Landespolitik"Sie betreiben Machtergreifung": Landtagssitzung unterbrochen - CDU ruft Gericht an
Im Streit um die Wahl des Landtagspräsidenten in Thüringen ruft die CDU-Fraktion den Verfassungsgerichtshof an. Voraus ging am Donnerstag eine von Tumulten überschattete konstituierende Sitzung des neugewählten Parlaments, in deren Verlauf sich der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler wiederholt weigerte, Anträge und Abstimmungen aus dem Plenum zuzulassen.
Inhalt des Artikels:
Häufige, teils lange Unterbrechungen und eine Rede des Alterspräsidenten Jürgen Treutler von der AfD, die auf viel Kopfschütteln und Kritik stieß: Die erste Sitzung des Thüringer Landtags knapp vier Wochen nach der Wahl hat sich zu einem politischen Tauziehen entwickelt. Auf der einen Seite die AfD, die erstmals in Deutschland die stärkste Fraktion in einem Landtag stellt - und CDU, BSW, Linke und SPD auf der anderen Seite.
Der Alterspräsident hat die Verfassung an mehreren Stellen gebrochen und missachtet.
Andreas Bühl
Am Ende trat nach einer Besprechung mit den Parlamentarischen Geschäftsführern Andreas Bühl (CDU) ans Rednerpult. "Wir haben die Pflicht, die Demokratie zu erhalten", sagte er. "Der Alterspräsident hat die Verfassung an mehreren Stellen gebrochen und missachtet." Schon zuvor hatte er Treutler kritisiert: "Sie haben in der Rolle als Alterspräsident überparteilich zu handeln. Ihr Verhalten und ihre Sitzungsleitung lassen jetzt schon erhebliche Zweifel an einer unparteiischen und neutralen Amtsführung zu."
Die CDU hat deshalb den Landesverfassungsgerichtshof angerufen. "Ich beantrage die Sitzung solange zu unterbrechen - damit wir danach einen Landtagspräsidenten wählen können", sagte Bühl. Das Gericht soll Treutler dazu verpflichten, über die Anträge der Fraktionen der CDU und des BSW abstimmen zu lassen. So hatte sich der Alterspräsident geweigert, auf Antrag der CDU die Beschlussfähigkeit des Landtages festzustellen. Auch über die Anträge, die Geschäftsordnung zu ändern, sollte nach Ansicht von Treutler erst nach der Wahl eines Landtagspräsidenten entschieden werden.
Alterspräsident Treutler unterbrach daraufhin - viereinhalb Stunden nach Beginn - die Sitzung erneut und verkündete, dass sie am Samstag um 9:30 Uhr fortgesetzt werden soll.
Linke unterstützt Antrag der CDU
Der Verfassungsgerichtshof bestätigte den Eingang des CDU-Antrags am Donnerstagabend. Dem Alterspräsidenten werde bis Freitagmittag, 12 Uhr, Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, heißt es.
Danach werde über den Antrag beraten und entschieden. Es wird demnach weder eine mündliche Verhandlung noch eine Verkündung der Entscheidung geben. Diese werde den Verfahrensbeteiligten schriftlich übermittelt.
Unterstützt wird der Antrag von der Linken. Deren Fraktionschef Christian Schaft bezeichnete das Verhalten des Alterspräsidenten als "Putschversuch gegen die Demokratie".
Mehrere Unterbrechungen in erster Landtagssitzung
CDU-Abgeordneter Bühl hatte zuvor mehrfach versucht, den Alterspräsidenten dazu zu bewegen, die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen. Treutler aber setzte seine Rede weiter fort. Mehrfach wurde die Sitzung unterbrochen.
Es ist eine Katastrophe, wie die AfD die Demokratie am Nasenring durch die Manege treibt.
Katja Wolf | Thüringer Fraktionsvorsitzende des BSW
Insgesamt musste die Landtagssitzung allein bis 15 Uhr viermal unterbrochen werden. Treutler erteilte dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, zwei Ordnungsrufe.
Verfassungsrechtler sieht Fehlverhalten
Der Verfassungsrechtler Michael Brenner von der Friedrich Schiller-Universität Jena sagte, Treutler habe als Alterspräsident seine Kompetenzen überschritten. Er sei nicht berechtigt, Geschäftsordnungsanträge abzulehnen.
Kräftemessen zwischen AfD und vier anderen Fraktionen
Hintergrund des Streits ist ein Kräftemessen zwischen AfD und den Fraktionen von CDU, BSW, Linke und SPD über den Ablauf der Sitzung. Nach den bisherigen Regeln hat die AfD als stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für die Wahl des Landtagspräsidenten.
CDU und BSW wollen die Geschäftsordnung ändern, damit gleich von Anfang an auch die anderen Fraktionen Vorschläge unterbreiten können. Dafür müsste der Punkt aber vom Alterspräsidenten aufgerufen werden und der Landtag müsste beschlussfähig sein - das heißt, der Alterspräsident muss offiziell die Beschlussfähigkeit feststellen. Dies jedoch verweigerte Treutler am Donnerstag trotz mehrfacher Aufforderung. Zunächst wollte er nach eigenen Worten unter anderem Schriftführer wählen lassen.
Treutler: "Untergräbt Geist der parlamentarischen Demokratie"
In seiner Rede hatte Treutler die parlamentarische Gepflogenheit betont, dass die stärkste Fraktion den Landtagspräsidenten stelle. Das sei seit der Wiedergründung Thüringens nie infrage gestellt worden. Die Menschen erwarteten, dass diese Gepflogenheiten geachtet würden, sagte er. Die gewählten Parlamentarier seien gehalten, "das Wahlergebnis nüchtern und sachlich zur Kenntnis zu nehmen" und den Willen des Souveräns ernst zu nehmen.
Dies "untergräbt den Geist der parlamentarischen Demokratie", sagte Treutler, der auch die Medien scharf kritisierte. Es gebe eine "nicht zu übersehende Option" für eine stabile parlamentarische Mehrheit, sagte er.
An der Eröffnungsrede Treutlers gab es scharfe Kritik. "Wir hoffen, dass der Alterspräsident noch zur Besinnung kommt", hatte CDU-Fraktionschef Mario Voigt kommentiert. Der Alterspräsident müsse unparteiisch und neutral handeln. Das sei nicht der Fall gewesen. Auch andere Abgeordnete kritisierten, dass Treutler, der in den Sitzungsunterbrechungen immer wieder mit dem AfD-Abgeordneten Torben Braga Rücksprache hielt, die Positionen seiner Partei artikuliere statt die Sitzung überparteilich zu leiten.
Notfalls müssen wir das eben vor Gericht klären.
Stefan Möller | AfD-Fraktion
Die CDU schrieb beim Onlineportal X: "Der Alterspräsident der AfD nutzt in missbräuchlicher Weise sein Amt, um einen angeblichen 'Wählerwillen' zugunsten der stärksten Fraktion festzustellen. Weiß der Mann nicht, dass es Mehrheiten im Parlament bedarf?"
Der AfD-Abgeordnete und Co-Landesparteichef Stefan Möller warf den Abgeordneten von CDU, BSW, Linke und SPD vor, "sämtliche Anstandsregeln" über Bord geworfen zu haben. Die Sitzung sei eine Katastrophe gewesen, sagte Möller. Vorwürfe gegen das Agieren des Alterspräsidenten wies er zurück. Es gebe unterschiedliche Rechtsauffassungen zum Ablauf der Sitzung. "Notfalls müssen wir das eben vor Gericht klären."
Klare Reaktionen der anderen Fraktionen
"Es ist eine Katastrophe, wie die AfD die Demokratie am Nasenring durch die Manege treibt", sagte die Fraktionsvorsitzende des BSW, Katja Wolf, im Parlament in Erfurt. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, rief Treutler zu: "Was Sie hier betreiben, ist Machtergreifung."
Auch die Linke hat die Verzögerungen durch die AfD bei der Wahl des Landtagspräsidenten scharf kritisiert. Abgeordnete Ulrike Grosse-Röthig, zugleich Vorsitzende der Linken in Thüringen, sagte, die AfD zersetze die Demokratie, sabotiere die Arbeit des Landtags und missachte das freie Mandat aller Abgeordneten. Wer weiterhin keine klare Kante gegen die Partei zeige, trage Mitschuld an der Zersetzung der Demokratie.
Die SPD-Abgeordnete Cornelia Klisch sprach von einer Behinderung des Parlaments, das sich durch die Verzögerungstaktik des Alterspräsidenten nicht wie vorgesehen nach der Landtagswahl vor vier Wochen konstituieren könne. "Wir möchten Parlament werden", sagte sie. Der Alterspräsident habe kein Recht, das zu verhindern. Der SPD-Abgeordnete Matthias Hey sagte MDR THÜRINGEN: "Das hier riecht nach Weimarer Republik."
Ramelow: AfD verschiebt Grenzen des Sagbaren
Thüringens geschäftsführender Ministerpräsident Bodo Ramelow, der auch Landtagsabgeordneter der Linken ist, übte ebenfalls Kritik an der Rede des Alterspräsidenten. Er warf Treutler mit seinem Verweis auf Eduard Spranger vor, Grenzen des Sagbaren verschoben zu haben. Spranger habe sich positiv zur nationalsozialistischen Revolution ausgesprochen und habe 1938 Juden aus der Goethe-Gesellschaft ausgeschlossen, sagte Ramelow.
Das ist wirklich eine Missachtung der Menschen in Thüringen und der Demokratie.
Birgit Pommer | ehemalige Landtagspräsidentin
Der geschäftsführender Innenminister und SPD-Abgeordnete Georg Maier sagte: "Die AfD greift unsere Demokratie von innen aus an." Treutlers Rede sei politisch und aggressiv gewesen.
Thüringens ehemalige Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) zeigte sich entsetzt über den Verlauf dieser Sitzung. "Das hat Thüringen nicht verdient", sagte sie. Die AfD habe Tatsachen und rechtlich eindeutige Feststellungen völlig verdreht. "Das ist wirklich eine Missachtung der Menschen in Thüringen und der Demokratie."
Die AfD war bei der Landtagswahl vom 1. September erstmals in einem Bundesland auf Platz eins gelandet und hat 32 der 88 Sitze im Thüringer Landtag errungen.
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MDR (gh)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 26. September 2024 | 19:00 Uhr
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