Diskriminierung "Komm Baby, strip' für mich": Sexismus und sexuelle Belästigung in Thüringer Clubs

23. Juli 2022, 18:19 Uhr

Sexuelle Belästigung und Diskriminierung sind für viele leider Teil des Clubbesuchs. Erst kürzlich wurde der Erfurter "Musikpark" öffentlich kritisiert, weil er mit sexistischen und diskriminierenden Party-Konzepten warb - und diese dadurch normalisierte. Was berichten Betroffene? Und was können Clubbetreiber gegen Übergriffe tun?

Sobald ich den Raum betrete, bin ich umhüllt von Dunkelheit, in regelmäßigen Abständen blitzen bunte Lichter auf. Auf der Tanzfläche verschwinde ich zwischen Dutzenden Menschen - aber nur scheinbar. Aus dem Augenwinkel sehe ich zwei Männer, die mich von oben bis unten mustern. Ist mein Oberteil verrutscht? Ich schaue nach - alles gut. Ach was soll‘s, solange sie nur gucken.

Ich schaue in die andere Richtung. Ich merke, dass jemand dicht hinter mir steht. Meine Freundin schaut mich an und gibt mir ein Zeichen, dass hinter mir irgendwas vor sich geht. Ich schüttle den Kopf, mache nur einen Schritt nach vorne, um mir Abstand zu verschaffen. Ich lasse mir den Abend heute nicht verderben. Ich will doch nur tanzen.

Auf brechend voller Tanzfläche belästigt

Ein anderer Tag, ein anderer Club. Die Tanzfläche ist brechend voll. Ich stehe mit drei Freundinnen in einem kleinen Kreis. Der DJ ist wirklich gut. Und noch während ich das denke, spüre ich plötzlich eine Hand zwischen meinen Beinen. Die mir nicht "nur" an den Hintern grapscht, sondern noch ein Stück weiter vorne zupackt. Reflexartig mache ich einen Schritt nach vorne und erstarre. So schnell wie die Hand kam, ist sie wieder weg. Meine Freundinnen schauen mich an: "Was ist los?" Ich erzähle ihnen, was passiert ist. "Ich will hier einfach weg, bitte, können wir woanders hingehen?", sage ich. Meine Freundinnen sind entsetzt.

Ich habe nicht gesehen, wer es war. Und ich wollte es auch nicht sehen. Wir suchen uns einen anderen Platz, tanzen noch gut eine Stunde weiter, bevor wir nach Hause gehen. Noch immer spüre ich die Hand zwischen meinen Beinen und bin erleichtert, dass ich mich diesmal für eine Jeans und gegen den Rock entschieden habe. Aber so hatte ich mir den Abend nicht vorgestellt.

Ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Hier fühlen sich Frauen unsicher"
Die Mehrheit der Frauen hat bereits sexuelle Belästigung erlebt. Bildrechte: IMAGO / Arnulf Hettrich

97 Prozent der Frauen haben schon sexuelle Belästigung erlebt

Dass mein Erlebnis bei diesem Clubbesuch kein Einzelfall ist, zeigt die Statistik. Bei einer Studie zu "Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt" der Hochschule Merseburg aus dem Oktober 2020 gaben 97 Prozent der rund 2.000 befragten Frauen an, schon Formen sexueller Belästigung erlebt zu haben. Nicht nur beim Tanzen, sondern auch im Alltag.

Im Club scheinen sich die Vorfälle allerdings zu häufen - woran liegt das? "In Clubs bewegt man sich in einem gewissen Spannungsfeld. Beim Nachtleben geht es einerseits um das Austesten von Freiraum und Grenzen, zum Beispiel mit Alkohol. Dadurch, dass aber Grenzen aufgehoben werden, entstehen gewisse Gefahren, besonders für Frauen", erklärt die Geschäftsführerin vom Landesfrauenrat Thüringen, Friederike Theile.

Durch Alkohol und Drogenkonsum sei die Hemmschwelle niedriger, so Theile. "Generell soll ein Club ja aber ein Raum sein, in dem sich alle wohlfühlen und ausgelassen sein können", sagt sie.

Sunny hat nachts immer ein Pfefferspray dabei

Auch Sunny aus Erfurt geht eigentlich gerne feiern. Sie ist schon oft in den städtischen Clubs unterwegs gewesen und hat dort einiges erlebt. "In vielen Clubs ist man keine fünf Minuten und wird direkt angemacht, gefragt, ob man geküsst werden kann, und zack - hat man eine Hand am Arsch", erzählt sie.

Seit der Corona-Pandemie sei das gefühlt schlimmer geworden, meint Sunny. Sie werde teilweise mehrmals am Abend sexuell belästigt. "Einmal habe ich hinter einem Typen getanzt, hinter mir stand sein Kumpel und hat mich dann nach vorne an den anderen drangeschubst, um Körperkontakt herzustellen", erinnert sie sich.

Auch mit K.O.- Tropfen kam sie schon in Kontakt. Ohne Pfefferspray traue sie sich mittlerweile nicht mehr, vom Anger zum Domplatz zu laufen - besonders, wenn sie ein Partyoutfit trägt. "Dann ist man ja sowieso Freiwild", sagt Sunny. Mit Wohlfühlen hat das nichts zu tun. Was können Clubs tun, damit sich das ändert?

Eine Dose Pfefferspray.
Ohne Pfefferspray trauen sich manche Frauen nicht, nachts durch die Stadt zu gehen. Bildrechte: imago/HRSchulz

Awareness-Teams und niedrigschwellige Anlaufstellen

Eine Möglichkeit seien sogenannte "Awareness-Teams", sagt Friederike Theile vom Landesfrauenrat. Das sind Teams, die meist zu zweit oder in einer kleinen Gruppe im Club unterwegs sind und sowohl als Ansprechpartner fungieren als auch nach diskriminierendem Verhalten oder Belästigungen Ausschau halten und dagegen vorgehen.

"Oder es gibt niedrigschwellige Anlaufstellen, wie das Barpersonal. Möglich ist auch ein Rückzugsort, wo man sich dann um die Gäste kümmert, mit ihnen redet", schlägt Theile vor. Solche Strukturen sollte der Club laut Theile auch aktiv bewerben - und auf der anderen Seite nicht auch noch diskriminierende oder sexistische Partykonzepte entwickeln.

Zum Aufklappen: Was bedeutet das Codewort "Ist Luisa da?"

Eine weitere Möglichkeit, Betroffenen zu helfen: Code-Wörter, mit denen Frauen auf Partys beim Personal um Hilfe bitten können. Der Frauennotruf Münster hatte vor einigen Jahren ein entsprechendes Projekt gestartet. Fühlt sich eine Frau im Nachtleben bedrängt, kann sie sich in bestimmten Clubs und Kneipen an der Bar melden und dort fragen, ob Luisa da sei. Diese Frage verstehen die Club-Beschäftigten als Hinweis, um die Belästigte in Sicherheit zu bringen.

Sexismus als Veranstaltungskonzept

Besondere Aufmerksamkeit hat kürzlich der Erfurter "Musikpark" erregt. Er kündigte eine "Project Erfurt-Party" an, ausgerichtet vom externen Veranstalter "Living the goodlife" und angelehnt an einen amerikanischen Partyfilm. Ein Veranstaltungspunkt war unter anderem "Komm Baby, strip' für mich! - Gib deinen BH beim DJ ab und erhalte eine Flasche Sekt FOR FREE!". Oder eine andere Aktion stand unter dem Motto "Liliputaner-Eskalation (Nehmt es mit Humor!)", bei der Menschen unter 1,50 Meter freien Eintritt haben sollten.

Die Veranstaltung war ab 16 Jahren freigegeben. Über die sozialen Medien erreichten den Club mehrere Beschwerden wegen Sexismus und Diskriminierung.

Öffentliche Kritik an sexistischer Werbung

Eine der Kritikerinnen war Maia Welker. Durch Zufall war sie auf die Veranstaltung gestoßen. "Erst habe ich es belächelt, wie das mit dem BH-Ausziehen beworben wird und es an Freundinnen weitergeschickt", erzählt sie. Aber je länger sie darüber nachdachte, desto empörter wurde sie: "Ich dachte, ich muss da jetzt was machen."

Daraufhin postete Maia in ihrer Instagram-Story ein Statement und kritisierte, dass die Veranstalter explizit zu sexualisiertem Handeln aufrufen und dem eine Plattform bieten würde. "Es hat mich vermutlich so bewegt, weil ich solche Erfahrungen selbst schon gemacht habe und mich dabei oft machtlos gefühlt habe", sagt die 23-Jährige. "Ich hab mir vorgestellt: Wie hätte ich mich selbst mit 16 bei so einer Veranstaltung gefühlt? Und vermutlich hätte ich mich in dem Alter auch zu solchen Aktionen wie der BH-Abgabe überreden lassen", erklärt Maia.

Sie habe andere mit ihrem öffentlichen Statement einfach schützen wollen. Auch wenn es keine direkte Rückmeldung auf ihr Statement vom Musikpark gab - die Kritik kam an.

Club reagiert auf Kritik

Der Veranstalter veröffentlichte auf den Social-Media-Seiten des Clubs eine Stellungnahme und entfernte die kritisierten Aktionen aus dem Programm. Auch ohne diese ist die Party am Ende laut dem Musikpark ein voller Erfolg gewesen. Dennoch hat diese öffentliche Kritik Spuren hinterlassen.

Im Gespräch gibt Musikpark-Betriebsleiter Justin zu, dass man sich einfach auf den Veranstalter verlassen habe. "Wir arbeiten seit vielen Jahren mit dem Veranstalter zusammen und nie gab es Kritik an den Konzepten", sagt er. Als ihn die Nachrichten erreicht haben, sei ihm aber sofort klar gewesen: "Das geht gar nicht, darüber gibt es keine Diskussion". Er habe dem Veranstalter direkt geschrieben und die angesprochenen Punkte gestrichen. "Wir lassen uns die Konzepte jetzt immer vorher zuschicken und schauen genau auf die einzelnen Punkte", sagt Justin.

Vorfälle unbedingt melden

Im Musikpark würden generell Sexismus, Belästigungen, Gewalt oder Diskriminierung nicht toleriert. Seit vielen Jahren gebe es ein Infobüro im Club, an das man sich bei derartigen Vorfällen wenden kann. "Das Infobüro ist auch immer von einem Mann und einer Frau besetzt, und auch unsere Security kann natürlich angesprochen werden, die nehmen sich auch jedes Problems an", erklärt der Betriebsleiter.

Ein Problem sei aber, dass sich viele nicht trauen würden, auf das Clubpersonal zuzugehen. "Wenn uns jemand von sexueller Belästigung oder Gewalt berichtet, empfehlen wir auch immer eine Anzeige zu machen und würden im Fall der Fälle natürlich auch aussagen", sagt Justin. Außerdem würden die benannten Personen des Clubs verwiesen werden und Hausverbot bekommen. "Aber wenn keiner zu uns kommt, können wir leider nichts machen", erklärt Justin. Er möchte Betroffene ermutigen, derartige Vorfälle zu melden.

Sensibilisierung dringend nötig

Ein Awareness-Team hat der Musikpark nicht, aber es sei immer auch Security im Club unterwegs. Aus dem Vorfall mit der "Project Erfurt-Party" hat Justin nach eigenen Worten gelernt. Künftig möchte er öffentlich deutlicher kommunizieren, dass Sexismus und Diskriminierung im Musikpark nicht toleriert werden und besser auf die Anlaufstellen hinweisen.

"Aber vor allem müssen die Menschen sensibilisiert werden, die andere eben belästigen oder diskriminieren", sagt Partyfreundin Sunny. Die Clubs könnten am Ende lediglich versuchen, die Augen offen zu halten und die Opfer ernst zu nehmen, wenn diese sich vertrauensvoll an das Personal wenden.

Das Problem: An die Security oder eine Infotheke wende ich mich erst, wenn es schon passiert ist. Sollte ich also doch erstmal lieber bei einer Hose statt eines Rocks bleiben?

MDR (fra)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | 21. Juli 2022 | 17:00 Uhr

33 Kommentare

Sozialberuflerin am 23.07.2022

"Was ist nur aus den Jugendclubs und Schülerdiscos meiner Jugendzeit geworden, da hatten wir doch auch Spaß aber irgendwie unschuldiger und unbeschwerter 😀"

Da geb ich ihnen recht!

Sozialberuflerin am 23.07.2022

Ich persönlich zu meiner Jugendzeit ging ebenso Mottopartys!
Auch zu solchen, die man heute als "sexistisch" bezeichnen würde
Diese hatten jedoch definitiv Altersbeschränkung und kontrolliert hat es der Türsteher. Ohne Ausweis kein Einlass, fertig!

Mir war aber auch bewusst, je nach Motto, Kleidung und Tanz, was es mit sich bringen könnte (Sprüche, Blicke etc.)
Und entweder hab ich mir das ein oder andere (außer anfassen) gefallen lassen und belustigt gelächelt oder mich gewehrt.

Es ist ja nicht so, dass es sowas nicht geben soll!
Aber in dieser Gesellschaft, mit deren Erwartungen sollte man sich überlegen, für wen ich welche Party mit welchem hinter mir schmeiße!

Wenn ich eine Black & White Party anbiete, könnte sich der mit der roten Hosen tierisch aufregen
Wenn ich eine Gay-Party starte, kann sich der/die Hetero darüber beschweren
Wenn ich zu einer solch einer o.g. Party 16 jährige einlasee, kann man sich drüber streiten, ob das Alter passt

Bria21 am 23.07.2022

Ach Peter Pan, auch wenn Ihr "Namensvetter" es nicht konnte, werden Sie erwachsen.
Natürlich wäre es schön, wenn sich jeder anständig und ohne sündige Hintergedanken benehmen würde aber leider ist das nicht so und dazu kommt auch noch, dass Alkohol bei vielen die Hemmschwelle verringert. Niemand hat behauptet, dass jemand, der sich sexy anzieht, sexuell belästig werden MÖCHTE aber man sollte schon darüber nachdenken, dass man durch bestimmte Outfits, Bewegungen und Verhaltensweisen (vielleicht ja unbewusst) Signale aussendet, die missverstanden werden können. Und will man damit tatsächlich nur sich selbst schön finden oder auch von anderen schön gefunden werden?
Alle Kommentatoren sind sich einig, dass körperliche Übergriffe ein no go sind aber mit ein paar blöden Anmachsprüchen sollte man schon umgehen können, die gab es auch schon zu meiner Jugendzeit, nur dass man damals nicht so ein öffentliches Trara darum gemacht hat.

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