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Undercover-OperationPolizei schleuste Quelle in italienische Mafiagruppe von Erfurt

21. Februar 2021, 05:00 Uhr

Dem Bundeskriminalamt und dem Thüringer Landeskriminalamt ist vor 20 Jahren ein hochgeheimer Ermittlungscoup gelungen. Ein verdeckter Ermittler schaffte das fast Unmögliche: Er unterwanderte die italienische Mafiagruppe in Erfurt. Die Quelle soll Informationen aus dem innersten Kreis der sogenannten "Erfurter Gruppe" geliefert haben - einer 'Ndrangheta-Zelle in Thüringen und Sachsen. Doch dann wurde das Verfahren plötzlich gestoppt. Die Geschichte einer gefährlichen Mission und ihres Scheiterns.

von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia

In Erfurt fasste die italienische Mafiaorganisation 'Ndrangehta in den 90er-Jahren Fuß. Die Wiedervereinigung eröffnete dem organisierten Verbrechen neue Geschäftsmöglichkeiten. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Das vertrauliche Treffen soll Mitte Dezember 2001 in Rom stattgefunden haben. Hochrangige Ermittler aus Italien und Deutschland hatten eine knifflige Aufgabe zu lösen. Sie mussten den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers in Italien planen. Mit am Tisch saßen Beamte der Staatsanwaltschaft Gera, dem Thüringer Landeskriminalamt, dem Bundeskriminalamt, der Staatsanwaltschaft aus Reggio Calabria und Fahnder der Carabinieri. Ihr Ziel: Die Tarnung ihres verdeckten Ermittlers um keinen Preis zu gefährden.

Doch nur wenige Monate später flog Ihnen der gesamte Plan um die Ohren und die große Chance, einer der gefährlichsten Mafia-Gruppen der Welt einen Schlag zu versetzen, war vertan. Nach allem was ein Reporterteam des MDR und der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS) zusammengetragen hat, scheiterte es offenbar vor allem an der Eitelkeit gekränkter Beamter, Kompetenzstreitigkeiten und mangelndem Verständnis für die Herausforderung komplexer Verfahren gegen die italienische Mafia.

Geheime FIDO-Akte wird angelegt

Die Geschichte begann 1998, als Beamte des Thüringer Landeskriminalamtes immer mehr Hinweise erhielten, dass sich in Erfurt Mitglieder einer der gefährlichsten Mafia-Organisationen der Welt eingenistet haben: der kalabrische 'Ndrangheta. Zusammen mit der Staatsanwaltschaft Gera begannen sie, Stück für Stück die Strukturen zu untersuchen. Sie sammelten Informationen über die italienischen Gastronomen, die ab 1996 immer mehr Restaurants in Erfurt übernahmen.

Nach der Wende ließ sich die 'Ndrangheta zunächst in Erfurt nieder. Von hier aus begann die "Kolonisierung" Thüringens und des Ostens. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Dann, Mitte 2000, werden diese Ermittlungen konkreter. Das Bundeskriminalamt schaltet sich ein und bei der Staatsanwaltschaft Gera wird ein großes Strafverfahren eingeleitet. Anfangs richtet es sich gegen drei Italiener, die alle im Verdacht stehen an Drogen- und Geldwäschegeschäfte beteiligt zu sein. Im Laufe der Monate weiten sich die Ermittlungen auf bis zu acht Beschuldigte aus. Dazu wurde auch das gesamte personelle Umfeld der Männer untersucht. Das Verfahren bekommt den Decknahmen FIDO. Was im Italienischen "Kredit" oder "Vertraute" bedeutet. Ob der Operationsname dafür steht ist nicht bekannt.

Im Laufe der folgenden beiden Jahre sammeln sich tausende Seiten in der sogenannten FIDO-Akte, einem geheimen Dokumentenkonvolut, das brisante Informationen über die italienische Mafia und ihr Agieren in Thüringen und Sachsen enthalten soll. Inklusive ihrer offenbar guten Kontakte in Politik, Verwaltung, Justiz und Wirtschaft.

Verdeckter Ermittler dringt in "Erfurter Gruppe" vor 

BKA und LKA beantragen das Abhören von Telefonen. 2001 startet ein fast anderthalb Jahre dauernder Lauschangriff auf die mutmaßlichen Mitglieder der Erfurter 'Ndrangheta-Gruppe. Mindestens 4.000 Gespräche werden belauscht. MDR und FAS liegen eine Reihe dieser Abhörprotokolle vor, die erstmals einen tiefen Einblick in die Strukturen dieser Mafia-Gruppe zulassen.

Telefone abhören ist ein wichtiger Teil einer solchen Operation. Doch sie geben immer nur einen bestimmten Ausschnitt wieder. Sie ersetzen nicht die Informationen einer menschlichen Quelle und so ist es dann offenbar schon zu Beginn der Operation FIDO zu dem Plan gekommen, einen verdeckten Ermittler einzusetzen. Nach Recherchen von MDR und FAS in diesem Fall einen besonderen, denn bei dem Polizeibeamten handelte es sich um einen Italiener. Er war offenbar mit einer solchen wasserdichten Legende ausgestattet, dass er sich über Monate immer weiter im Umfeld der "Erfurter Gruppe" vorarbeiten konnte.

Aus Ermittlerkreisen heißt es, das ihm dabei ein mutmaßliches Mitglied der Mafia-Gruppe sogar unfreiwillig half. Denn der verdeckte Ermittler gewann das Vertrauen und die Sympathie eines italienischen Gastronomen, der auch auf der Beschuldigtenliste von FIDO stand. Dieser hatte den Ermittler offenbar so ins Herz geschlossen, dass er für ihn bei den anderen Mafiosi bürgte und ihn damit scheinbar immer weiter in die Gruppe vordringen ließ. Das Ziel der Mafiafahnder von BKA, LKA und Staatsanwaltschaft Gera war, Informationen zu erhalten, die ausreichten um die gesamte Gruppe auffliegen zu lassen und ihnen den Prozess zu machen.

1998 gerät die 'Ndangheta ins Visier des LKA Thüringen. Mitte 2000 startet das Ermittlungsverfahren "FIDO". Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Gefährliche Mission sollte Jahre dauern

Doch solche verdeckten Einsätze sind gefährliche Missionen und brauchen Zeit. Von daher hatten die Ermittler einen Zeitkorridor von Jahren und nicht von Monaten für einen möglichen Ermittlungsabschluss eingeplant. Dann, irgendwann Ende 2001, kam offenbar ein Problem: Der verdeckte Ermittler soll von seinem Mentor zu einer Reise ins Herz der kalabrischen Mafia, nach San Luca, eingeladen worden sein.

Dabei soll es sich um eine Hochzeit im Sommer 2002 gehandelt haben. Um die Tarnung aufrecht zu halten und kein Misstrauen zu erwecken, musste der Untercover-Mann mit auf diese Reise. Was für seine Führungsbeamten bedeutete, es musste seine Sicherheit auch in Italien, besonders in Kalabrien, gewährleistet werden. In Thüringen hatten die Fahnder das offenbar dadurch in den Griff bekommen, in dem sie weitere verdeckte Ermittler unter anderen Tarnungen in das Umfeld der italienischen Restaurants schleusten. Diese wurden damit zu einer Art "Leibwächter" für ihn. Doch in Italien mussten das die dortigen Behörden übernehmen. Daher kam es offenbar im Dezember 2001 zu dem geheimem Treffen in Rom. Dort soll von italienischer Seite die Sicherheit des verdeckten Ermittlers zugesagt worden sein, heißt es aus deutschen Polizeikreisen.

"Hätten weiter machen müssen"

Doch ein solch heikler Auslandseinsatz bleibt in der Planung im deutschen Behördendschungel nicht lange verborgen. So bekam offenbar die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft Wind von dem Vorhaben und musste scheinbar feststellen, dass die ihr untergeordneten Staatsanwaltschaft Gera die Operation geplant hatte, ohne sie ausreichend zu informieren. Was dann passierte schildern mehrere damals beteiligte Beamte heute als eine behördliche Demütigung der Geraer Ermittler.

So soll die Generalstaatsanwaltschaft in einem Akt von Kompetenzgerangel den Auslandseinsatz des verdeckten Ermittlers untersagt haben. In der Folge mussten die Ermittler offenbar alle ihre verdeckten Operationen Stück für Stück einstellen. Damit begann der Anfang vom Ende des ambitionierten Ermittlungsverfahrens FIDO. Ein hochrangiger Fahnder sagte MDR und FAS: "Es gab damals keinen sachlichen Grund, das Verfahren einzustellen". Ein anderer erklärte, dass es viel zu früh gewesen sei und man in dem Verfahren hätte weitermachen müssen. Der italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri, der von Seiten der Ermittler in Reggio Calabria an dem Verfahren beteiligt war, sagte rückblickend : "FIDO war ein Schritt weiter. Es war schwieriger, raffinierter, ambitionierter auf Ebene der Ermittler."

Nach Recherchen von MDR und FAS soll der verdeckte Ermittler an einem wichtigen Punkt bei der Informationsgewinnung gewesen sein. Doch nachdem der Auslandseinsatz gescheitert war, bangten die Ermittler damals offenbar um die Tarnung des Untercover-Beamten. Aus diesem Grund sollen sie sich entschieden haben ihn abzuziehen. Das war das Ende. 

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"Kollegen wären daran kaputt gegangen"

Was von FIDO übrig blieb, war in den Jahren 2003 und 2004 noch einmal Finanzermittlungen anzustrengen, um dem Verdacht der Geldwäsche nachzugehen. Doch auch das blieb ohne Erfolg und das Verfahren wurde 2006 endgültig eingestellt - ohne eine einzige Hausdurchsuchung oder eine Festnahme. Die 'Ndrangheta-Zelle "Erfurter Gruppe" konnte damit ihren mutmaßlich kriminellen Geschäften weiter nachgehen. Beamte mit denen man heute über die damaligen Ereignisse und den Abbruch aller verdeckten Einsätze spricht, berichten von einer großen Frustration. "Es war gut, dass es thematisch neue und andere Verfahren gegeben hat, sonst wären die Kollegen damals daran kaputt gegangen", sagte ein erfahrener Ermittler. 

Brisante Informationen in geheimen FIDO-Akten?

Doch was von FIDO vor allem übrig bleibt, könnten Unmengen an brisanten Informationen sein. Denn bei den Telefonüberwachungen, den Observationen und den Berichten des Verdeckten Ermittlers wurde immer deutlicher, wie gut die italienischen Gastronomen und mutmaßlichen Mafiamitglieder in Politik, Verwaltung oder Justiz in Thüringen vernetzt waren.

Nach Recherchen von MDR und FAS plante die Staatsanwaltschaft Gera damals sogar ein eigenes Verfahren. So sollten neben FIDO weitere Ermittlungen eingeleitet werden, um diese brisanten Verbindungen juristisch zu untersuchen. In den FIDO-Akten finden sich Hinwiese, dass ein Thüringer Richter gute Kontakte zu mutmaßlichen 'Ndrangheta-Mitgliedern hatte. In Telefonüberwachungen wird er mehrfach erwähnt. Auch Finanzermittlungen wurde erst nicht eingeleitet. In einem Aktenvermerk heißt es, dass es möglicherweise Verbindungen von Erfurter Bankmanagern und den mutmaßlichen 'Ndrangheta-Leuten gab und so Informationen verraten werden könnten. So soll es auch mindestens ein geschäftliches Treffen in San Luca gegeben haben, an dem ein Erfurter Amtsrichter, ein Sparkassenmanager und mehrere Erfurter Geschäftsleute teilgenommen haben sollen.

Aus diesen brisanten Gründen wurde FIDO damals unter höchster Geheimhaltung geführt. Das Thüringer Justizministerium erhielt bis zum Ende der verdeckten Einsätze 2002 nur spärlich Berichte. Offenbar trauten die Ermittler in Gera den Ministerialbeamten in Erfurt nicht. Die Angst, das Geheimnisse bei einer Flasche Wein beim Lieblingsitaliener durchsickerten, war offenbar zu groß. Ein damals beteiligter Fahnder sagte: "Das ist alles bis heute nicht aufgearbeitet worden." Was bedeutet, dass das Verfahren FIDO viele Fragen offen lässt. 

Behörden äußern sich zurückhaltend

Die stellten MDR und FAS den damals beteiligten Behörden. Das Bundeskriminalamt und das Thüringer Landeskriminalamts bestätigen beide eine Beteiligung an dem Verfahren. Allerdings nennen beide Behörden keine Details. Die Staatsanwaltschaft Gera will sich gar nicht äußern, da das Verfahren beendet und die Akte geschlossen sei.

Der damalige Generalstaatsanwalt Winfried Schubert sagte MDR und FAS, dass er sich an einen Vorgang von damals erinnern könne, aber eine Verschwiegenheitspflicht darüber habe. Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, dass eine Weisung zum Abbruch von verdeckten Maßnahmen nicht dokumentiert sei. Zu der Frage, wie die Generalstaatsanwaltschaft auf den Plan des Auslandseinsatzes des Verdeckten Ermittlers reagiert habe, teilt sie mit: "Die inhaltlichen Informationen haben ihre Grundlage im Strafverfahren." Ob Auskunft darüber gegeben werde entscheide in diesem Fall die Staatsanwaltschaft Gera. Die sich nicht zu FIDO äußern will.

    

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Quelle: MDR THÜRINGEN/ask

Dieses Thema im Programm:Das Erste | Mafia-Kolonie Ostdeutschland | 22. Februar 2021 | 22:50 Uhr

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