Kulturgüter bewahren Neue Chefin plant Umzug der Erfurter Restaurierungswerkstätten
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15. Mai 2024, 15:26 Uhr
In Erfurt plant die neue Chefin der Restaurierungswerkstätten der städtischen Museen, Sibylle Wulff, den Umzug der Arbeitsräume, denn die Werkstätten samt Depots sind nicht mehr zeitgemäß. In einem Zentraldepot sollen sie eine neue Heimat finden. Aufgabe der Restaurierungswerkstätten ist es, restaurierungsbedürftige Objekte der Erfurter Museen wie Gefäße aus der Steinzeit, Truhen aus dem Mittelalter oder Gemälde aus der Romantik, wieder in Stand zu setzen.
- Die Erfurter Restaurierungswerkstätten sind aktuell in Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert untergebracht. Sie sind für die Arbeit mit musealen Objekten nicht mehr gut geeignet.
- Die neue Leiterin Sibylle Wulff soll gemeinsam mit der Stadt und den städtischen Museen die Planung und den Bau eines Zentraldepots mit neuen Restaurierungswerkstätten auf den Weg bringen.
- In Erfurt können Objekte aus verschiedensten Materialien wieder in Stand gesetzt werden.
Im Atelier sitzt Panagula Kotsiari vor einem Gefäß. Das hat sie vorsichtig in eine Pappkiste voller Reis gestellt. So kann es nicht umfallen oder gar von der kleinen Arbeitsplatte rollen. "Zum Glück ist mir so ein Unfall noch nie passiert", sagt die Restauratorin. Die Expertin für Metall und Keramik hat aus 30 Scherben in zwei Tagen Arbeit ein Gefäß zusammengepuzzelt, das aus der Steinzeit stammt.
Es soll im Herbst wieder im Stadtmuseum gezeigt werden. Dort gibt es eine kleine archäologische Sammlung. Weil jeder Arbeitsschritt dokumentiert werden muss, hat sie eine Kamera aufs Stativ geschraubt und einen Studioschirm aufgespannt. Um beides muss sie herumtänzeln, denn das Atelier ist nur wenige Quadratmeter groß.
Alte Ateliers im Fachwerkhaus
Die Erfurter Restaurierungswerkstätten sind seit Jahrzehnten in zwei Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert am Stadtring untergebracht. "Das ist hier ein romantischer Ort, aber leider für unsere Arbeit nicht mehr zeitgemäß", sagt die neue Leiterin der Werkstätten, Sibylle Wulff. Über steile Holztreppen und einen Laubengang gelangt man zu den Ateliers. Die Türrahmen sind so niedrig, dass man sich schon bei einer Körpergröße von 1,80 Metern bücken muss.
"Man kommt nur mit einer gewissen Größe an Objekten hier rein. Eine große Textilfahne könnten wir hier nicht durch bugsieren. Und wenn ich Gemälde aus dem Depot in die Werkstatt transportieren will und die dann auch noch in eine Klimakiste packe, dann tut sich der Spediteur schwer damit, das hier hoch zu tragen", zeigt Sibylle Wulff die Schwierigkeiten auf.
Zudem geht es um Arbeitsschutz. Wird mit Lösungsmitteln gearbeitet, fehlen leistungsstarke Gebläse, um die Dämpfe abzusaugen. Momentan schaffen das mehr schlecht als recht kleine mobile Geräte. Da müsse, sagt Wulff, dringend Abhilfe geschaffen werden.
Zentraldepot soll gebaut werden
Die Pläne hierfür werden langsam konkreter. Als sie sich auf die freigewordene Stelle als neue Leiterin der Restaurierungswerkstätten beworben hatte, war genau das bereits ein Einstellungskriterium. Die 45-Jährige soll – gemeinsam mit der Stadt und den städtischen Museen – die Planung und den Bau eines Zentraldepots mit neuen Restaurierungswerkstätten auf den Weg bringen. "Das wird ein großes Projekt. Aber wir brauchen das Zentraldepot dringend, besser heute als morgen."
Auch wenn sie erst wenige Tage im Amt ist, weiß sie doch, dass die Situation in einigen Depots sehr kritisch ist. So sind Kunstwerke mancherorts nur unzureichend vor Gefahren wie Hochwasser, Blitzschlag oder ähnlichem geschützt. "Wir müssen da ran."
In diesem Jahr soll die Machbarkeitsstudie erstellt werden. Nach Standorten wird bereits gesucht. Geprüft werden sowohl Bestandsgebäude als auch freie Flächen für einen Neubau. "Und dann muss nach Geld gesucht werden", nennt Wulff den wohl wichtigsten Schritt. "Aber wenn wir nichts tun und es passiert etwas – nicht auszudenken!"
Warum die Erfurter Restaurierungswerkstätten so besonders sind
Sibylle Wulff weiß, wovon sie spricht. Sie ist selbst Gemälderestaurateurin und hat die letzten Jahre in der Kustodie der Universität in Leipzig gearbeitet. Die zentrale Restaurierungswerkstatt in Erfurt hat sie auch deshalb gereizt, weil sie ziemlich einmalig ist.
"Alle Gewerke unter einem Dach, so etwas gibt es selten. Vor allem auch in dieser Besetzung. Wir haben sechs verschiedene Fachrichtungen mit sieben Kollegen, dazu noch einen Fotografen, einen Techniker, einen Tischler. Wir sind wirklich gut aufgestellt. Normalerweise haben die Museen ihre Restauratoren im eigenen Haus, in ein, zwei Fachrichtungen je nach Museumsgröße, aber dass alles an einem Ort gebündelt ist, dass alle in einem Gebäude sitzen, ist schon was Besonderes. Das haben andere Städte nicht", lobt sie die Erfurter und ihr neues Zuhause.
Alle Gewerke unter einem Dach, so etwas gibt es selten.
Unterm Dach der ehemaligen Pfründnerhäuser, die einst zum Großen Hospital der Stadt gehörten, sitzen auch die Gemälderestauratorinnen. Sie arbeiten seit drei Jahren an einem großen Forschungsprojekt zu Friedrich Nerly. Der in Erfurt geborene Maler der Romantik ist vor allem durch seine Veduten von Venedig berühmt geworden. Die Schenkung seines Nachlasses an seine Heimatstadt hatte einst den Grundstein für das Angermuseum gelegt. 110 Werke von Nerly werden nun restauriert und erforscht. Dabei wird der Bestand erfasst und Nerlys Schaffensweg nachvollzogen. Viele Ölskizzen dienten ihm als Grundlage seiner späteren Gemälde.
Die Restauratorinnen haben die "Blätter" entrahmt, untersuchen die Grundierung, die Malschicht und retuschieren Fehlstellen. "Es soll danach immer noch erkennbar sein, dass wir daran gearbeitet haben. Wir sind keine Fälscherinnen", beschreibt Katharina Bellinger-Soukup ihre Arbeit. Sie sitzt vor einer Staffelei und tupft mit feinem Pinselstrich lichtgraue Farbe auf schadhafte Stellen einer Nerly-Ölstudie. Das Atelier ist voller Nerly-Bilder. Im November dieses Jahres wird es eine Ausstellung im Angermuseum geben, die auch die Arbeit der Restauratorinnen erzählt. Dann endet das Forschungsprojekt und es gibt erstmals einen wissenschaftlichen Gesamtüberblick über das Werk von Nerly.
Holz bearbeiten und Textilien retten
Im Erdgeschoss arbeitet Ronald Krüger eine Truhe auf. Mit einem winzigen Stück Sandpapier schmiergelt er die eingesetzten "Ersatzteile" ab. An der rund 330 Jahren alten Innungstruhe der Waidfärber fehlten Stücke der Verzierung. Die Truhe stand lange im Depot. Der Restaurator für Kulturgut aus Holz ist ein erfahrener "alter Hase" und geht dennoch immer wieder mit großer Ehrfurcht und Respekt an so eine Arbeit. "Wenn man sich überlegt, dass sie 1694 gefertigt wurde ..." Mit einem Wattestäbchen legt er die Ornamente wieder frei, säubert sie ganz vorsichtig.
Dass der Restaurator für Steinplastik oder die Expertin für Textil und Keramik nur über den Hof hinweg ihr Atelier haben, sei von großem Vorteil. "Fast täglich können wir uns mit dem einen oder anderen Tipp aushelfen", meint auch Textilrestauratorin Antje Hirschberger.
Auf ihrem Tisch liegen aktuell historische Fächer. Die Fächersammlung aus privatem Besitz kam als Schenkung ins Erfurter Angermuseum und muss konserviert und gereinigt werden. Ganz vorsichtig mit einem Spezial-Radiergummi macht Hirschberger das. "Die Fächer stammen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Einer wird auch im Angermuseum ausgestellt."
Kulturgüter schützen
Die Zentralen Restaurierungswerkstätten in Erfurt bestehen aus sechs Abteilungen: Holz, Stein, Papier und Grafik, Metall und Keramik, Textilien und Leder sowie Gemälde. Die neue Chefin will sich in den nächsten Wochen die quer über die Stadt verstreuten Depots anschauen – auch wenn sie nicht deren Chefin ist. Denn was dort lagert, kommt früher oder später auf ihren Tisch.
"Einige Depots kenne ich, einige sind okay, um einige aber steht es nicht zum Besten. Um aber präventiv Kulturgüter zu restaurieren und zu bewahren, müssen wir sie zukünftig auch digital erfassen." Große Hausaufgaben für die Neue. Von der Stadtpolitik bekommt sie dafür Rückendeckung. "Man hat erkannt, wie wichtig es ist, unser Erbe zu schützen. Es geht letztlich um die Geschichte der Menschheit."
Redaktionelle Bearbeitung: hro, tmk
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Mai 2024 | 08:40 Uhr