Ein Straßenschild mit der Aufschrift Nettelbeckufer.
An diesem Straßennamen hat sich in Erfurt eine Debatte entzündet. Bildrechte: MDR/Martin Moll

Debatte Streit um Nettelbeckufer in Erfurt: Anwohner wollen Brücke umbenennen

14. Juli 2022, 15:24 Uhr

Seit etwa zwei Jahren regt die Erfurter Initiative "Decolonize" an, das Nettelbeckufer umzubenennen - mit Hinweis auf den kolonialen Hintergrund des Seefahrers. Anwohner haben ihre Teilnahme an einem Runden Tisch nun abgesagt, aber Vorschläge in die Debatte eingebracht.

Die Anwohnervertreter des Nettelbeckufers in Erfurt haben ihre Teilnahme am Runden Tisch zur Straßenumbenennung abgesagt. Seit mehr als zwei Jahren werde ohne Ergebnis diskutiert, heißt es zur Begründung.

Sie wollen die Debatte beenden und haben mehrere Lösungsvorschläge eingebracht. So soll das Nettelbeckufer weiter Nettelbeckufer heißen, aber Zusatzschilder und eine Informationsstele bekommen.

Nettelbeckufer-Anwohner wollen Brücke umbenennen

Nettelbeck war Seefahrer und auf Sklavenschiffen unterwegs. Die Initiative "Decolonize", die sich mit dem kolonialen Erbe Erfurts befasst, will deshalb das Nettelbeckufer in Gert-Schramm-Ufer umbenennen. Um die verhärteten Fronten aufzuweichen, hatte der Stadtrat einen großen Runden Tisch empfohlen, der allerdings bisher noch nicht zustande kam.

Die Anwohner schlagen nun vor, die Karlsbrücke in Gert-Schramm-Brücke umzubenennen und eine Straße in Erfurt nach Gert Schramm zu benennen. Der Afrodeutsche wurde 1944 als 15-Jähriger im KZ Buchenwald inhaftiert. In späteren Lebensjahren engagierte er sich als Zeitzeuge und antirassistischer Aktivist.

Die CDU-Fraktion im Erfurter Stadtrat unterstützt die Lösungsvorschläge der Anwohner. Fraktionsvorsitzender Michael Hose hält sie für realistisch. Sie würden viele Aspekte der Diskussion berücksichtigen.

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Für Ralf G wollen die Mitglieder der Initiative mit dem Umbenennnungsvorstoß nur ihr Selbstwertgefühl heben und sich "für die moralische Elite Erfurts" halten. Mediator sah dagegen eine zunehmende Sensibilisierung für die "Verbrechen des Kolonialismus" und Ablehnung des darauf fußenden Rassismus. Ralf G verwies darauf, dass zur damaligen Zeit Kolonialismus bei einem anderen Rechtsverständnis nicht nur in Europa Normalität gewesen sei. Dem widersprach Lavendel, da alles seine Zeit habe und "tolle Kolonialhelden" im Kaiserreich, der Weimarer Republik und dem Dritten Reich ihren Platz gehabt haben mögen, aber heute zunehmend nicht mehr.

Aus Sicht von emlo müsse abgewogen werden, ob bei historischen Persönlichkeiten das Positive überwiege - wie etwa bei Luther trotz seines Antisemitismus. Bei Nettelbeck sei die Bilanz nicht so eindeutig. Seine Beteiligung am Sklavenhandel erfordere zwar keine Umbenennung, dürfe aber nicht als "normal" unter den Teppich gekehrt werden. martin sah "durchaus nachvollziehbare Gründe" das Nettelbeckufer nicht umzutaufen. Sowohl der Namensgeber als auch die Erinnerung an ihn seien Teil der Geschichte. Wenn man sich ihr stelle und nicht versuche unliebsame Teile zu verschweigen, sollte es wie vorgeschlagen entsprechende Hinweise geben. Für Kleingartenzwerg ist Nettelbeck "eine absolut ambivalente Persönlichkeit deren Nachbar ich nicht sein wollte wenn er heute noch leben würde". Gerade deshalb und weil er immer für die gerade zeitgemäße Propaganda benutzt worden sei, sollte die Erinnerung an ihn nicht durch Umbenennung "liquidiert" werden."

MDR (mm)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. Juli 2022 | 11:30 Uhr

69 Kommentare

martin am 15.07.2022

Sie haben völlig recht: Man KANN aus der Geschichte für die Gegenwart lernen, wenn man möchte. Man muss es nicht.

Und wenn Sie so vielen höchstwichtigen Dingen beschäftigt sind, dass Sie sich um die Namensgebung in Ihrer Umgebung keine Gedanken machen können, dann muss das andere Menschen doch nicht daran hindern, genau das zu tun. Die müssen auch nicht unbedingt unter Langeweile leiden - sie setzen nur die Prioritäten möglicherweise anders als Sie. Oder dürfen die das Ihrer Meinung nach nicht?

martin am 15.07.2022

Wenn Bürger einer Stadt ein gemeinsames Anliegen haben, dann sollte es ja wohl eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich die Stadt damit beschäftigt.

Kleingartenzwerg am 15.07.2022

Wer so verdreht argumentiert macht sich selbst fragwürdig.
Es geht nicht darum den Lauf der Geschichte zu ändern und auch nicht darum reinen Symbolik zu betreiben und nur das würde eine Umbenennung bedeuten.
Für mich steht die Grundsatzfrage:"Wem nützt es?" reinen Umbenennungssymbolismus zu betreiben. Aders gefragt, was glauben Sie verbessert sich in unserm Land wenn Sie über die Umbenennung diskutieren?

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