Immobilien Konzeptvergabe für Immobilien: Ausweg aus steigenden Mieten?
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24. Juli 2021, 15:49 Uhr
Der Verein "Wohnopia" hat den Zuschlag für zwei Häuser in der Talstraße in Erfurt bekommen und wird sie sanieren. Damit sollen günstige Mieten auf Dauer garantiert sein. Auch in Weimar gibt es ähnliche Projekte.
Christiane Welker und Judith Pieske nehmen ihre Sonnenbrillen ab, als es in den schattigen Garten hinter den zwei Häusern der Talstraße 15/16 in Erfurt geht. Ein verwilderter Garten, zugewachsene Garagen. Niemand wohnt hier mehr, der sich um die Pflege kümmern könnte. Die beiden jungen Frauen aber wollen zu denen gehören, die das ändern. "Das soll ein großer Garten für die Hausgemeinschaft werden", sagt Welker in das Vogelgezwitscher hinein, das hier zu hören ist. "Das Grundstück geht hier runter bis zur Gera."
Die Stadt Erfurt hat dem Verein den Zuschlag für die beiden Mehrparteienhäuser inklusive Hinterhaus und Garten erteilt, im Rahmen einer sogenannten Konzeptvergabe. Die Stadt will damit erreichen, dass die Mieten in der Umgebung nicht immer nur weiter steigen, weil ein Investor nach einer Sanierung auch Rendite erwirtschaften will. Der Verein hat das Ziel, die Mieten bezahlbar zu halten - das Projekt soll sich also nur selbst tragen und keinen Gewinn abwerfen.
7,40 Euro sind langfristig das Ziel pro Quadratmeter kalt. Längst ist in den Innenstädten von Erfurt, Weimar oder Jena ein Mietpreis von mehr als zehn Euro keine Seltenheit mehr - dieser Trend soll hier durchbrochen werden.
Wenige Objekte kommen in Frage
Ganz lässt sich die Tendenz aber wohl nicht aufhalten: "Es gibt viele Akteure, die in Erfurt auf dem Wohnungsmarkt tätig sind", sagt Torben Stefani, der Leiter des Liegenschaftsamts. "In der Regel sind die auf Gewinnmaximierung aus." Die Stadt selbst habe nicht so viele Grundstücke im Eigentum, wo eine Konzeptvergabe zur Anwendung kommen könnte. "Aber eine Handvoll Grundstücke fallen einem sofort ein."
Dem Verein selbst geht es aber nicht nur ums Geld. Die gut 20 Mitglieder plus zehn Kinder wollen sich möglichst gut in die Nachbarschaft integrieren und das Leben hier bereichern. "Konzerte oder Lesungen sind geplant", sagt Welker. Niemand brauche sich zu sorgen, dass das zu laut werde.
"Viele von uns haben ja selber Kinder, die hier mit im Haus wohnen. Und wir wollen uns gut mit den Nachbarn stellen und positiv wahrgenommen werden." Und ehe der Veranstaltungsort im Erdgeschoss - eine frühere Kneipe - genutzt werden kann, ist viel Arbeit erforderlich. Die Wände sind altmodisch holzvertäfelt, teilweise noch bemalt, Möbel gibt es bis auf eine Couch keine. "Talstation" soll sie heißen und auch einen Café-Betrieb beherbergen, der in die Nachbarschaft ausstrahlt.
Grundstück wird für 99 Jahre verpachtet
Mit dem Konzept aus guter Integration ins Viertel und der vereinsinternen Mietpreis-Bremse hat sich der Verein in der Konzeptvergabe vor dem Stadtrat im März 2020 durchgesetzt. Heißt konkret, die Stadt hat den Verkehrswert des Objekts im aktuellen Zustand ermitteln lassen und als Verkaufspreis festgeschrieben. Das Grundstück wird 99 Jahre an den Verein verpachtet.
Gut eine halbe Million Euro sollen an die Stadt fließen, hinzu kommt eine jährliche Pacht für das Grundstück. Ein Vielfaches der Kaufsumme dürfte in die Sanierung fließen. "Hier im Garten und in der Talstation werden wir sicher auch ein paar Sachen selber machen." Allerdings sei das Umfeld des Vereins akademisch geprägt, die handwerklichen Talente überschaubar. "Und am Ende soll es ja einen guten Standard haben", so Christiane Welker.
Hoher Sanierungsbedarf
Wie überall im Haus dürfte auch in der Talstation die Elektrik überholt werden müssen. In vielen Wohnungen liegt abgenutztes Holzparkett, einzelne Wände sind schimmlig. In vielen Zimmern des Hauses liegt welliger Kunststoff-Fußboden. "Der letzte Mieter ist vor ein paar Jahren ausgezogen", so Judith Pieske.
Etwa zwei Jahre rechnet der Verein für die vollständige Sanierung, erst dann kann der Einzug beginnen. Die Mitglieder wollen selbst hier wohnen. Die übrigen Wohnungen sind fast alle vergeben, wenn auch die Zuschnitte für die Wohnungen für Paare, Familien und Wohngemeinschaften noch nicht ganz klar seien. Nur eine barrierefreie Wohnung ist noch frei. Zudem gibt es eine lange Warteliste mit Interessenten, die darauf hoffen, dass ein Mieter abspringt.
Projekt in Weimar: Umbau der Alten Feuerwache
Ähnliche Konzeptvergaben gibt es auch in anderen Thüringer Städten: In Weimar arbeitet ein Verein daran, die Alte Feuerwache umzubauen, in Jena hat der Stadtrat ein neues kleines Wohngebiet im Osten der Stadt konzeptgebunden an eine Wohnungsgenossenschaft vergeben – hier soll der Mietpreis bei 5,90 Euro liegen, Kinderbetreuung ist auch vorgesehen.
Der Verband der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VTW) befürwortet derlei Vergaben. "Wir würden einen intensiveren Einsatz begrüßen", sagt Verbandsdirektor Frank Emrich. Es sei ein Instrument, um die Stadtentwicklung zu fördern und Segregation entgegenzuwirken - das Land Thüringen müsse aber seine Förderung aufstocken.
Kleiner Verein hat es nicht leicht
Der Umgang mit Vereinen wie Wohnopia sei aber nicht immer leicht. Sie seien zwar engagiert, hätten aber wenig Erfahrung mit Verwaltungsverfahren und Förderinstrumenten. Auch Amtsleiter Stefani bestätigt das. Immerhin müsse der Verein das nötige Geld für Kauf und Sanierung erst beschaffen.
Wohnopia ruft dazu auf, dem Verein Direktkredite ab 500 Euro zu geben - die sollen mit bis zu 1,5 Prozent verzinst werden. Ist eine bestimmte Schwelle erreicht, dient die als Eigenkapital für einen Bank-Kredit. Mehrere hunderttausend Euro hat Wohnopia bereits beisammen. Die Sicherheit bilden die beiden Wohnhäuser.
Das Thüringer Bauministerium findet auch, die Konzept-Vergabe könnte häufiger passieren. Zwar werde nicht unbedingt eine maximale Einnahme für den kommunalen Haushalt erreicht, dafür aber eine aus Sicht des Verkäufers möglichst sinnvolle Bebauung/Nutzung". Schwierig werde es natürlich, wenn die Kommune auf die Einnahmen angewiesen sei, sagt Amtsleiter Stefani.
Der VTW findet, das Land könnte helfen und Regeln vereinfachen, damit etwa Vereine es in solchen Prozessen leichter haben. Denn auch in der Talstraße braucht es noch einen langen Atem, damit nach viel Arbeit dein Einzug erfolgen kann.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 24. Juli 2021 | 19:00 Uhr
Wimares am 25.07.2021
@Saphira Was aus dem Artikel nicht ganz hervorgeht, ist das dieses Konzept schon seit mehr als 20 Jahren funktioniert. Insgesamt gibt es mittlerweile über 150 Projekte dieser Art in ganz Deutschland, mit gleicher Finanzierungsart. Die Feuerwache in Weimar hat auch ihr Kapital so zusammenbekommen. Da war deutlich mehr nötig. Und die Projekte helfen sich gegenseitig, also nicht nur mit Geld sondern auch mit viel Know-how.
Thueringer Original am 25.07.2021
"Schwierig werde es natürlich, wenn die Kommune auf die Einnahmen angewiesen sei, sagt Amtsleiter Stefani". Welche Kommune hat schon Geld oder zu viel Geld? Fast alle haben Finanzprobleme. Die wenigsten gehen es aber professionell an, wie vielleicht Erfurt. Die meisten verscherbeln billig Grundstücke und Immobilien. Jammern aber ständig, dass sie kein Geld hätten. Auf Ausschreibungen wird häufig verzichtet. Die Kommunalaufsicht bliebt untätig.
Quercus am 25.07.2021
Direktkredit als Eigenkapital? Geht meines Wissens grundsätzlich nicht. Ggf. ähnlich nur durch Nachrangkredite (Nachrabganleihen). Das heißt aber auch der Kreditgeber wird bei Insolvenz zuletzt oder gar nicht mehr bedient. In der Regel gibts dafür einen Risikoaufschlag für den Kredizgeber. Dieser dürfte sich mit 1,5% dann aber an sehr wohlgesonnene Menschen richten. Die Finanzierung des Projekts klingt erstmal noch nicht ausgereift. Aber Eigeniniative ist grundsätzlich begrüssenswert. Viel Erfolg!