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"Wir sind Menschen - keine Akten", mahnen Demonstrierende am Dienstag in Erfurt. Bildrechte: MDR/ Karsten Heuke

DemonstrationLange Wartezeiten und Diskriminierung: Ausländerbehörde in Erfurt erntet starke Kritik

28. September 2022, 04:23 Uhr

Zu lange Wartezeichen, schlechte Kommunikation und sogar rassistische Äußerungen - das werfen Migrantinnen und Migranten der städtischen Ausländerbehörde Erfurt vor. Am Dienstag demonstrierten rund 90 Menschen in Erfurt, um ihrer Wut darüber Luft zu machen. Die Stadt sieht Handlungsbedarf bei der Aufstockung des Personals - nicht jedoch in puncto Rassismus.

von Anna Hönig, MDR THÜRINGEN

Seit 2015 leben Adam und Iman aus Syrien in Erfurt. Beide arbeiten in der Stadt, sprechen gut Deutsch. Regelmäßig haben sie mit der Ausländerbehörde zu tun, um zum Beispiel ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Seit Jahren gibt es dabei immer wieder Probleme. "Die Ausländerbehörde ist nicht mehr präsent. Man kann sie nicht mehr per Telefon erreichen, man kann keinen Online-Termin machen. Es gab immer wieder unterschiedliche Gründe, warum sie das machen, aber es hat sich nicht verbessert, sondern verschlechtert", sagt Adam.

Die Kommunikation läuft ausschließlich per Mail - Rückfragen, Dokumente übersenden aber auch persönliche Terminanfragen. Auf eine verlängerte Aufenthaltsgenehmigung warten Geflüchtete wie Adam oft ein halbes Jahr und länger. Und das zieht Einiges nach sich.

Fiktionsbescheinigung statt Ausweis führt zu Problemen

"Ohne Ausweis in Deutschland unterwegs zu sein ist ganz schwierig", fasst es Adam zusammen. Übergangsweise wird Geflüchteten eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausgestellt. Diese würden Arbeitgeber, Vermieter und Banken aber oft nicht anerkennen, berichtet Adam. Freunde von ihm seien trotz dieser Bescheinigung von der Polizei mitgenommen worden, um den Auftenhaltsstatus zu klären.

Ohne Ausweis in Deutschland unterwegs zu sein ist ganz schwierig.

Adam

"Diese Fiktionsbescheinigung soll eigentlich nur für ein bis zwei Monate gelten, bis der neue Ausweis da ist, aber die sind zum Trend geworden und werden mittlerweile für ein Jahr oder länger ausgestellt", sagt Adam. Warum die Bearbeitungsfristen in Erfurt so lang sind, hat einen simplen Grund: Die Ausländerbehörde ist stark unterbesetzt.

Vor der Ausländerbehörde artikulieren Demonstrierende Betroffene ihre Forderungen. Bildrechte: MDR/ Karsten Heuke

Stadt verspricht Besserung bei Stellen

Das weiß auch der zuständige Dezernent für Sicherheit und Umwelt, Andreas Horn. Doch aktuell seien ihm die Hände gebunden, sagt er: "Wir haben im Bürgeramt einfach keinen Platz für weitere Stellen". 58 Stellen in der Ausländerbehörde sind aktuell besetzt - 71 sollten es sein. Und laut einer neuen Rechnung liegt der eigentliche Bedarf mittlerweile sogar bei 92 Stellen.

Wir suchen aktuell nach einem neuen Standort für die Ausländerbehörde, im Oktober nächsten Jahres soll die Arbeit dort aufgenommen werden.

Andreas Horn | Sicherheitsdezernent der Stadt Erfurt

Doch wohin mit ihnen? Daran arbeitet Horn. "Wir suchen aktuell nach einem neuen Standort für die Ausländerbehörde, im Oktober nächsten Jahres soll die Arbeit dort aufgenommen werden", so der Dezernent. An dem neuen Standort wäre dann Platz für 90 Mitarbeiter. Sobald der neue Standort sicher ist, könnten auch die fehlenden Stellen ausgeschrieben werden - ob diese genug Bewerber finden, ist eine andere Frage. "Viele Probleme werden sich lösen, wenn wir das Personal haben am Ende", sagt Horn.

Ja, wenn. Dann könnten die Fristen eingehalten werden, es könnte die Möglichkeit für persönliche Vorsprachen in der Behörde geben und einige Mitarbeiter könnten sich mit einer Übersetzung der Internetseite in mehrere Sprachen beschäftigen - Dinge, die Adam, Iman und die anderen Demonstranten bereits seit mehreren Jahren fordern.

Rassistische Aussagen in der Behörde

Aber Iman sieht noch ein weiteres Problem: Den Ton der Mitarbeiter in der Behörde. Iman hat schon Dinge gehört wie: "Warum wollen sie schnell ihren Aufenthalt haben? Wollen sie nach Spanien fahren und Urlaub machen? - Ja, ich bin ein Mensch, ich arbeite hier, ich kriege mein Geld. Warum darf ich dann nicht wegfliegen?". Solche Fragen würden Geflüchteten das Gefühl geben, dass sie nicht dazugehören, sagt Iman.

Dezernent Horn sieht keinen Handlungsbedarf

Dezernent Horn dementiert Rassismus in der Ausländerbehörde. "In der ABH ist mir kein Fall von Rassismus bekannt. Die Mitarbeiter leisten dort Hervorragendes, sind engagiert und tun alles, um Bearbeitungszeiten zu minimieren. Da stelle ich mich auch schützend vor meine Mitarbeiter", so Horn.

Ausländerbehörde in Erfurt kein Einzelfall

Die Situation in Erfurt ist aber kein Einzelfall. Adam und Iman wissen auch von Geflüchteten in anderen Thüringer Städten, die ähnliche Probleme haben. Andreas Horn sieht die Verantwortung auch beim Land. "Wir haben zusammen mit Gera, Jena und Weimar im April beim Land angefragt, ob eine zentrale Ausländerbehörde eingerichtet werden kann. Das würde uns als Städte und Kommunen schon einmal entlasten", sagt er.

Die Anfrage blieb jedoch ohne Erfolg. Am Ende fügt er an: "Wir wollen, dass sich natürlich die Menschen in Erfurt, in dieser tollen Stadt wohlfühlen, daran arbeiten wir auch intensiv".

Mein Zuhause ist komplett zerstört - ich habe keine Bindung mehr. Ich habe nur Erfurt wo ich lebe. Ich engagiere mich ehrenamtlich und arbeite seit vielen Jahren hier.

Adam

Nichts anderes wollen Adam und Iman: Sich wohlfühlen und sich integrieren in Erfurt. "Ich habe keine Familie mehr in Syrien. Mein Zuhause ist komplett zerstört - ich habe keine Bindung mehr. Ich habe nur Erfurt wo ich lebe. Ich engagiere mich ehrenamtlich und arbeite seit vielen Jahren hier. Aber wenn ich immer wieder von der Behörde erinnert werde, dass ich Ausländer bin und abgeschoben werden könnte, dann ist das sehr schwer für die Integration", sagt Adam.

Und Iman fügt an: "Wir arbeiten hier seit Jahren, engagieren uns, haben die Sprache gelernt - wir haben alles gemacht, um ein Teil der Gesellschaft zu sein, sind wir aber nicht".

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MDR (dst)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | THÜRINGENJOURNAL | 27. September 2022 | 19:20 Uhr

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