nur das sichtbare Symptom eines tiefergehenden Problems - besonders in Thüringen, wo rechtsextreme Gruppen zunehmen und gewaltsame Vorfälle steigen.
Dass die Beobachtung allein gesellschaftlich wenig bewirkt, zeigt sich ebenfalls in Thüringen: Trotz der Einstufung durch den Verfassungsschutz legte die AfD bei Wahlen weiter zu. 2023 stellte sie mit Robert Sesselmann erstmals einen Landrat. Auch alle Kandidaten für die Landtagswahlen 2024 wurden zugelassen. Und auch juristisch ist nicht alles eindeutig: Das Oberverwaltungsgericht entschied 2024, dass eine AfD-Mitgliedschaft allein nicht zum Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse führt. Ob Parteizugehörigkeit mit dem Staatsdienst vereinbar ist, wird derzeit ebenfalls gerichtlich geprüft.
So reagieren die Thüringer Parteien
CDU
Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) will mit Blick auf mögliche Konsequenzen für AfD-Mitglieder im Staatsdienst zunächst abwarten. Gegenüber MDR THÜRINGEN erklärte er, das Gutachten des Verfassungsschutzes zur Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch müsse zunächst rechtlich bewertet werden. Vorrang hat aus seiner Sicht, "die Probleme der Menschen zu lösen" - das sei der wirksamste Weg, um der AfD zu begegnen und so werde auch die Zahl der AfD-Protestwähler kleiner.
Linke
Die Linke fordert schnelles Handeln. Nach der bundesweiten Einstufung der AfD drängt sie auf ein Verbotsverfahren und fordert, dass sich die Thüringer Landesregierung im Bundesrat dafür einsetzt. Die Thüringer Abgeordnete Katharina König-Preuss fordert außerdem klare Regeln im Öffentlichen Dienst: Wer AfD-Mitglied ist, soll aus Polizei, Justiz und Schulen ausgeschlossen werden. Auch der Umgang im Landtag müsse neu bewertet werden - eine Normalisierung der Partei sei nicht mehr hinnehmbar.
SPD
Auch für die SPD ist die Sache klar: Eine Zusammenarbeit mit der AfD wird es auch künftig nicht geben. Landesgeschäftsführer Markus Giebe sieht in der Einstufung einen weiteren Beleg für die Gefährlichkeit der Partei. Aus Sicht der SPD Thüringen sei daher nun der Zeitpunkt gekommen, ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu prüfen und einzuleiten - eine Forderung, die Landeschef Georg Maier schon länger vertritt und die durch die Einschätzung des Verfassungsschutzes untermauert wird. Maier erinnert daran, dass die AfD in Thüringen bereits seit vier Jahren als rechtsextrem gilt. Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte seien möglich - aber nur, wenn konkrete extremistische Äußerungen nachweisbar sind.
BSW
Die in der aktuellen Legislatur neue BSW-Fraktion um Frank Augsten im Thüringer Landtag unterstützt die Entscheidung, AfD-Vertreter mit völkischem Weltbild aus sicherheitsrelevanten Ausschüssen herauszuhalten. Ein Parteiverbot lehnt die Fraktion aber ab. Stattdessen setzt das Bündnis auf Inhalte: einen handlungsfähigen Staat, soziale Sicherheit und mehr Vertrauen in die Demokratie - als langfristige Antwort auf rechtsextreme Tendenzen.
AfD
Die AfD selbst reagiert mit Gegenangriff: In Thüringen und Sachsen haben die Landtagsfraktionen ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, das die Rechtmäßigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz anzweifelt. Björn Höcke, Fraktionschef in Thüringen, spricht von "Bespitzelung demokratisch gewählter Abgeordneter" und sieht die Landesverfassung verletzt. Sollte die Beobachtung nicht beendet werden, kündigt er rechtliche Schritte an.
Wer kontrolliert den Verfassungsschutz?
Regelmäßig stellt die AfD den Thüringer Verfassungsschutz als politisches Instrument des SPD-geführten Innenministeriums dar. Was dabei unerwähnt bleibt: Das Amt ist dem Innenministerium zwar organisatorisch zugeordnet, arbeitet aber inhaltlich unabhängig. Während das Ministerium die Dienstaufsicht über Verwaltungsabläufe hat, liegt die Fachaufsicht - also die inhaltliche Entscheidung über Beobachtungen - allein beim Verfassungsschutz. Geleitet wird die Behörde seit 2015 vom politischen Beamten Stephan Kramer, der SPD-Mitglied ist.
Eine Kontrollfunktion über den Verfassungsschutz übt jedoch das Parlament aus. In regelmäßigen Abständen muss der Verfassungsschutz der Parlamentarische Kontrollkommission (ParlKK) Bericht über seine Tätigkeiten erstatten. Die Mitglieder der ParlKK können Akteneinsicht verlangen, Mitarbeiter befragen und können die Behörde jederzeit in Augenschein nehmen. Ferner muss die nachrichtendienstliche Überwachung des Verfassungsschutzes von Telekommunikation einzelner Personen durch die G-10-Kommission bewilligt werden. Beide Gremien werden aus der Mitte des Parlaments gewählt und tragen Sorge dafür, dass die Verhältnismäßigkeit in der Arbeit des Verfassungsschutzes gewahrt bleibt.
Wie geht es nun weiter?
Um juristischen Streit zu vermeiden, hat der Verfassungsschutz eine sogenannte Stillhaltezusage abgegeben. Das heißt: Die öffentliche Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" wird vorerst ausgesetzt, ebenso wurde die entsprechende Pressemitteilung gelöscht. Damit trifft das Amt jedoch keine Aussage über die Erfolgsaussichten der AfD-Klage - und räumt auch keinen Fehler ein. Die Maßnahme soll dem Verwaltungsgericht Köln ermöglichen, das laufende Eilverfahren in Ruhe zu prüfen. Grundsätzlich bleibt die AfD weiterhin beobachtbar - als "Verdachtsfall", allerdings unter strengeren Voraussetzungen.
MDR (bmm)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 12. Mai 2025 | 18:00 Uhr
wodiho vor 12 Stunden
@MDR-Team
Es wäre schon mal sehr schön, wenn Ihre Mitarbeiter die Antwortfunktion nutzen würden, damit man auch informiert wird. Es ist sonst hier nämlich ziemlich schwierig den Überblick zu behalten. Und wenn dann auch noch mein Username falsch geschrieben wird, ist es schon fast unmöglich.
Meine Antwort bezog sich auch mehr auf diese Aussage von Frau K:"Wenn sie das getan haben, erkennen sie vielleicht in welcher Freiheit sie nun leben dürfen, auch, wenn sie selbst für diese Freiheit nicht viel getan haben."
Ich habe also eine " unbelegten Abbiege-Unterstellung" getätigt.
Die Antwort von Frau K. ist dann also eine "bewiesene faktenbasierte Meinung"?
Nicht daß mich die Antwort von Frau K. irritiert, IHRE Antwort finde ich etwas seltsam...
Oder wollten Sie eigentlich auf etwas anderes hindeuten?
wodiho vor 12 Stunden
@BarfussimSommer
Bertolt Brecht:
"Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah’n sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär’ ich nicht arm, wärst Du nicht reich."
Allerdings ist das in Europa mittlerweile sehr relativ zu betrachten.
Aber kapitalistischer Handel ist immer am Eigennutz ausgerichtet.
Da können noch so viel grüne Zertifikate nichts dran ändern.
Die DDR hatte damals faireren Handel.
Wessi vor 15 Stunden
Natürlich dürfen die sich äussern @ Sonnenanbeter!Hier erwartete doch gar ein User von Richtern, daß sie politisch in ihren Rechten beschnitten werden können.Und..Patzelt wird doch häufig zitiert..der andere Professor ist dann doch etwas zu unbekannt.Aber 80% müssen dann mindestens andere Meinungen äussern...vielleicht sogar mehr, denn man kann doch wohl davon ausgehen, daß intelligente Juristen eben nicht "konservativ" oder gar AfD-affin sind!