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Bis heute ein RätselDie italienische Mafia in Erfurt und die RAF-Waffe

07. Januar 2022, 05:00 Uhr

Mitte der 1980er-Jahre wird in Rheinland-Pfalz ein Waffengeschäft ausgeraubt. Die Polizei schreibt die Tat Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF) zu. Eine der geraubten Waffen taucht in den 1990er-Jahren bei Drogenermittlungen auf. Die Spuren führen zu einem Mann, der jahrelang eine wichtige Rolle in der italienischen Mafia in Erfurt gespielt haben soll.

von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR THÜRINGEN

Am 18. Mai 1993 meldet sich bei den Drogenfahndern in Düsseldorf ein anonymer Anrufer. Er behauptet, dass ein spanischer Geschäftsmann aus dem nordrhein-westfälischen Ratingen mit Drogen handeln soll. Seit Jahren, versteckt hinter einer bürgerlichen Fassade. Die Polizei nimmt die Informationen ernst und startet ein Ermittlungsverfahren. Bald wird klar: Der Spanier dealt unter anderem mit Kokain aus Südamerika im großen Stil.

Waffe bei RAF-Überfall erbeutet

Mitte November 1995 werden der spanische Drogenhändler, seine deutsche Frau und ein Komplize festgenommen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wird auch eine Pistole Mauser 08 Kaliber 9 mm mit der Waffennummer E 5539 gefunden. Nach der Überprüfung der Waffe schlagen die Ermittler Alarm. Sie stammte aus einem Raub von 1984, der mutmaßlich von Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) begangen wurde.

Und noch mehr: Interne Ermittlungsunterlagen, die der Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) und dem MDR vorliegen, zeigen: Von dieser Waffe führen Spuren in die Organisierte Kriminalität und zu einem Mann, den Ermittler seit Mitte der 1990er-Jahre zum engen Umfeld der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta zählen. Die Polizei steht vor einem Rätsel: Wie kommt die Waffe aus einem RAF-Raub zur italienischen Mafia?

22 Pistolen, zwei Gewehre, 2.800 Schuss Munition

Rückblick: Am 5. November 1984 betreten zwei Kunden ein Waffengeschäft in Maxdorf in Rheinland-Pfalz. Die beiden interessieren sich für eine "Ithaca"-Flinte. Während der Ladeninhaber ihnen die Waffen zeigen will, ziehen sie ihre Pistolen. Sie bedrohen, knebeln und fesseln den Waffenhändler. Anschließend flüchten sie aus dem Geschäft mit 22 Pistolen, zwei Gewehren und rund 2.800 Schuss Munition.

Das Bundeskriminalamt (BKA) übernimmt die Ermittlungen, weil schnell klar wird, dass es sich um einen Waffenraub der RAF handeln könnte. Die Fahnder sollten Recht behalten. Nur ein Jahr später wird eine konspirative RAF-Wohnung in Offenbach entdeckt. Bei der Durchsuchung findet das BKA drei Waffen aus dem Raub von Maxdorf.

Gewehr wird bei Mordanschlag verwendet

Nur ein Jahr später wird im hessischen Rüsselsheim die RAF-Terroristin Eva Haule-Frimpong festgenommen. Die geladene 9-mm-Pistole, die sie bei sich trägt, stammt ebenfalls aus dem Raub. Haule-Frimpong wird später unter anderem für die Planung des Raubes von Maxdorf verurteilt.

Wieder ein Jahr später tauchen drei Waffen bei einer Operation französischer Fahnder gegen die Terrorgruppe "Action Directe" (AD) auf. In dem kleinen Örtchen Vitry-aux-Loges werden ein Versteck der AD ausgehoben und Terroristen der Kommandoebene festgenommen. Als im September 1988 durch die RAF ein Mordanschlag auf den damaligen Finanzstaatssekretär und späteren Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer verübt wird, fallen die Schüsse aus einer der gestohlenen "Ithaca"-Flinten aus Maxdorf.

Terroristenwaffen von Bad Kleinen

Die letzte Spur der geraubten Waffen im Zusammenhang mit der RAF findet sich im mecklenburgischen Bad Kleinen. Am 27. Juni 1993 versucht die GSG 9 die beiden RAF-Terroristen Birgit Hogelfeld und Wolfgang Grams festzunehmen. Grams kommt bei dem Einsatz ums Leben, wie auch ein GSG 9-Beamter. Die Waffen, die das BKA bei Hogefeld und Grams findet, stammen aus dem Überfall von Maxdorf.

Bis zu diesem Zeitpunkt sind zehn der 24 gestohlenen Waffen wieder aufgetaucht - alle im Zusammenhang mit der RAF oder anderer terroristischer Aktivitäten. Doch dann taucht 1995 eine elfte Waffe auf, und das im Zusammenhang mit der Organisierten Kriminalität. Es ist die Waffe des spanischen Drogenhändlers.

Spur führt zur 'Ndrangheta

Die Bundesanwaltschaft leitet noch Ende November 1995 ein Verfahren gegen den Mann wegen Unterstützung einer Terrorgruppe ein. Das BKA vernimmt ihn, doch er schweigt zu den Vorwürfen. Anders seine Frau: Sie sagte aus, dass sie die Waffe einige Tage vor ihrer Festnahme und der ihres Mannes erstmalig bei ihm gesehen habe.

Woher sie stamme, wisse sie nicht. Das BKA wertet die Telefonüberwachungen der Drogenfahnder aus und stößt auf ein Telefonat zwischen dem Drogenhändler und seiner Frau kurz vor der Festnahme. Da erwähnt der Ehemann ihr gegenüber, dass er die Absicht habe, bei einem befreundeten Italiener eine "Exklusive Jacke" für wenig Geld zu kaufen. Bei dem Italiener handelt es sich um Salvatore Molinari (* Name geändert), dem damaligen Besitzer des Duisburger Restaurants "Da Bruno".

Bereits in den Kokain-Ermittlungen gegen den spanischen Drogendealer und seiner Bande spielte Molinari eine Rolle. Er steht im Verdacht, gute Kontakte zu Mitgliedern der kalabrischen Mafia ‘Ndrangheta in Deutschland zu haben. 

Verfahren wegen Unterstützung der RAF

Die BKA-Fahnder vermuten, dass Molinari dem Spanier die Waffe aus dem RAF-Überfall verkauft haben könnte. Auch gegen ihn wird ein Verfahren wegen Unterstützung der RAF eingeleitet. Noch in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 1995 wird Molinaris Wohnung durchsucht. Doch es finden sich keine Hinweise, woher die Waffe stammen könnte. Molinari bestreitet laut BKA-Unterlagen, dass er die Waffe an den Spanier verkauft habe.

Die Ermittler glauben ihm nicht. Denn die Waffe war unter anderem in ein Stück Stoff eingewickelt, das von einer Handtuchrolle stammte, die auch auf den Toiletten des "Da Bruno" genutzt wurde. Zudem war sie noch in eine Ausgabe der italienischen Tageszeitung Corriere Della Sera eingeschlagen. Weil bei der Durchsuchung auch Falschgeld gefunden wird, das in einem anderen Fall eine Rolle spielte, wird Molinari in der Nacht festgenommen.

Ermittler lösen den Fall nicht

Bis zum September 1997 laufen die Ermittlungen, dann stellt die Bundesanwaltschaft sie ein, das geht aus dem Einstellungsbeschluss hervor, der F.A.Z. und MDR vorliegt. Zwar hatte der inzwischen zu achteinhalb Jahren verurteilte spanische Drogenhändler dann doch eine Aussage zum Erwerb der Waffe gemacht.

So will er sie kurz vor seiner Festnahme im November 1995 in einem Duisburger Café von einem Italiener mit dem Namen "Franco" erworben haben. Aber das BKA hält diese Version für unglaubwürdig. In seinem Schlussbericht vom Herbst 1996 kommt das BKA zu dem Fazit, dass diese Waffe aus dem RAF-Raub möglicherweise ihren Weg auf den Schwarzmarkt gefunden habe, dort zu Molinari gelangt sei und der sie an den Spanier verkaufte.

Das BKA mutmaßt in seinem Fazit auch, dass der Waffenhändler eine Rolle gespielt haben könnte. So sei es möglich, dass bei dem Überfall gar nicht alle Waffen von der RAF geraubt wurden, sondern er selber welche abgezweigt und unter der Hand verkauft haben könnte. Belege dafür gibt es bis heute keine. Auf eine F.A.Z./MDR-Anfrage weist der heute in Mecklenburg-Vorpommern lebende Mann die Mutmaßungen von BKA und Bundesanwaltschaft vehement zurück. 

Beschuldigter im FIDO-Verfahren

Für Molinari hatte das Waffengeschäft keine Folgen. Er wurde 1996 wegen Drogenbesitz zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Nachdem das Verfahren beendet ist, taucht er noch im selben Jahr in Erfurt auf. Hier beginnt seine neue Karriere als Restaurantbetreiber und schillernder Gastronom. Doch bereits mit seinem Zuzug nach Erfurt wird er auch für die Ermittler des Thüringer Landeskriminalamtes interessant. Sie erhalten von ihren Kollegen aus NRW und vom BKA die Informationen, dass er gute Kontakte zur 'Ndrangheta haben soll.

Die Hinweise verdichten sich soweit, dass 2000 durch die für Organisierte Kriminalität zuständige Staatsanwaltschaft Gera ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Der Verdacht: Die in den Restaurants investierten Millionen stammten aus Rauschgiftgeschäften der ´Ndrangheta. Erfurt war so zu einem Knotenpunkt im weltweiten Netzwerk der kalabrischen Mafia geworden. Molinari war einer acht Beschuldigten.

13 Waffen bleiben verschwunden

Doch die Operation FIDO scheiterte trotz aufwendiger Ermittlungen zwei Jahre später und wurde 2006 komplett eingestellt. Molinari agierte weiter als Gastronom und erweiterte seine Geschäfte auf andere Städte wie Weimar oder Leipzig, bis er vor einigen Jahren mit 72 stirbt.

Beigesetzt wurde er in seiner Heimat, einem kleinen Ort an der westlichen Mittelmeerküste Italiens. Der Waffenraub von Maxdorf aber bleibt in weiten Teilen ein Rätsel. Denn nach Recherche von F.A.Z. und MDR wurden die restlichen 13 der 24 Waffen aus dem RAF-Überfall bis heute nicht gefunden.

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Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 06. Januar 2022 | 19:00 Uhr