BildungKlage abgewiesen: Kinder in Erfurt müssen Schule wechseln
In Erfurt müssen jetzt neun Fünftklässler die Schule wechseln. Ihre Eltern hatten den Platz an der Wunschschule eingeklagt. Jetzt hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Weimar dem widersprochen. Die Klassenräume seien zu voll, so das Schulamt Mittelthüringen. Seit Jahren fehlen in der Landeshauptstadt Schulplätze, vor allem an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen. Raum- und Platzkapazitäten wurden bisher aufs Äußerste ausgereizt.
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- Die erste Instanz entschied zunächst zu Gunsten der Eltern.
- In Erfurt fehlen seit Langem Schulplätze.
- Die Zahl der Widersprüche gegen zugewiesene Schulplätze steigt.
Es ist kurz vor halb acht, als sich Quentin von seinem Pflegevater Jens Irmer verabschiedet und zu seinen Freunden stößt, die vor dem Schultor auf ihn warten. Seit vergangenem August besucht der Elfjährige die fünfte Klasse der Kooperativen Gemeinschaftsschule (KGS) in Erfurt. Er kommt zurecht in der neuen Schule, hat Freunde gefunden. Doch wenn es schlecht läuft, sieht er diese, genauso wie seine Lehrer, nur noch zwei Wochen lang.
Verwaltungsgericht Weimar gibt klagenden Eltern Recht
Denn nach den Winterferien muss Quentin laut einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Weimar auf eine neue Schule. Auf welche, das wissen er und seine Pflegeeltern noch nicht. Sie hatten den Schulplatz an der KGS in einem Eilverfahren am Verwaltungsgericht Weimar eingeklagt. Zwei Wunschschulen durften die Eltern bei der Anmeldung angeben, auf beiden war kein Platz für Quentin.
Also wies das Schulamt Quentin eine Schule zu, mit der er und seine Pflegeeltern nicht einverstanden waren. So wie Quentin ging es im vergangenen Jahr vielen Eltern, die trotz vermeintlicher Schulplatzwahl in Erfurt nicht die Wunschschule erhalten hatten. Und deshalb Widerspruch einlegten. Zehn Familien gingen den Weg bis vors Verwaltungsgericht Weimar.
Dort bekamen sie in erster Instanz Recht. Das Verwaltungsgericht sah die Begründung seitens des Schulamtes, die Klassen seien zu voll, als nicht ausreichend begründet an.
Umgehend legte das Schulamt Mittelthüringen Beschwerde ein. Die Sicherheit bei Bränden und Notfällen sei in den Klassen nicht gewährleistet. Das sieht auch das Oberverwaltungsgericht Weimar so, das in zweiter und damit vorerst endgültiger Instanz entschied, dass in neun von zehn Fällen die Kinder zum zweiten Halbjahr beziehungsweise zu Beginn des neuen Schuljahres die Schule wechseln müssen.
Da ist natürlich eine Welt zusammengebrochen.
Jens Irmer | Pflegevater
"Das Oberverwaltungsgericht ist unserer Argumentation gefolgt, die sich hauptsächlich auf Kapazität gründete. Wir haben ja Klassenlisten, Raumpläne und sowas alles eingereicht. Und wir haben auch argumentiert über Sicherheitsfragen, Fluchtwege und über überfüllte Klassenzimmer", sagt Ralph Leipold, Leiter des staatlichen Schulamtes Mittelthüringen. Die Begründung des OVGs liegt bisher noch nicht vor, die Eltern müssen vorerst also mit dem Beschluss leben.
Schulplätze in Erfurt fehlen seit Langem
"Da ist natürlich eine Welt zusammengebrochen. Quentin geht es nicht gut, er fühlt sich da einfach ausgeschlossen", gibt Jens Irmer Einblick in den aktuellen Gemütszustand des Elfjährigen. Quentin dürfte es nicht alleine so gehen, etliche Kinder haben im aktuellen Schuljahr den Platz an ihrer Wunschschule nicht erhalten.
Vor allem aus einem Grund: In der Landeshauptstadt fehlen einfach Schulplätze, vor allem an Gymnasien und Gemeinschaftsschulen. Seit mehreren Jahren nun schon werden Platzkapazitäten ausgereizt, mitunter Stühle in Container gestellt und so Klassenräume geschaffen. Man suche jeden Unterrichtsraum, den man kriegen kann, heißt es aus dem Amt für Bildung. Der Neubau einer Schule in Erfurt-West liegt wegen dort lebender Hamster auf Eis.
Ein weiterer Neubau soll ab 2029/30 Schülerinnen und Schüler aufnehmen. Ob das tatsächlich so kommt, darüber gehen die Meinungen in Erfurt auseinander. Allein für das kommende Schuljahr fehlen immer noch 75 Plätze für zukünftige Fünftklässler - und das trotz der geplanten Neugründung eines Gymnasiums in der Innenstadt.
Beschluss mit weitreichenden Folgen
Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Weimar dürften für die Stadt Erfurt weitere, nicht unerhebliche Folgen haben. Denn jetzt müssen alle Erfurter Klassenzimmer vom Amt für Gebäudemanagement auf ihre Kapazität geprüft werden. So soll kontrolliert werden, ob die aktuellen Klassen zu voll sind und die Sicherheit der Kinder bei einem Feuer oder in einer Notsituation gewährleistet werden kann.
Es ist an der Zeit, dass in Erfurt was geschieht, dass gebaut wird und dass der Schulnetzplan von 2019 Umsetzung findet.
Ralph Leipold | Schulamtsleiter
Im Moment gehen die Verantwortlichen der Stadt davon aus, dass mehrere Klassenräume übervoll sind. Das träfe besonders auf Typenbauten aus der DDR und Schulen zu, die zu Zeiten des Kaiserreichs gebaut worden sind. Hier dürften sich maximal 19 Kinder und eine Lehrkraft in den Räumen aufhalten.
"Es ist an der Zeit, dass in Erfurt was geschieht, dass gebaut wird und dass der Schulnetzplan von 2019 Umsetzung findet. Und das ist an die Stadt gerichtet, an die Verwaltung und an den Stadtrat", so Schulamtsleiter Ralph Leipold. Wie viele Klassenräume nach der aktuellen Vermessung zu klein sind, ist derzeit noch unklar. Auch, wie es dann weitergeht und vor allem, wo die Kinder hingehen sollen, bei denen die Klassenräume zu voll sind. Da habe man noch keinen Plan, so ein Sprecher der Stadt Erfurt.
Schulamtsleiter Ralph Leipold sieht den Beschluss des OVGs indes als bindend an und will ihn umsetzen.
Man wolle versuchen, dass die betroffenen Kinder an ihren Schulen bleiben können. Das setze aber voraus, dass Plätze frei geworden sind, weil Kinder etwa die Schule gewechselt haben. Die Hoffnung darauf ist jedoch gering.
Zahl der Widersprüche steigt
Besonders im aktuellen Schuljahr ist die Zahl der Widersprüche von Eltern, die mit dem zugewiesenen Schulplatz nicht einverstanden waren, gestiegen. Besonders auffällig ist der Anstieg der Widersprüche im Schulamt Mittelthüringen. Das betrifft Erfurt, Weimar, Sömmerda, Apolda und das Weimarer Land.
Dort gab es laut Thüringer Bildungsministerium in diesem Jahr 119 Widersprüche. Das ist das Zehnfache im Vergleich zu 2017. In Ostthüringen kletterte die Zahl der Widersprüche gegen die zugewiesene Schule von sieben im Jahr 2018 auf 28 im Jahr 2022. Nur in Südthüringen ist die Zahl entgegen dem Trend zurückgegangen - von 16 auf fünf.
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MDR (jml/cfr)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. Januar 2024 | 19:00 Uhr
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