Nach zehn Monaten Verhandlung Geld statt Entlastung: Helios-Klinikum Erfurt legt Prämien für Beschäftigte fest
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22. März 2023, 10:47 Uhr
Im Streit um die Arbeitsbedingungen am Erfurter Helios-Klinikum hat sich die Geschäftsführung auf ein Prämienmodell festgelegt. Dieses wird vom Betriebsrat nicht unterstützt. Trotzdem sind die Verhandlungen nun abgeschlossen. Ob dadurch eine Entlastung der Belegschaft erreicht werden kann, ist fraglich.
Das Helios-Klinikum Erfurt will ab dem 1. April einen finanziellen Ausgleich für das kurzfristige Einspringen von Beschäftigen zahlen. Das bestätigte eine Kliniksprecherin auf Nachfrage von MDR THÜRINGEN. Zuvor hatte die Geschäftsführung über das neue Prämienmodell in der Betriebsversammlung am 9. März informiert.
Wie die Klinik mitteilte, gelten die Prämien für alle nichtärztlichen Arbeitnehmer des Pflegedienstes, des Funktionsdienstes und des medizinisch-technischen Dienstes in Erfurt. Folglich werden sie an den Helios-Kliniken in Blankenhain, Bleicherode und Gotha, die mit Erfurt ein Cluster bilden, nicht in Kraft treten.
Ein Rundschreiben an die Belegschaft mit Details gibt es noch nicht. Aktuell sei noch zu klären, wie die Regelung rechtssicher gemacht werden soll. Dafür seien noch weitere "strukturelle Gespräche" nötig. Die Klinik versicherte aber, dass die Vereinbarung rückwirkend getroffen werde, damit für die Belegschaft kein finanzieller Nachteil entstehe.
Betriebsrat von Ergebnis größtenteils enttäuscht
Mit dieser Prämienregelung gehen nach zehn Monaten die Verhandlungen über die Entlastung der Belegschaft zu Ende. Der Betriebsrat, der in dieser Sache für die Angestellten verhandelt hatte, nahm die neue Regelung lediglich zur Kenntnis und lehnte eine gemeinsame Erklärung mit der Geschäftsführung ab.
Offenbar ist die Mehrzahl der Betriebsratsmitglieder mit diesem Ergebnis nicht einverstanden. Tobias König, der Vorsitzende des Betriebsrates, zog einen Interview-Termin zurück. Auch Geschäftsführer Florian Lendholdt wollte sich gegenüber MDR THÜRINGEN nicht äußern.
Stattdessen kritisierte der Pfleger Christian Lühmann, der im Februar 2022 mit einem Brandbrief an die Geschäftsführung die Verhandlungen überhaupt in Gang gebracht hatte, die Einigung als ungenügend: "Belastung kann man mit Geld vielleicht ein bisschen leichter erträglich machen, aber die Belastung bleibt." Echte Entlastung bietet das Prämienmodell der Geschäftsführung nicht, so Lühmann, der auch Mitglied im Betriebsrat ist.
Berlin kassierte schon getroffene Vereinbarung
Dass das nun vorliegende Prämienmodell vom Betriebsrat nicht unterstützt wird, hängt nach Informationen von MDR THÜRINGEN damit zusammen, dass die Geschäftsführung von einer kurz vor Weihnachten bereits getroffenen Vereinbarung wieder abrückte. Die Berliner Helios-Unternehmensführung hatte sich wohl eingemischt und die Vereinbarung zu Ungunsten der Erfurter Belegschaft abgeändert. So wurde beispielsweise eine Prämie für das Arbeiten auf anderen Stationen ersatzlos gestrichen.
Geblieben sind Prämien für die Arbeit im sogenannten Springerpool (250 bis 750 Euro), beim Holen aus dem Frei (125 Euro), beim Einspringen in den Bereitschaftsdienst (125 Euro), beim Einspringen in die Rufbereitschaft (bis zu 85 Euro) und ein Bonus bei einem Schichtwechsel (50 Euro). Rein finanziell betrachtet, liegt das Ergebnis nah an dem im September vorgelegten Forderungskatalog. Das Problem: Fast alle Forderungen, die eine echte Entlastung bedeutet hätten, sind nicht enthalten.
Springerpool, Bereitschaftsdienst, Holen aus dem Frei – was ist das?
Krankenhäuser beschäftigen Pfleger und Pflegerinnen nicht nur auf festen Stationen, sondern auch in sogenannten "Pools". Pool-Mitarbeitende werden in Früh-, Tag- und Nachtschicht eingeteilt und kommen dann auf wechselnden Stationen zum Einsatz. Sie sind die regulären Springer einer Klinik, die bei Ausfällen oder Unterbesetzung zuerst angefragt werden.
Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft unterscheiden sich dadurch, dass die Bereitschaft zur Arbeit vor Ort oder an einem Ort der Wahl (Rufbereitschaft) geleistet wird. "Holen aus dem Frei" bedeutet, dass eine Pflegekraft eine Schicht übernimmt, obwohl sie an diesem Tag für keinen Dienst vorgesehen war.
Keine Prämie für Arbeit auf anderen Stationen
"Viele Entlastungsforderungen sind frühzeitig rausgeflogen", sagt Christian Lühmann, der Details der Verhandlungen kennt. "Herr Lendholt hat gleich gesagt, wir sprechen nur über Geld und wir reden nicht über Unterbesetzung." Eine Ausgleichsleistung für die Arbeit auf unterbesetzen Stationen sei kategorisch ausgeschlossen worden. "Das wollte der Arbeitgeber ums Verrecken* nicht, das sag' ich mal so deutlich", so Lühmann. Abgelehnt wurde außerdem die geforderte Wahlmöglichkeit zwischen Prämien und Freizeitausgleich.
Auch die in Berlin gestrichene Prämie für das Arbeiten auf anderen Stationen wäre eine Form von Entlastung gewesen. Dadurch hätte der Arbeitgeber einen finanziellen Anreiz gehabt, das fortwährende Verschieben von Personal zu vermeiden.
Lühmann erklärt: "Man muss sich vorstellen, man kommt morgens auf seine Station und das Erste, was man zu hören kriegt: 'Du musst heute auf Station XY, weil da brennt die Luft.' Resultat sind ein höchst frustrierter Mitarbeiter, der woanders aushelfen muss und die eigene Station, die mit weniger auskommen muss als ursprünglich geplant." Das "Stations-Hopping" wird also unverändert weitergehen, so Lühmann.
Der Springerpool wird entscheidend
Ein möglicher Entlastungseffekt im nun beschlossenen Prämienmodell könnte die Aufwertung des Springerpools sein. Dessen originäre Aufgabe ist es, auf den Stationen auszuhelfen, wenn Not am Mann beziehungsweise der Frau ist.
Laut einer früheren Auskunft der Geschäftsführung stehen hier täglich zehn Pflegekräfte (verteilt auf drei Schichten) für insgesamt 48 Stationen zur Verfügung. Nach Angaben von Pflegekräften war dieser Mitarbeiterpool bisher ständig ausgeschöpft. Sollte es aufgrund der Prämie aber gelingen, den Pool personell spürbar aufzustocken, könnte das die Stationsdienste entlasten.
Stellt diese Lösung die Belegschaft zufrieden?
Dass so echte Entlastung bewirkt wird, glaubt Pfleger Christian Lühmann nicht. Er ist überzeugt: "Personalmangel kann ich nicht mit Geld lösen. Das geht nur mit vernünftigen Arbeitsbedingungen und einem attraktiven Arbeitsplatz, wo sich Leute drauf bewerben, wo sie auch lange arbeiten wollen und nicht in Teilzeit gehen, weil sie den Stress nicht aushalten."
Womöglich werde das Prämienmodell ein paar der jüngeren Mitarbeiter zufriedenstellen. "Die haben vielleicht ein Haus abzubezahlen und sind fit genug, sich öfter anzubieten, um die Prämien zu bekommen", meint Lühmann. Den Älteren, die schon ausgebrannt sind, helfe der finanzielle Ausgleich hingegen nicht.
Nächster Streik in Vorbereitung
Ein Gradmesser für die Stimmung im Haus wird der nächste Streik werden. Nach dem Erfolg vom 8. März, als mehr als 250 Beschäftigte des Helios-Klinikums in Erfurt die Arbeit niederlegten, bereitet Verdi einen weiteren Streik vor, um den Druck im aktuellen Tarifstreit hochzuhalten. Ein Datum hat Verdi offiziell noch nicht bekannt gegeben. Geplant ist der Streik aber noch im März.
* Die Aussage hat Christian Lühmann in einem emotionalen Moment im Interview so wörtlich getroffen. Im Nachgang empfand er die Äußerung im Zusammenhang mit dem Krankenhausalltag als unpassend und entschuldigt sich dafür. Dieser Zusatz war Herrn Lühmann wichtig.
MDR (ask)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 22. März 2023 | 07:00 Uhr
Sichtweise am 22.03.2023
" Not am Mann " ist eine alte Redewendung. Hier noch oder an der Frau anzufügen, erachte ich einfach nur als albern und völlig übertrieben.
Möchte man wieder zu 100 Prozent erwacht wirken?
martin am 22.03.2023
Möglicherweise erachten andere Menschen das anders.