Nach 25 Jahren Das Osterwunder von Bilzingsleben - Verschwundene Kirchenfenster wieder da
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30. April 2025, 11:00 Uhr
Rund 25 Jahre musste die Kirche St. Wigberti in Bilzingsleben im Landkreis Sömmerda ohne ihre schönsten Fenster auskommen. Sie gehören zum Chorraum der Kirche, der einst angebaut aber schlecht gegründet wurde. Ähnlich schlecht waren die Prognosen, akute Einsturzgefahr bescheinigten Fachleute, die Fenster mussten raus und verschwanden. Bis jetzt.
- Um 1999 herum wurden Bleiglasfenster aus der Kirche in Bilzingsleben ausgebaut, um sie zu retten.
- Erst 25 Jahre später war die Kirche saniert - aber die historischen Fenster verschwunden.
- Eine Detektivgeschichte über eine Versteigerung, einen Messi-Hof und einen Kontakt auf WhatsApp.
Rund zwanzig Zentimeter war der Anbau über Jahrzehnte abgesackt. In die Risse der St. Wigberti Kirche von Bilzingsleben konnte man schon die Hand reinstecken, die Stürze oberhalb der rahmenlosen Bleiglasfenster drohten, die historischen Gläser zu zerdrücken.
Das war Ende der 1990er-Jahre. Eilig wurden die Fenster ausgebaut und eingelagert, aber wo? Diese Frage stellte sich leider erst ein Vierteljahrhundert später, als die Rettung des Chorraums so weit gelungen war, dass die Fenster wieder hätten zurückkehren können. Doch es war niemand mehr da, der sich an irgendetwas Hilfreiches erinnern konnte.
So machten im Dorf Gerüchte die Runde, dass die wohl jemand zu Geld gemacht habe. Man verdächtigte sich gegenseitig und auch längst Verstorbene, die sich gar nicht mehr wehren konnten. Irmtraut Thiele vom Frauenkreis hatte schließlich die Nase voll und meldete sich bei MDR THÜRINGEN mit der Bitte, einen Aufruf zu starten im Radio.
Irgendjemand muss doch Kisten in der Scheune haben, die unbeachtet vollstauben. Und allzu klein dürften sie auch nicht sein. Jeder der drei Fensterbereiche war mehr als vier Meter hoch und bestand aus zwei parallelen, schlanken Bleiglaselementen und darüber thronte ein rundes Oberlicht mit jeweils einem streng blickenden Herrn.
Keine Unterlagen, Firmen aufgelöst, keine Zeugen
Nun steht die Kirche von Bilzingsleben in Deutschland. Keine Frage also, dass es Papiere gegeben hat und Akten nebst Aktenzeichen. Doch nichts dergleichen war auffindbar. Zur Ehrenrettung aller Beteiligten sei angemerkt, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Kirchenkreise immer mal wieder umstrukturiert und Zuständigkeiten verschoben wurden, nebst alter Ordner.
Nahezu alle Mitarbeiter in den Büros sind kürzere Zeit im Amt als die Fenster verschwunden. Und das Finanzamt wünscht sich bekanntlich nur, dass Unterlagen zehn Jahre aufbewahrt werden, nicht 25. Trotzdem fand sich ein einziger kleiner Hinweis auf Papier und zwar bei Nikola Falkenberg, der Kirchbaureferentin im Kreiskirchenamt Sangerhausen.
Es war das Angebot der Brandenburger Zweigstelle einer hessischen Firma. Es lautete auf "Ausbau, Verschließen, Überarbeitung der Konstruktion und Einbau" von drei Kirchenfenstern in Bilzingsleben. Das Datum des Angebots: 10. März 1999, unterschrieben von einem Herrn M.
Zu diesem Datum passten auch zwei datierte Fotos des Chorraums, die es im Dorf noch gibt: Im Dezember 1998 waren die Fenster noch drin, im Dezember 2003 nicht mehr. Irgendwann dazwischen müssen sie also ausgebaut worden sein. Aber ob von der Brandenburger Firma – unklar.
Das Problem: Die hessische Firma hat ihre Brandenburger Zweigstelle schon vor Jahren aufgelöst, einen Eigentümerwechsel später sind auch in der Mutterfirma keine Unterlagen mehr zu finden. Herauszubekommen war nur: Herr M., also der Mann, dessen Unterschrift das Angebot trägt, hat das Geschäft in Brandenburg noch eine kurze Zeit weiterbetrieben. Dann verschwand er so spurlos wie die Fenster.
Er hinterließ einiges an Schulden, erzählt man sich im Dorf, und tonnenweise Glas auf dem ehemaligen Firmengrundstück, das mittlerweile Messie-Formen angenommen hat. 2018 wurde das Grundstück schließlich verkauft.
Wurden die Kirchenfenster versteigert?
Zunächst mussten also die neuen Grundstückseigentümer gefunden werden und bestenfalls auch ehemalige Mitarbeiter der Firma. Die Anlaufpunkte waren typisch für Recherchen dieser Art: Gemeinderäte, Vereine, Ortsteilbürgermeister – der Kontakt zu den neuen Eigentümern war schnell hergestellt und dann auch der zu einem ehemaligen Mitarbeiter der Brandenburger Firma.
Er erinnerte sich, dass jahrelang ein paar Kisten herumstanden, die keiner haben wollte. Denn im Normalfall kehren Kirchenfenster nach der Sanierung zügig zurück. Wir finden den Hinweis auf eine Versteigerung und einen Auktionator.
So ein paar runde Kirchenfenster könnten dabei gewesen sein, erinnert er sich vage, doch der Auktionskatalog 2018 war nur digital, die Software verwendet heute niemand mehr und eventuelle Fotos vergilben auf einer alten Festplatte.
Doch wir haben Glück, die Platte läuft noch und die Fotos sind besser als die vor 25 Jahren geknipsten. Für die Identifizierung brauchte es keinen Sachverständigen. Abgebildet sind tatsächlich die drei runden Fenster aus Bilzingsleben. Nur: Wer hat sie damals ersteigert? Die ernüchternde Antwort: Niemand.
Verschollen auf einem Messie-Hof
Mittlerweile geht es auf Ostern zu. Wir sind im regen Austausch mit der Familie, die das Grundstück 2018 gekauft hat, "wie es steht und liegt". Und es stand und lag sehr viel.
Ich glaube schon, dass ich die damals in der Hand hatte.
Im ehemaligen Werkstattgebäude, auf dem Hof, in Regalen und Containern. Es waren Berge von Glas in allen denkbaren Varianten. Die erwähnte Versteigerung der am wertvollsten wirkenden Stücke brachte nicht den erhofften Erfolg und so blieben auch unsere drei runden Fenster auf dem Hof.
"Ich glaube schon, dass ich die damals in der Hand hatte", erinnert sich der Grundstückseigentümer angesichts der sehr guten Fotos für den Auktionskatalog. Das war aber leider in den Wochen der Entrümpelung. Wer wollte, konnte sich damals für einen schmalen Taler Glas abholen: Fensterglas, Sicherheitsglas, Bleiglas usw.
Es rollten immer mal wieder Transporter an, einer kam sogar aus Thüringen, erinnert sich der Grundstückseigentümer. Sogar ganze Lkw wurden vollgepackt und die Reste landeten schließlich im Container, bis alles weg war. Weg waren damit auch unsere Fenster aus Bilzingsleben.
Letzte Möglichkeit: ein Kontakt auf WhatsApp
Es ist der Dienstag vor Ostern, als unser Grundstückseigentümer noch den Ansatz einer Idee hatte. Irgendwie war die Geschichte für alle Beteiligten zu einem spannenden Detektivspiel geworden. Unter den vielen Glasinteressenten gab es auch einen jungen Mann aus der Region, der hatte sich vor allem für alte Bleiglasfenster interessiert.
Könnte sein, dass ich die liegen habe, versprechen kann ich nichts, ich hatte die zuletzt vor Jahren in der Hand.
Ein paar Rückfragen später meldete der Dorffunk: Er heißt wohl Steffen und wohnt ein paar Kilometer weiter, aber schon in Sachsen-Anhalt. Ob er die Fenster damals mitgenommen hat? Es ist der wirklich allerletzte Pfeil im Köcher. Wir machen also den nächsten Ort rebellisch, die Feuerwehr hilft. Der Wehrleiter weiß sofort, wer gemeint ist, und vermittelt den Kontakt zu Steffen, der gerade im Urlaub ist.
"Könnte sein, dass ich die liegen habe, versprechen kann ich nichts, ich hatte die zuletzt vor Jahren in der Hand". Er wollte sie sich eigentlich in den Flur hängen, "bin aber nie dazu gekommen" – wie das halt so ist. "Ostersonntag bin ich wieder zu Hause, dann gucke ich nach", schreibt er auf WhatsApp.
Ein klassischer Scheunenfund
Am Ostersonntag fliegen plötzlich die Fotos von unseren mittlerweile ziemlich verstaubten Fenstern aus Bilzingsleben bei WhatsApp herein – ein klassischer Scheunenfund. Die große Überraschung: Nicht nur die drei runden Fenster sind dabei, sondern auch die länglichen. Ob sie komplett sind, ist noch unklar.
Sie sind zerbrechlich, Steffen will sie lieber liegen lassen für die Fachleute, die sie zeitnah abholen sollen. Gibt es einen besseren Tag als den Ostersonntag für ein kleines Wunder? Sicher kaum, und einen besseren Ort gibt es auch nicht. Denn die Fenster der evangelischen Kirche zu Bilzingsleben haben die letzten sieben Jahre ihrer Odyssee tatsächlich in Wittenberg verbracht, also quasi bei Martin Luther vor der Kirchentür.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. April 2025 | 19:00 Uhr
Thomas Becker vor 3 Wochen
Auch nach vier Wochen Recherche habe ich mir nicht angemaßt, eine abschließende Bewertung bezüglich der "Schuldfrage" vorzunehmen. Dabei ist es heute ja üblich, ohne Kenntnis der Sachlage zu urteilen.
Zu behaupten, dass hier "ein Haufen Laien" agiert habe, ist aber schlicht unverschämt. Die Leute in Bilzingsleben haben drei Jahre lang an allen denkbaren Stellen im Kirchenumfeld versucht, die Fenster zu finden, da diese eben erst jetzt wieder rein können. Wenn Fehler gemacht wurden, dann vor 25 Jahren. Wie Sie dem Artikel entnehmen können, musste es damals sehr schnell gehen beim Ausbau (Stichwort: "akute Einsturzgefahr"). Da der entscheidende Mitarbeiter der Firma, der das Angebot erstellt hat, wie beschrieben verschollen ist, konnte er nicht befragt werden.
Und vielleicht denken Sie auch einmal darüber nach, welchen Grund es noch geben könnte, dass man 25 Jahre später die damals beteiligten Personen heute nicht mehr befragen kann.
MfG
Thomas Becker
Redakteur MDR THÜRINGEN
Blume vor 3 Wochen
Es grenzt an ein Wunder, dass die Fenster wieder gefunden wurden.
Nur stellt sich die Frage, wer in Deutschland baut Kirchenfenster aus und verschickt sie ohne Dokumentation. :))
Abbau der Bürokratie damals schon?
Das Bernsteinzimmer liegt vielleicht auch nur nebenan in einer Scheune.....
Bitte startet eine Spendenaktion für die Kirchenfenster - ich gebe gern etwas.
Die Geschichte ist so skurril, dass der Ort diesbezüglich etwas gut zumachen hat und Geld sammeln sollte, oder Kuchenbasar, egal was, aber Deutschlandweit.
Viel Erfolg
Harka2 vor 3 Wochen
Verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin sehr dafür, dass historische Gebäude wie Kirchen erhalten werden. Was sich hier aber zeigt ist, dass wenn ein Haufen Laien und Ahnungsloser so was mal nebenbei machen will, dann wird es ganz fix sehr viel teurer, als es sein müsste. Die Fenster waren noch ganz, als sie ausgebaut wurden. Erst der unsachgemäße Umgang mit ihnen lies es zu den Schäden kommen.
Es ist ja auch nicht so, dass nicht schon einmal in Deutschland die Kirchenfenster ausgebaut wurden. Auch damals herrschte Chaos, Zerstörung und Krieg und dennoch wurden nach dem Krieg die Fenster recht schnell wieder eingebaut.
Das "Steffen" die von ihm rechtmäßig erworbenen Fenster nun kostenlos zurück gibt, ist zwar sehr anständig, aber auch ein Glücksfall, der nur selten vorkommen dürfte.