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Streit um ArbeitsbedingungenEiszeit am Helios-Klinikum in Erfurt

06. Dezember 2022, 06:11 Uhr

Die Verhandlungen um bessere Arbeitsbedingungen am Helios-Klinikum Erfurt stocken. Ein neues Angebot der Geschäftsführung hat der Betriebsrat abgelehnt. Zugleich steigt die Unzufriedenheit im Haus: Zwei Klagen von Verdi mit Hunderten Betroffenen laufen vor dem Arbeitsgericht, ein Oberarzt und eine Pflegerin machen ihrem Ärger Luft. Kurz vor Weihnachten ist die Stimmung am Gefrierpunkt angelangt.

von Andreas Kehrer, MDR THÜRINGEN

Die Verhandlungen liegen zwar nicht auf Eis, aber so richtig voran geht es nicht. Seit Ende September haben sich die Verhandlungsgruppe des Betriebsrats und die Geschäftsführung dreimal getroffen, um über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen am Helios-Klinikum Erfurt zu sprechen. Ein neues Angebot der Geschäftsführung wurde abgelehnt. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN ist die Geschäftsführung bisher nicht bereit, die Kernforderungen der Belegschaft zu erfüllen.

Konkret geht es in den Verhandlungen um einen Ausgleich für fortwährende Dienstplanänderungen, die den Mitarbeitenden ein hohes Maß an Flexibilität und Belastung abverlangen. Das neue Angebot der Klinikführung sieht dafür einen finanziellen Ausgleich vor, der das als "lächerlich" und "indiskutabel" empfundene Angebot aus dem Juni merklich übersteigt. Trotzdem soll der Betriebsrat das Angebot zurückgewiesen haben und weiter verhandeln wollen.

Geld ist keine Medizin gegen Überlastung

Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN scheitern die Verhandlungen bisher aus drei Gründen: Zum einen will die Geschäftsführung die finanziellen Ausgleichszahlungen nur für Pflegekräfte verhandeln. Der Betriebsrat verlangt hingegen eine Vereinbarung, von der alle Angestellten profitieren. Hintergrund für diese neue Forderung dürfte sein, dass zuletzt Stimmen im Haus laut geworden waren, die kritisierten, dass nicht allein Pflegekräfte überlastet sind.

Ein zweiter Grund betrifft die Arbeit auf unterbesetzten Stationen: Nicht selten kommt es im Krankenhausalltag vor, dass Personal aus vollbesetzten Stationen abgezogen wird, um woanders auszuhelfen. Dabei bleibt der Stationsbetrieb zwar gewährleistet, die Belastung für das verbliebene Personal steigt jedoch deutlich. Für diese erschwerten Arbeitsbedingungen sieht das neue Angebot der Geschäftsführung bisher keinen Ausgleich vor.

Der dritte und womöglich entscheidende Punkt ist, dass die Geschäftsführung bisher nur zu Geldleistungen bereit ist. Damit geht ihr Angebot an der grundsätzlichen Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen vorbei. Ein höherer Kontostand ist schließlich keine Medizin gegen Arbeitsstress und schützt auch nicht vor Überlastung. Im Gespräch mit MDR THÜRINGEN betonten Pflegekräfte, dass es ihnen nicht um mehr Geld gehe, sondern um mehr Freizeit. Das scheint auch der Betriebsrat gehört zu haben und pocht deshalb auf die im Forderungskatalog aufgeführte Wahlmöglichkeit zwischen Geld und einem Freizeitausgleich.

Wie Erfurter Personalpolitik in Berlin gemacht wird

Doch gerade der Freizeitausgleich dürfte für die Geschäftsführung eine nicht erfüllbare Bedingung sein. Denn mehr Freizeit für die Belegschaft würde bedeuten, deutlich mehr Personal beschäftigen und auch bezahlen zu müssen. In den vergangenen drei Jahren hat das Erfurter Klinikum - trotz Corona - einen jährlichen Nachsteuergewinn von mehr als 40 Millionen Euro erwirtschaftet. Das geht aus einem Geschäftsbericht hervor, den MDR THÜRINGEN einsehen konnte. Bestätigen wollte die Geschäftsführung diese Zahlen nicht.

Angesichts solcher Gewinne scheint eine Aufstockung der Personaldecke zur Entlastung der Belegschaft kein Problem zu sein. Ein Problem könnte - neben dem Fachkräftemangel - aber sehr wohl der Wachstumskurs des Fresenius-Konzerns sein, zu dem die Helios-Kliniken gehören.

Die Fresenius SE & Co. KGaA hat ihren Sitz im hessischen Bad Homburg. Die Helios-Kliniken, die Fresenius unter anderem in Deutschland betreibt, sind nur eines von sechs Geschäftsfeldern des Konzerns. Bildrechte: imago images/STAR-MEDIA

"Die Geschäftsleitung ist gebunden an Vorgaben der Hauptgeschäftsführung in Berlin und diese ist wiederum dem Konzern Fresenius verpflichtet", erklärt ein Oberarzt, der lieber anonym bleiben will, MDR THÜRINGEN. "Die vergleichen in Berlin die betriebswirtschaftlichen Zahlen. Da sehen sie dann zum Beispiel, dass Wuppertal mit weniger Personal besseren oder gleichen Umsatz macht als Erfurt. Und dann kommt die Devise: Erfurt muss so und so viele Stellen abbauen."

Die Geschäftsleitung ist gebunden an Vorgaben der Hauptgeschäftsführung in Berlin und diese ist wiederum dem Konzern Fresenius verpflichtet.

Oberarzt am Helios-Klinikum Erfurt

Stefan Stranz, der Vor-Vorgänger von Florian Lendholt als Geschäftsführer des Helios-Kliniums Erfurt, sei damals persönlich durch die Abteilungen gegangen und habe die Mitarbeiter befragt. Weil immer wieder zu hören war, dass es an Personal fehle, habe er neu eingestellt, erzählt der Oberarzt. "Doch dann kam die Bremse aus Berlin." Eine Anfrage von MDR THÜRINGEN, ob es für die derzeitigen Verhandlungen Vorgaben aus Berlin gebe, ließ die Erfurter Geschäftsführung unbeantwortet.

Wie Fresenius die Helios-Kliniken auf Wachstum trimmt

Als Umsatzziel strebt Fresenius Jahr für Jahr ein "mittleres einstelliges prozentuales Wachstum" an, wie es wörtlich im Geschäftsbericht des börsennotierten Konzerns heißt. In der Praxis bedeutet das, dass die Kliniken mit möglichst wenig Personal immer mehr Patienten immer schneller aufnehmen, behandeln und wieder entlassen müssen. "Patientenfluktuation" heißt das klinikintern. Für das medizinische Personal ist es gleichbedeutend mit zusätzlicher Belastung. Ein Blick in die Konzernzahlen zeigt, wie die Patientenfluktuation in den letzten fünf Jahren in den deutschen Helios-Kliniken zugenommen hat.

Wachstum an Deutschen Helios-Kliniken
Anzahl20162021
Patienten3.985.7465.444.546
Umsatz5,843 Mrd6,733 Mrd
Mitarbeiter72.68775.459
Kliniken11690
Betten29.61529.955
Patienten je Mitarbeiter54,8372,15
Betten pro Klinik264,42333,83

Quelle: Fresenius Geschäftsberichte 2016 und 2021

Die Zahlen sind Ausdruck einer erheblichen Arbeitsverdichtung: 2021 stellten weniger Helios-Kliniken mehr Betten für deutlich mehr Patienten zur Verfügung als noch 2016. Die Last tragen dabei die Mitarbeitenden, die immer mehr Patienten (etwa 30 Prozent mehr als vor fünf Jahren) versorgen müssen, um den geforderten Umsatzwachstum zu erwirtschaften. Zugleich werden Kliniken, die zu wenig Wachstum generieren, wie zuletzt die in Volkach, vom Konzern abgestoßen. Im Geschäftsbericht von Fresenius liest sich das dann so: "Die Transaktion ist ein erstes Ergebnis der laufenden strategischen Überprüfung und Optimierung des Klinikportfolios von Helios in Deutschland."

Fragt sich nur: Was gelten eigentlich Ärzte, Pflegekräfte oder Patienten bei denen, die Krankenhäuser wie Wertanlagen in Portfolios betrachten und sie im Zweifel wegoptimieren?

Krankenpflegerin: "Es geht nur noch um Profit"

Für Krankenpflegerin Nicole Abendroth liegt die Antwort auf der Hand: "Es geht nur noch um Profit, es geht nur noch um Geld." Die 60-Jährige muss sich manchmal kneifen, um zu realisieren, dass das Helios-Klinikum in Erfurt noch dasselbe Haus ist, in dem sie vor 44 Jahren als Jugendliche ihre Ausbildung begonnen hat. Damals hätten Chefärzte nach der Visite noch bei Kaffee und Kuchen mit den Schwestern geplaudert, erzählt sie. Heute aber renne der Chefarzt grußlos vorbei. "Ich weiß gar nicht, ob der uns überhaupt wahrnimmt", sagt sie.

Abendroth beschreibt einen Krankenhausalltag, der in den letzten Jahrzehnten - insbesondere seit der flächendeckenden Einführung des Fallpauschalen-Systems 2003 - zunehmend stressiger geworden ist. Das Gesetz, das der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) damals half einzuführen und das er heute am liebsten wieder abschaffen will, machte aus Krankenhäusern Wirtschaftsbetriebe. In der Folge seien am Helios-Klinikum in Erfurt ganze Bereiche eingespart worden. Andere seien "outgesourced worden, wie das so neudeutsch heißt“, sagt Abendroth. Obwohl die Patientenbögen digitalisiert wurden, verbringe sie inzwischen zwei bis drei Stunden am Tag mit der Dokumentation ihrer Arbeit, schätzt sie.

Die Ziele einer Krankenhaus-Reform von Gesundheitsminister Lauterbach

  • Patienten sollen wenn möglich weniger stationär und häufiger ambulant behandelt werden, etwa in ambulanten OP-Zentrum.
  • Das starre System der Fallpauschalen soll verändert werden. Dabei werden Behandlungen mit einem festen Satz vergütet, was laut Kritikern dazu führen kann, dass viele Patienten möglichst günstig behandelt werden, teils auch mit unnötigen Eingriffen.
  • Pflegekräfte sollen besser in Abteilungen eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden.
  • Die Geburtshilfe und Pädiatrie sollen mit mehreren Hundert Millionen Euro zusätzlich unterstützt werden.
  • Die Reform soll nach den Worten von Lauterbach in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden.

"Krankschreiben aus Unzufriedenheit"

Abendroth, die bald in Rente gehen wird, spricht Missstände an, weil es andere im Haus nicht können: "Mir tun die jungen Kollegen leid. Die müssen das noch 30, 40 Jahre machen." Die Kollegen würden zum Teil willkürlich auf den Stationen verteilt, um Löcher in den Dienstplänen zu stopfen. "Eine Kollegin hat ihr Kind mit Fieber ihrer Mutti gegeben, weil sie ihre Kollegen nicht hängen lassen wollte. Und erfährt dann, dass sie auf eine andere Station muss", erzählt Abendroth.

Eine Kollegin hat ihr Kind mit Fieber ihrer Mutti gegeben, weil sie ihre Kollegen nicht hängen lassen wollte. Und erfährt dann, dass sie auf eine andere Station muss.

Nicole Abendroth, Pflegerin am Helios-Klinikum Erfurt

Ähnliches erlebt auch der Oberarzt, den MDR THÜRINGEN interviewt hat: "Die Krankmeldungen sind spürbar häufiger geworden - auch bei Ärzten. Kollegen melden sich krank, weil sie eine Auszeit brauchen", sagt er. Noch mehr Verständnis hat er aber für die Pflegekräfte: "Da haben die Leute vermutlich die Schnauze voll. Es gibt da ein Verschieben von Personal. Die Mitarbeiter werden hin- und hergeschubst." Viele Krankschreibungen, meint der Oberarzt, "sind in Wirklichkeit Ausdruck der Unzufriedenheit."

Pflegekräfte über das Helios-Klinikum Erfurt

Unruheherde überall am Erfurter Helios-Klinikum

Doch die Überlastung der Belegschaft ist nicht das einzige Problem am Helios-Klinikum Erfurt. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Unruheherden. Das wurde zuletzt bei der Betriebsversammlung am 1. Dezember deutlich, bei der Verdi-Gewerkschaftssekretär Hannes Gottschalk eine "dunkle Stimmung" erlebt habe. Auch wenn das Unternehmen die Versammlung als "positiv" und "konstruktiv" beschreibt, sorgten dort die Corona-Prämien, die nur für ausgewählte Teile der Belegschaft gezahlt wurden, für Unmut. Genauso erhitzte eine Klage von Verdi im Namen von 130 Mitgliedern wegen der "Jahressonderzahlung" vor dem Arbeitsgericht Erfurt die Gemüter.

Dieses Weihnachtsgeld wird regelmäßig im November an alle Mitarbeiter ausgeschüttet und müsste nach den zugrundeliegenden alten Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) 60 Prozent eines Monatsgehaltes betragen. Doch über Jahre hinweg sei die Weihnachtszulage kleiner geworden, so Gottschalk. Scheinbar habe das Klinikum neue Tariferhöhungen von dieser Sonderzahlung abgezogen. Auf diese Weise sei der Jahresbonus "auf fast die Hälfte zusammengeschrumpft", so Gottschalk. Das Klinikum wollte sich zum Sachverhalt nicht äußern.

Helios bezahlte junge Angestellte jahrelang schlechter

Ein weiterer rechtlicher Konflikt zwischen Verdi und dem Helios-Klinikum Erfurt wurde am 2. Dezember 2022 am Arbeitsgericht Erfurt verhandelt. Mitte vergangenen Jahres machten rund Hundert junge Verdi-Mitglieder ihren Anspruch auf gleiche Bezahlung geltend. Sie waren trotz gleicher Arbeit teils deutlich schlechter bezahlt worden als Ältere. Es soll dabei um jährliche Gehaltseinbußen von bis zu mehreren Tausend Euro gehen. Vier Betroffene zogen mit Verdi vor Gericht und erhielten nun Recht. Eine mögliche Revision steht noch aus.

Bemerksenswert ist dieser Fall vor allem, weil die sogenannten "Lebensaltersstufen" 2005 mit dem Tarifwechsel vom BAT zum Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) abgeschafft wurden und seit vielen Jahren als unzulässig gelten. Von einer "Diskriminierung wegen des Alters" sprach 2011 der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil. Das Helios-Klinikum Erfurt hatte diesen Missstand trotzdem beibehalten und erst zum 1. Januar 2022 korrigiert - da war die Klage vor dem Arbeitsgericht bereits eingereicht. Das Klinikum wollte sich zum Sachverhalt nicht äußern.

Tarifverhandlungen im Zeichen der Inflation

Zu allem Überfluss läuft am 31. Dezember auch die aktuelle Tarifvereinbarung aus. Verdi wird mit der Helios-Unternehmensgruppe in Berlin im Januar erste Gespräche über flächendeckende Lohnerhöhungen führen. Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro pro Monat über eine Laufzeit von zwölf Monaten. Zudem sollen Azubis 200 Euro mehr bekommen und Eltern einen Kinderbetreuungszuschuss erhalten. Schwer vorstellbar, dass das in Berlin einfach so durchgeht. "Ich schätze, dafür werden die Kolleginnen kämpfen müssen", sagt Gottschalk. Wird 2023 also gestreikt?

Besinnliche Weihnachten oder Eiszeit?

Bevor es so weit ist, steht in Erfurt eine neue Verhandlungsrunde mit dem Betriebsrat über die Entlastung der Belegschaft an. Am 21. Dezember soll weitergesprochen werden. Es ist für Geschäftsführer Florian Lendholt die Chance, kurz vor den Feiertagen doch noch für einen kleinen Betriebsfrieden zu sorgen. Gut möglich, dass aber einmal mehr Berlin dazwischenfunkt und es am Helios-Klinikum Erfurt keine besinnlichen Weihnachten, sondern eine neue Eiszeit gibt. 

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MDR (ask)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 06. Dezember 2022 | 18:00 Uhr

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