Unterricht Menschenrassen: Biologie-Test sorgt für Ärger zwischen Erfurter Schule und Bildungsministerium

Juliane Maier-Lorenz
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Anfang Mai schreiben die Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Jenaplan-Schule in Erfurt einen Test in Biologie. Das ist an sich nichts ungewöhnliches, doch der Test hat es in sich. Hautfarbe, Herkunft, Haarstruktur, Augenform, Körpermaße und Lebensraum – anhand von Fotos müssen die Jugendlichen die Menschen kategorisieren. Genau dieser Test hat jetzt im Bildungsministerium für Ärger gesorgt.

Das Konzept von Menschen und Rassen gilt seit langem als wissenschaftlich überholt. Rasse als Einteilung von Menschen ist fachlich falsch und mit den heutigen Erkenntnissen der Genetik nicht mehr vereinbar. Darauf weisen Wissenschaftler schon seit Jahren hin. Und dennoch hat der Biologie-Test einer zehnten Klasse der Jenaplan-Schule in Erfurt das getan - Menschen kategorisiert.

Die Jugendlichen mussten anhand von Fotos die Besonderheiten, Lebensbedingungen, Haarfarbe - und Struktur sowie Augenfarbe und -form bestimmen. Ihnen wurde defacto Rassismus vermittelt. Genau das hat zwischen der Schule und dem Bildungsminsterium für Ärger gesorgt. Mit dem Test sei die "Grenze zu überholten rassenkundlichen Lehren und damit heute klar als rassistisch zu bewertenden Thesen unzweifelhaft überschritten", lautet es aus Ministerium.

Menschen und ihre Rassen: Bis 1999 noch Teil des Lehrplans

Mit dem Bekanntwerden des Tests sei umgehend eine schulaufsichtliche Prüfung gegen den betreffenden Lehrer eingeleitet worden, auch weil die in der Leistungskontrolle gestellten Fragen und offenbar erwarteten Antworten in keiner Weise von den Thüringer Lehrplänen gedeckt sind. "Jeglicher Anschein von Rassismus oder Rassekunde hat in Thüringer Schulen nichts zu suchen. Diese Arbeit ist fehl am Platze und damit wird deutlich, dass wir mit höchsten Augenmerk und höchster Sensibilität dem Thema uns in den Schulen generell widmen müssen, und speziell an dieser Schule", sagte Bildungsminister Helmut Holter (Linke) MDR THÜRINGEN.

Bis 1999 standen rassenkundliche Thesen noch im Thüringer Lehrplan für Biologie. Erst 2012 wurde das Thema gänzlich gestrichen. In der Zwischenzeit gab und gibt es auch weiterhin, zahlreiche Fortbildungen am Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM).

Jenaer Erklärung widerlegt These

"Was der Lehrer da von Schülerinnen und Schülern abverlangt hat, entspricht nicht mehr dem wissenschaftlichen Kenntnisstand und das schon seit einigen Jahren, Jahrzehnten muss man sagen. Der Begriff Rasse ist obsolet. 1995 gab es von der Unesco ein ganz klares Statement dazu und wer sich entsprechend als Lehrer weitergebildet hat - und dazu ist man als Lehrer verpflichtet- der müsste das wissen", sagt Dr. Karl Porges von der Universität Jena. Porges, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Biodidaktik und selbst Biologielehrer, verweist auf die Jenaer Erklärung von 2019.

In der mehrseitigen Schrift machen Spitzenforscher aus Zoologie und Anthropologie deutlich, dass es keine Menschenrassen gibt. Menschen nach Rassen zu sortieren, entbehrt jeder biologischen und medizinischen Grundlage.

Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung.

Jenaer Erklärung 2019

"Die Einteilung der Menschen in Rassenkreise, wie in den Schulbüchern der DDR beziehungsweise BRD sichtbar, basierte auf dem NS-Ideologen Egon von Eickstedt", weiß Porges.

Auch heute noch wird der Begriff Rasse im Zusammenhang mit menschlichen Gruppen, vielfach verwendet, so die Jenaer Erklärung. Dafür gibt und gab es jedoch nie eine biologische Begründung. Deshalb habe die Diskriminierung von Menschen im Thüringer Schulwesen keinen Platz, so Bildungsminister Holter, ebenfalls Unterstützer der Jenaer Erklärung.

Die Schulleitung selbst will sich nicht zu den Hintergründen des Tests äußern. Man habe dem Schulamt ein Statement dazu abgegeben. Die schulaufsichtliche Prüfung sei zugunsten des Lehrers ausgefallen, heißt es. Dienstliche Folgen muss der Pädagoge nicht fürchten. "Mit dem Lehrer und der Schulleitung ist darüber gesprochen worden. Da gibt es eine große Betroffenheit und eine innere Auseinandersetzung und eine Bereitschaft sich diesem Thema entsprechend zu stellen, damit Wiederholungen nicht eintreten", sagte Holter. Ein rassistisches Motiv schließt das Ministerium aus.

Eine solche Leistungskontrolle wirkt verstörend und völlig aus der Zeit gefallen.

Thüringer Bildungsministerium

Dennoch: Der Fall ist nicht abgehakt. Mit dem Lehrer und der Schule will das Bildungsministerium den Fall weiteraufarbeiten. Auch in Fortbildungen will man aktiv noch einmal darauf hinweisen, dass es für Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Bildungswesen keine Grundlage gibt.

Landeselternvertretung: "Thema muss eingeordnet werden"

Auch gibt es Pläne, das Thema "Menschenrassen" wieder in die neuen Lehrpläne zu integrieren, um Kinder aufzuklären. Eben darin, dass diese These wissenschaftlich völlig überholt ist. Aus Sicht der Eltern wäre das ganz wichtig. "Das muss eingeordnet werden. Wir sehen ja in unserer Wirklichkeit, mit welchen Menschen wir zusammenleben und jeder ist ein bisschen anders, sieht ein bisschen anders aus. Und sicherlich ist das auch zu erklären, warum das bei manchen Menschen so ist oder anders ist. Aber genau das muss eingeordnet werden. Einfach abzufragen und in Schubladen zu stecken, das geht eben nicht", sagte Claudia Koch, die Vorsitzender der Landeselternvertretung Thüringen.

MDR (jml)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 26. Juni 2022 | 19:00 Uhr

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