Entlastung für Pflegekräfte Verhandlungsbeginn am Helios-Klinikum Erfurt: Pfleger legen Forderungskatalog vor

24. September 2022, 06:00 Uhr

Am Helios-Klinikum in Erfurt beginnen am Donnerstag die Verhandlungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften. Der Betriebsrat geht mit einem Forderungskatalog der Belegschaft in die Gespräche, der das Angebot der Geschäftsführung aus dem Juni weit übertrifft. Sollten die Verhandlungen scheitern, will sich die Gewerkschaft Verdi einschalten.

Seit Monaten schwelt am Helios-Klinikum in Erfurt ein Konflikt zwischen der Geschäftsführung und den Pflegekräften, der nun ein neues Kapitel bekommt. Wie der Betriebsrat auf Anfrage von MDR THÜRINGEN bestätigte, sollen am 22. und 28. September die Forderungen der Pflegekräfte nach besseren Arbeitsbedingungen neu verhandelt werden.

Konkret geht es dabei um Ausgleichsleistungen für das Arbeiten auf unterbesetzten Stationen und für fortwährende Dienstplanänderungen, wie das "Holen aus dem Frei", das Einspringen auf anderen Stationen oder Schichtwechsel, die den Pflegekräften ein hohes Maß an Flexibilität abverlangen. Doch spätestens seit dem ersten Angebot der Geschäftsführung im Juni, das als "lächerlich" und "indiskutabel" empfunden wurde, geht es den Pflegekräften um weit mehr: um Respekt und spürbare Entlastung.

Neuer Forderungskatalog übersteigt bisheriges Angebot deutlich

Die Unzufriedenheit vieler Pflegekräfte lässt sich beziffern: Innerhalb kurzer Zeit haben 577 Pfleger und Pflegerinnen - also etwa die Hälfte aller Pflegemitarbeiter - einen neuen Forderungskatalog unterzeichnet, der sich die im MDR-Artikel vom 17. Juni beschriebenen Ausgleichszahlungen für Dienstplanänderungen an den Helios-Kliniken in Warburg und Salzgitter zum Vorbild nimmt.


Ich bin froh, dass die Verhandlungen beginnen können, weil davon das Signal ausgeht, dass es notwendig ist, über die Entlastung der Mitarbeiter zu sprechen.

André Maaß Mitglied der Verhandlungsgruppe des Betriebsrats

Im Vergleich zum offenen Brief, der mit rund 300 Unterschriften im Februar übergeben wurde, stellt der Katalog nun ganz konkrete Ausgleichsforderungen, die das Angebot der Geschäftsführung aus dem Juni weit übersteigen. Ein zentraler Punkt dabei ist: Die Mitarbeiter sollen wählen können, ob sie lieber eine Geldleistung oder eine Arbeitszeitgutschrift für betriebsbedingte Dienstplanänderungen oder das Arbeiten auf unterbesetzten Stationen erhalten.

Was die Pflegekräfte konkret fordern
Zulagen bei Derzeit / Angebot im Juni Forderungskatalog
Arbeit im Springerpool 100 € pro Monat / 100 € pro Monat 1.000 €
Schichtwechsel keine/keine 20 € oder 1 h
Stationswechsel keine/keine 50 € oder 3 h
Einspringen im Bereitschaftsdienst keine/keine 125 € oder 8 h
Einspringen bei Rufbereitschaft keine/keine 45 € oder 2 h
"Holen aus dem Frei" keine / 47 € pro Schicht + 41 € am WE/Feiertag + 31 € bei Nachtschicht 125 € oder 8 h
Arbeit auf unterbesetzter Station keine/keine mind. 40 € oder 2 h

Diesen Forderungskatalog will der Betriebsrat nun als Grundlage für die Gespräche mit der Geschäftsführung nehmen. André Maaß, der selbst Mitglied der Verhandlungsgruppe ist, sieht allein in der Aufnahme der Gespräche einen ersten Etappensieg: "Ich bin froh, dass die Verhandlungen beginnen können, weil davon das Signal ausgeht, dass es notwendig ist, über die Entlastung der Mitarbeiter zu sprechen."

Mitarbeiter waren schon vor Corona überlastet

Notwendig ist das eigentlich schon seit mindestens drei Jahren. 2019, als von Corona noch gar keine Rede war, führte die Gewerkschaft Verdi eine Umfrage am Helios-Klinikum in Erfurt durch, an der sich 652 Mitarbeiter beteiligten.

Die Ergebnisse beziffern einmal mehr die Unzufriedenheit der Pflegekräfte und zeigen, dass schon vor der Pandemie die Belastung sehr hoch war: 70 Prozent der Befragten erklärten, dass es in ihrem Bereich zu wenig Personal gebe. 74 Prozent bezweifelten, dass sie aufgrund von Überlastung eine gute Pflege am Patienten leisten könnten und ganze 84 Prozent erklärten, dass sie eine "enorme Arbeitsbelastung" verspürten.

Geschäftsführung hält sich bedeckt

Über die Situation der Pflegekräfte im Haus will Geschäftsführer Florian Lendholt derweil nicht sprechen. Er lehnte auch eine dritte Interviewanfrage von MDR THÜRINGEN ab und ließ durch eine Pressesprecherin ausrichten, sich grundsätzlich nicht in dieser Angelegenheit äußern zu wollen. Weiter heißt es in der Stellungnahme, dass die Verhandlungen auf einem guten Weg seien, es gemeinhin aber üblich sei "interne Verhandlungen nicht öffentlich zu führen".

Außerdem teilte die Pressestelle hinsichtlich des Forderungskataloges mit, dass die Unterschriften den Wunsch der Mitarbeitenden nach einer Anerkennung für das kurzfristige Einspringen signalisierten. Diesem Wunsch "soll und wird die geplante Betriebsvereinbarung Rechnung tragen."

Betriebsvereinbarung birgt rechtliche Hindernisse

Dass die Geschäftsführung schon jetzt mit einer Einigung im Rahmen einer Betriebsvereinbarung plant, wirft mindestens zwei Fragen auf: Welche Konditionen schweben ihr dabei vor und in welchem rechtlichen Rahmen soll der Betriebsrat daran überhaupt mitwirken können? Denn nach Paragraf 77 des Betriebsverfassungsgesetzes kann ein Betriebsrat gar keine "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden" zum "Gegenstand einer Betriebsvereinbarung" machen.

Der Betriebsrat ist als Verhandlungspartner eigentlich machtlos. Er kann keine rechtssicheren Lohnvereinbarungen treffen, kann keinen Streik ausrufen, er kann den Geschäftsführer nur bitten, den Forderungen nachzukommen.

Hannes Gottschalk, Gewerkschaftssekretär von Verdi Thüringen

Nicht zuletzt deswegen ist Verdi-Gewerkschaftssekretär Hannes Gottschalk mindestens skeptisch, dass die Verhandlungen auf Augenhöhe stattfinden werden: "Der Betriebsrat ist als Verhandlungspartner eigentlich machtlos. Er kann keine rechtssicheren Lohnvereinbarungen treffen, kann keinen Streik ausrufen, er kann den Geschäftsführer nur bitten, den Forderungen nachzukommen."

Im Klartext heißt das: Über den Ausgang der Verhandlungen bestimmt allein die Geschäftsführung, die sich nur festlegen muss, ob und zu welchen Zugeständnissen sie bereit ist. Der Betriebsrat begeleitet die Verhandlungen lediglich als mahnendes Sprachrohr der Belegschaft.

Verdi sichert Unterstützung zu

Ganz gleich wie die Verhandlungen verlaufen, die Gewerkschaft Verdi wird sie aufmerksam beobachten. Schon jetzt lobt Gewerkschaftssekretär Gottschalk das Engagement der Belegschaft. Wie sich diese am Helios-Klinikum organisiert habe, sei beispielhaft und genau der richtige Weg, teilte er MDR THÜRINGEN mit und sicherte weitere Unterstützung zu: "Sollten die Verhandlungen scheitern, wird Verdi eine offene Mitgliederversammlung einberufen, um mit den Kollegen eine Tarifveränderung zu besprechen", so Gottschalk.

Dass der schwelende Konflikt zwischen den Pflegekräften und der Geschäftsführung dann eskalieren könnte und es womöglich zu Streiks, wie zuletzt in Nordrhein-Westfalen kommt, ist derzeit zwar noch in weiter Ferne, aber nicht auszuschließen. Denn die Gewerkschaft Verdi ist am Helios-Klinikum in Erfurt derzeit stark wie nie. In den beiden Corona-Jahren hat sie hier die Zahl ihrer Mitglieder verdoppelt. Gottschalk spricht von mittlerweile 300 Gewerkschaftsmitgliedern, die meisten davon Pflegekräfte. Noch so eine Zahl mit der sich die Unzufriedenheit der Pflegekräfte beziffern lässt.

Nachtrag vom 4. Oktober: Obwohl die Verhandlungstage inzwischen verstrichen sind, gibt es noch kein Ergebnis. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN dauern die Verhandlungen an. Wir werden weiter darüber berichten, sobald es etwas Neues gibt.

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 22. September 2022 | 10:00 Uhr

15 Kommentare

Reuter4774 am 23.09.2022

Das Grundproblem ist die Privatisierung der Kliniken in Konzerne. Und, bei steigender Lebenserwartung, die noch fehlende anteilige (!) Zuzahlung bei Altersoperationen ( Hüfte, Knie...) wie sie sonst ja auch üblich ist ( Rezepte, Krankentransport, Zahnersatz, Brille, Hörgerät). Eventuell auch angepasst an selbst verschuldetes Risiko ( Rauchen, sonstiger Drogenkonsum, Übergewicht, Risikosport...).

Reuter4774 am 23.09.2022

Das ist ganz einfach und muss öffentlich geklärt werden. Immer mehr (ältere) Patienten in Deutschland mit steigender Behandlungsnotwendigkeit wollen gut versorgt werden im Krankenhaus. Also will, daß immer geringere Personal für seine Arbeit Anerkennung und Entlohnung sehen. Ist doch eigentlich ganz einfach.

Euphemismus am 22.09.2022

Ich bin im übrigen bei ihnen angemessener Lohn.
Gute Arbeitsbedingungen.
Anerkennung Wertschätzung
Als Grundvoraussetzung für Qualität
Ich weiß auch, Krankenhaus Pflege eca sollte man eventuell dem Ökonomischen Dru k nicht aussetzen.
Tut man aber in der Realität.
Ob bei den explodierenden Kosten noch von gigantischen Gewinnen reden kann? Im Übrigen ist Gewinn für ein Unternehmen existenziell quasi der Unternehmer Lohn
Ohne ihn würde niemand ein erhöhtes Risiko eingehen Arbeitnehmer erzielen ihren „Gewinn“ durch den Lohn den Erlös aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft und Zeit.
Sie tauschen eine begrenzte Ressource nämlich Lebenszeit gegen das Tausch Äquivalent Geld.

Ich argumentiere nicht schräg
Das ist ökonomische Theorie

Im Moment befinden sich in den Erzeugerpreisen noch mindestens 60% Inflation die noch gar nicht weitergegeben sind! Das kommt erst noch.
Eine kollabierende Wirtschaft wird aber ein Sozialsystem aus guten Tagen nicht mehr tragen können.
Sapere Aude

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