Zwei Männer ernten Brunnenkresse
Ralf Fischer zeigt den richtigen Schnitt. Er und "Azubi" Max Kaufhold sind seit Jahren ein "Dreamteam". Bildrechte: Antje Kirsten/MDR

Nachfolger gefunden Erfurter Brunnenkresse: Anbau geht weiter

23. März 2023, 09:54 Uhr

Brunnenkressegärtner Ralf Fischer betreibt die letzte im Original erhaltene Brunnenkresseklinge in Erfurt - und hat jetzt mit 70 - einen Nachfolger gefunden.

MDR-Autorin Antje Kirsten
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Es geht weiter", das ist für Ralf Fischer, Erfurts Brunnenkresse-Papst, die wichtigste Botschaft. 70 Jahre ist er jetzt und baut in sechster Generation Brunnenkresse im Dreienbrunnengebiet an. So langsam werde es Zeit, den Betrieb in jüngere Hände zu geben, sagt er und fügt im gleichen Atemzug an: "Loslassen werde ich wohl nie, das hier wird mich begleiten bis zu meinem letzten Tag."

Fischer steht in seiner grünen Latzhose an seiner Klinge. Er läuft über die wackligen Bretter, die über dem Wasserbecken liegen, als wäre er 17. Doch der Rücken schmerzt, auch wenn er versucht, sich das nicht anmerken zu lassen.

Begriffserklärung: Klinge Als Klinge wird der Wassergraben bezeichnet, in dem die Brunnenkresse angebaut wird. Eine solche Klinge ist 40 bis 60 cm tief. Sie ist mit sauberem, langsam fließenden Quellwasser gefüllt.

Wiege des Brunnenkresse-Anbaus liegt in Erfurt

Über die Klinge hat er Netze gespannt. Dass hier das gesündeste Gemüse der Welt wächst, hat sich auch bei den Gourmets der Lüfte herumgesprochen. "Hier liegt die Wiege des Brunnenkresseanbaus. Sie reicht fast 400 Jahre zurück. Und wir haben die Verantwortung, das, was die Vorfahren aufgebaut haben, fortzuführen."

Anbau von Erfurter Brunnenkresse 3 min
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Es ist die letzte im Original erhaltene Klinge in Erfurt. Er hat Jahre nach einem Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesucht, die das kleine grüne Wintergemüse genauso lieben, wie er selbst und die viele Mühe nicht scheuen. Das Gemüse wächst in fließendem Gewässer bei 11-12 Grad. Da werden die Finger beim Ernten schnell blau. Wer also will sich diese Arbeit antun? Die Fischers haben einen Sohn, der aber lebt in Nürnberg.

Max Kaufhold: Brunnenkresse-Tradition wird fortgesetzt

Tür an Tür mit den Fischers wohnt Max. Vor Jahren sind seine Eltern mit ihm auf den Hof der Fischers gezogen. Und so ist Max schon als Steppke - wie Ralf einst auch - über die Bohlen der Klinge balanciert, hat sich die Geschichten über den Kresseanbau, über Napoleon angehört, der gleich zwei Gärtner mit nach Frankreich nahm, um dort Kresse aufzutischen.

Max Kaufhold ist nun 19, studiert in Jena Lehramt für Biologie und Geschichte. Vor einiger Zeit hat Ralf ihm die Frage aller Fragen gestellt: Willst du den Betrieb übernehmen und die Tradition des Brunnenkresseanbaus fortführen? Vermutlich hatte Max mit dieser Frage schon gerechnet, jedenfalls hat er zur großen Freude der Fischer "Ja" gesagt. "Im ersten Moment dachte ich: Oh, Gott, was für eine Verantwortung. Dann aber habe ich mich sehr über das Vertrauen gefreut", sagt er.

Brunnenkresse Anbau
In solchen "Klingen" wird Brunnenkresse seit über 400 Jahren in Erfurt angebaut. Bildrechte: MDR/Antje Kirsten

Max Kaufhold wird den Brunnenkresseanbau nebenberuflich mit - hoffentlich - vielen Freunden weiter betreiben. "Einer muss es ja machen. Es wäre einfach zu traurig, wenn diese Geschichte jetzt zu Ende ginge. Ich habe Spaß daran, an der Klinge zu arbeiten, das Gemüse zu verkaufen, mit den Kunden zu reden." Nun wird er Brunnenkresse-Gärtner im Nebenamt: "Ich werde dafür sorgen, dass die Tradition nicht untergeht."

Er wird wohl noch lange hinter mir stehen, und mir hoffentlich auch die letzten Geheimnisse verraten.

Max Kaufhold

Tausendundein Tipps zur Geschäftsübergabe

Der 19-Jährige geht bei Ralf Fischer schon jahrelang in die "Lehre". Als Ralf im Vorjahr mit seinem schmerzhaften Rücken für Wochen ausfiel, hat Max den Laden geschmissen. "Das macht er schon ganz gut." Das ist für den Brunnenkresse-Senior schon höchstes Lob.

Nun will er die Geschäftsübergabe nach und nach in trockene Tücher bringen und den Gartenbaubetrieb mit allem was dazu gehört an Max übergeben. Es freue ihn sehr, dass die Nachfolge geklärt ist und sich jetzt die nächste Generation Körbchen, Messer und Knieschoner schnappt.

Die Geschäftsübergabe wird von tausendundeinem Tipp begleitet. "Er wird wohl noch lange hinter mir stehen, und mir hoffentlich auch die letzten Geheimnisse verraten", sagt Max - und als er mir einen Strauß frischer Kresse abschneidet, passiert es: Max hat sich das Lieblingsmesser von Ralf geschnappt. Und der kommentiert das lachend so: "Die Geschäftsübergabe ist erfolgt."

MDR (nis)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit des Tages | 18. Februar 2023 | 18:00 Uhr

6 Kommentare

Harka2 am 20.02.2023

Niemand lebt seit langen in Erfurt noch vom Kresseanbau. Dazu ist das Anbaugebiet zu klein und die Stadt hat auch kein Interesse, das zu ändern. Dann müsste man dort erst mal Eigentumsrechte klären, damit der Betrieb wieder mehr als nur ein Becken in Betrieb nehmen kann. Dazu müssten die drei weiteren noch vorhandenen Becken zudem teuer saniert werden, was der Stadt aber kaum etwas bringen würde. Man könnte zwischen Kresseweg und Hochheimer Straße sogar alte Becken wiederherstellen bzw. neu erbauen, nur wird das dennoch nie mehr als einen Nebenjob abwerfen. Sicher kehrt die gehobene Gastronomie schon lange wieder zu frischen Kräutern zurück, dennoch wird das nie ein großer Betrieb werden.

Harka2 am 18.02.2023

Das freut mich aber sehr für Herrn Ralf Fischer. Seine Kresse ist absolut lecker, sein Kressesenft ist eine Geschmacksexplosion und er selber total nett. Möge sein Nachfolger, den ich kenne, woran er sich aber ganz sicher nicht erinnern kann, noch lange erfolgreich Kresse ernten.

Maria A. am 18.02.2023

Man atmet förmlich auf, wenn man im Wust der Bad News einen Beitrag findet, der etwas Positives beinhaltet. Dem tüchtigen Kresse-Anbauer von Herzen einen erholsamen Ruhestand und seinem Nachfolger alles erdenklich Gute für seine Firmenzukunft.

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