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Energiekrise"Was soll ich noch hier?": Einschränkungen an Uni Erfurt in der Kritik

01. November 2022, 10:58 Uhr

Die Universität Erfurt schließt bis zum Ende 2022 an Wochenenden die Bibliothek und will um den Jahreswechsel die Lehre digital abhalten. Studierende kritisieren, dass sie nach Corona-Krise und Einsparungen erneut Einschnitte für ihr Studium hinnehmen müssen. Nun haben sie eine Petition gestartet, die Begründung der Uni halten sie für "absurd".

von Lukas Schliepkorte, MDR THÜRINGEN

Die Universität Erfurt schränkt bis Jahresende die Öffnungszeiten für ihre Bibliothek ein. Studierende stehen seit Semesterbeginn Anfang Oktober bis planmäßig zum 2. Januar an Wochenenden vor geschlossener Tür. Zum Vergleich: Während der vergangenen Vorlesungszeit war die Bibliothek samstags acht und sonntags fünf Stunden geöffnet. An Werktagen wird nun um 20 Uhr geschlossen, zwei Stunden früher als noch im Sommer.

Die Begründung des Präsidiums Ende September: Die Universität müsse "wie alle anderen öffentlichen Einrichtungen auch" einen Beitrag in der aktuellen Energiekrise leisten. Die finanzielle Situation der Universität wurde dabei nicht als Argument angeführt.

Auch solle die gesamte Lehre in der Woche vor und der Woche nach der vorlesungsfreien Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr vollständig digital stattfinden. Das heißt, Seminare und Vorlesungen sollen für Studierende und Dozenten wie in der Hochphase der Corona-Pandemie per Video-Konferenz in die privaten Räume verlegt werden. Auch dafür sind die Gründe nach Angaben der Universität Energiesparmaßnamen - aber auch der Schutz vor Corona. Um Weihnachten hätten die Studierenden und das Lehrpersonal viele persönliche Kontakte.

Studentinnen der Uni Erfurt starten Petition

Der Wegfall zweier Öffnungstage und der erzwungene Gang ins "Homeoffice" stoßen in Teilen der Studierendenschaft auf Unmut. Eine Petition, in der die Universität dafür kritisiert wird, hat mit Stand Mittwoch fast 550 Unterzeichner. 6.134 Studierende sind nach Angaben der Universität im laufenden Semester eingeschrieben.

Auf den Weg gebracht haben die Petition zwei Studentinnen. Lea B. und Inya B. studieren beide im fünften Semester an der Universität Erfurt. Die jungen Frauen, die ihren vollständigen Namen nicht veröffentlicht sehen wollen, sagen, die zurückliegenden Semester in digitaler Lehre haben sie "bedingungslos" akzeptiert. Jetzt beginne ihr Verständnis aber "zu bröckeln".

Bewirkt diese erneute Schließung tatsächlich etwas in der Energiekrise, oder liefert diese eine willkommene Begründung, um Heizkosten zu sparen?

Lea B. und Inya B. | Aus der Petition

Sie hätten Zweifel, dass die gekürzten Öffnungszeiten nur mit dem allgemeinen Ziel, Gas und Strom zu sparen, zusammenhängen - sie fragen sich, ob es nicht auch eine "willkommene Begründung" für die Universität sei, Kosten zu sparen.

Dozent kritisiert Uni-Begründung und Distanzlehre

Einer ihrer Dozenten, der Literaturwissenschaftler Simon Kroll, stellt sich hinter die beiden. Er sagt, er wünsche sich für Studierende auch über Weihnachten und an den Wochenenden soziale und tatsächliche Wärme - in der Universität. Er fordert, mit geöffneten Orten des öffentlichen Lebens - wie Bibliotheken, Museen und Schulen - auch ein Zeichen gegen den "wissenschaftsfeindlichen Angriffskrieg" Russlands auf die Ukraine zu setzen.

Der Verdacht liegt nahe, dass in der Situation einer finanziellen Schieflage diejenigen haften müssen, die diese Schieflage nicht verursacht haben.

Simon Kroll | Lehrbeauftragter für Romanistische Literaturwissenschaft

Kroll glaubt, die Begründung für die Schließung muss für einige Studierende, die coronabedingt die "Universität kaum von innen gesehen haben, wie blanker Hohn wirken". Die Gründe seien in seinen Augen "höchst zweifelhaft", die "prekäre finanzielle Situation der Universität Erfurt ein offenes Geheimnis".

Die Teilschließung der Uni legt nach Auffassung von Kroll die Energiekosten auf seine "zahlungsschwächsten Mitglieder" um: die Studierenden, die dann vermehrt in ihren Wohnungen lernen müssen. "Der Verdacht liegt nahe, dass in der Situation einer finanziellen Schieflage diejenigen haften müssen, die diese Schieflage nicht verursacht haben", sagt der Dozent.

Studentinnen: "Begründung der Uni absurd"

Darauf gehen Inya B. und Lea B. konkreter ein: Sie sehen die Ursache für die Einsparungen und die angespannte finanzielle Lage der Universität hauptsächlich in einem Kostenanstieg für ein Forschungsgebäude, für das die Universität 2017 als Bauherrin eingetreten war - und damit das finanzielle Risiko übernommen hatte.

Sie sagen, es habe für die Universität zu der Zeit keine "Notwendigkeit bestanden, elf Millionen Euro in einen Neubau zu investieren, der später 20 Millionen Euro kosten sollte" - deshalb fehlten der Uni jetzt Rücklagen. Vor diesem Hintergrund nennen die beiden Studentinnen den alleinigen Hinweis der Uni auf die angespannte Energielage und die Energiesparvorgaben des Landes als Begründung für die Schließzeiten der Bibliothek "absurd".

Uni Erfurt: Kürzungen bei Stipendien, Bibliotheksetat und Lehre

Es ist dieser Anstieg von Baukosten, den die Universität im Frühjahr 2020 als wesentlichen Grund dafür angeführt hatte, unter anderem beim Bibliotheksetat und -personal sowie bei der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung in den kommenden Jahren zu kürzen. Durch die vom Landtag beschlossene globale Minderausgabe muss die Universität Erfurt in diesem Jahr außerdem 2,7 Millionen Euro einsparen - das betrifft auch andere Universitäten. Rücklagen hatte die Uni bereits zu dieser Zeit nach eigenen Angaben nicht mehr.

Studierende hatten im Juni gegen diese geplanten Kürzungen protestiert. Der Studierendenrat - also die gewählten Vertreter der Studierendenschaft - und die Promovierendenvertretung sahen schon damals die Qualität der Lehre und Forschung durch Sparmaßnahmen in Gefahr, sprachen von "Raubbau an der Universität".

Studentinnen spüren Folgen der Kürzungen

Für Inya B. sind Teile der Befürchtungen der Vertreter jetzt zur persönlichen Wahrheit geworden. Sie sagt, auch angesichts der steigenden Preise sei sie auf die Bibliothek am Wochenende angewiesen, müsse unter der Woche das notwendige Geld für den Lebensunterhalt verdienen.

Lea B. sagt, sie habe eigentlich ihre akademische Zukunft in Erfurt gesehen, wollte ursprünglich "lange bleiben" - mit den spürbaren Einschränkungen fehle ihr dafür aber die Grundlage. Sie fragt: "Was soll ich noch hier?"

Universität verweist auf Sparforderungen des Landes

Die Universität führt als die Gründe für verkürzten Öffnungszeiten auf Nachfrage von MDR THÜRINGEN den großen Spielraum zum Energiesparen bei der Bibliothek an. 2021 hätten nur 2,7 Prozent der Studierenden die Bibliothek an den Wochenenden genutzt. Die Universität wolle so ihren Teil des notwendigen Energiespar-Beitrags leisten. Das fordere auch das Land.

Trotzdem seien die Sparpläne auch finanzieller Natur, heißt es nun auf Nachfrage. Die Kürzungen seien nicht zuletzt beschlossen worden, "um die enormen Mehrkosten, die durch die massive Verteuerung von Energie auf [die Universität] zukommen werden, abzufedern". Anders als andere Universitäten habe die in Erfurt aber keine Rücklagen - diese seien bereits Teil der Sparpläne. Die Universität gab zu bedenken, dass der Winter für die ganze Gesellschaft mit Einschränkungen verbunden sein werde - auf dem Campus werde versucht, sie so gering wie möglich zu halten.

Die Universität erneuerte auf Nachfrage das Versprechen, trotz der finanziellen Situation laufende Personal-Verträge zu erfüllen. Studierende sollen demnach weiterhin in jedem Fall in Lage sein, ihre begonnenen Studiengänge abzuschließen.

Studierendenrat: Entscheidungen ohne Chance zur Mitsprache getroffen

Auf MDR THÜRINGEN-Nachfrage kritisiert der Studierendenrat, dass die Maßnahmen der Uni die Heizkosten an Studierende verlagerten, die sich das Heizen oft nicht mehr leisten könnten. Bibliotheksschließungen am Wochenende träfen insbesondere Studierende mit Kindern und Nebenjobs. Der Studierendrat trage die "Entscheidungen zu den verkürzten Öffnungszeiten der Bibliothek im Winter" und der Distanzlehre "ausdrücklich nicht mit". Auch seien diese Schritte ohne Möglichkeit zur Mitsprache des Rates seitens der Universität beschlossen, die Studierendenvertreter vor "gemachte Tatsachen" gestellt worden. In ihrer Ankündigung Ende September hatte die Uni jedoch mitgeteilt, gemeinsam mit dem Studierendenrat in einer Planungsgruppe eine Lösung gefunden zu haben.

Diese beiden zentralen Entscheidungen wurden vollständig ohne unsere Beteiligung oder eine Möglichkeit zur Mitsprache getroffen. Wir wurden erst im Nachhinein über sie informiert und somit vor gemachte Tatsachen gestellt.

Studierendenrat der Universität Erfurt

Das Argument der Universität, mit der Distanzlehre Corona-Infektionen zu verhindern, sei jedoch "nicht ganz von der Hand zu weisen", so der Studierendenrat.

Stura: Arbeitsräume mit W-Lan an den Wochenden

Als Reaktion auf Wünsche des Studierendenrats werden an der Uni Erfurt seit Mitte Oktober an den Wochenenden beheizte Lehrräume mit W-Lan zur Verfügung gestellt, in denen Studierende arbeiten können - ohne Zugang zu Bibliotheksbüchern. Über Möglichkeiten zur Medienbeschaffung, zum Beispiel über einen Scan-Service, will der Studierendentrat nach eigenen Angaben ab Dezember informieren. Auch solle wegen des schlechteren Zugangs zu Literatur bald im zuständigen Ausschuss über die Abgabefristen für Studienarbeiten diskutiert werden.

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Der Studierendenrat hatte Anfang Oktober in einer Rundmail mit Verweis auf Energiesparforderungen von Bund und Land auch um Verständnis für die Energiesparpläne der Universität gebeten.

Zudem schrieb der Studierendenrat, reguläre Bibliotheksöffnungszeiten ab dem 2. Januar seien geplant - hingen dann aber auch von der Energielage ab. Das dementiert die Universität auf MDR THÜRINGEN-Nachfrage. Die reguläre Öffnung stehe nicht infrage.

Friedrich-Schiller-Uni Jena: Denken nicht an verkürzte Öffnungszeiten

Während die Universität in Erfurt mit Verweis auf Energiesparforderungen des Landes also vorübergehende Einschränkungen beschlossen hat, stellt sich die Lage etwa in Jena anders dar: Die Friedrich-Schiller-Universität sieht trotz vergleichbarer Vorgaben keine Notwendigkeit, den Zugang zu Bibliotheken zu beschneiden.

Universitäts-Präsident Walter Rosenthal sagte MDR THÜRINGEN Mitte Oktober: "Wir wollen geöffnet bleiben und wir wollen auch die Winterpause nicht verlängern - wir denken nicht an verkürzte Öffnungszeiten für die Bibliothek." Eher sollten demnach die Öffnungszeiten sogar verlängert werden, um Studierenden einen warmen Ort für Treffen und für die Arbeit anzubieten.

Promovierendenvertretung: Distanzlehre verhältnismäßig

Die Promovierendenvertretung der Universität sagte MDR THÜRINGEN, coronabedingte Distanzlehre sei "verhältnismäßig" - solidarisiert sich aber auch mit der Kritik Studierender, für die zusätzliche Heiz- und Stromkosten anfallen. Die Promovierendenvertretung verschließe sich nicht vor Energiesparmaßnahmen, hoffe aber, dass die "Bedürfnisse von Studierenden und Promovierenden stärker in die kommende Planung einbezogen werden".

[V]iele Nachwuchswissenschaftler:innen [sehen] keine Zukunft an der Universität Erfurt [...]. Dies halten wir auch strategisch für die Universität für verheerend.

Promovierendenvertretung Universität Erfurt

"Akademische Karrierewege massiv beschnitten"

Hier sieht die Promovierendenvertretung erheblichen Nachholbedarf: Akademische Karrierewege an der Universität Erfurt seien derzeit "massiv beschnitten". Gründe seien insbesondere der Wegfall von Qualifizierungstellen und gekürzte Stipendienprogramme. Viele Nachwuchswissenschaftler sähen deshalb keine Zukunft an der Universität Erfurt. In Bezug auf die finanzielle Situation der Universität sieht die Promovierendenvertretung die Gründe auch in "massiven Einsparungen" im Thüringer Haushalt im Hochschul-Bereich.

Studentinnen: Wollen Lösungen für Krisen mitentwickeln

Inya B. und Lea B. sagen, sie sind müde, für das "vermeintliche Privileg" regulärer Öffnungszeiten zu kämpfen. Ein weiteres Mal sei eine Krise die Begründung für ihr erschwertes Studium. Sie wünschen sich eigentlich, als wissenschaftlicher Nachwuchs zu helfen, Lösungen für künftige Krisen zu entwickeln.

Die Voraussetzungen dafür sehen sie an der Universität Erfurt gefährdet.

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MDR (ls)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 12. Oktober 2022 | 19:00 Uhr

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