Geschäftsaufgabe Café Spunk in Weimar: "Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem"

07. Juli 2022, 17:28 Uhr

Anfang Juni ist das Café Spunk in Weimar zum wiederholten Mal angegriffen worden. Die Reaktion der beiden Betreiberinnen war drastisch: "Wir haben keinen Bock mehr auf diese Stadt, wir schließen im Herbst". Inzwischen haben Lara Lütke und Alessa Dresel genauer erklärt, warum sie glauben, dass Weimar ein Nazi-Problem hat und was sie in diesem Zusammenhang der Stadtspitze vorwerfen.

Autorenbild Grit Hasselmann
Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Das Café Spunk wurde 2020 in der Marienbergstraße eröffnet und sieht sich selbst als "antirassistisches, antifaschistisches und queerfeministisches" Café. Bereits mehrfach gab es Angriffe, Täter konnten nie ermittelt werden. Alessa Dresel ist eine der beiden Betreiberinnen: "Seit eineinhalb Jahren wird das Café wiederholt zum Ziel von rechten Angriffen."

Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem.

Lara Lütke und Alessa Dresel

Zum Aufklicken: Das ist das Cafè Spunk

Die Produktdesignerinnen Lara Lütke und Alessa Dresel haben das Café in der Marienstraße selbst "gemacht". 19 Quadratmeter renoviert, eingerichtet und mit viel Liebe zum Detail dekoriert. Fairen Kaffee gibt es hier und selbst gemachte Leckereien.

Das Café Spunk soll ein besonderer Ort sein, ein Ort für Politik, feministische Literatur, gute Gespräche, Spaß, leckeren Kuchen und Nachhaltigkeit. Der Name "Spunk" ist auch eine Hommage an Pippi Langstrumpf, deren feministischer und anarchistischer Charakter für eine Figur aus einem Kinderbuch ziemlich einmalig ist: Ein Mädchen, das ihren Kopf durchsetzt, allein lebt, mit den Füßen auf dem Kopfkissen schläft und sich von der Gesellschaft nicht sagen lässt, wie es zu leben hat.

Rechter Hintergrund sehr wahrscheinlich

Zuletzt wurde das Café Anfang Juni angegriffen. Nach Angaben des Bürgerbündnisses gegen Rechtsextremismus geschah das mitten am Tag.

Eine Gruppe Jugendlicher habe versucht, gegen Gäste und einen Mitarbeiter vorzugehen. Weil das wegen anwesender Gäste nicht gelang, sei die Gruppe geflüchtet und habe eine Fahne des Cafés zerstört. Einer aus der Gruppe habe den Angriff gefilmt. Die Zerstörung der Fahne lasse einen queerfeindlichen, rechten Hintergrund annehmen.

Diese Ereignisse versetzen uns als Betroffene in einen Zustand der permanenten Angst.

Alessa Dressel

Alessa Dresel: "Von rechter Gewalt und Bedrohung betroffen zu sein, ist nicht nur für uns eine emotional sehr belastende und psychisch traumatische Erfahrung. Diese Ereignisse versetzen uns als Betroffene in einen Zustand der permanenten Angst und kosten uns jeden Tag unglaubliche Überwindung, den Betrieb geöffnet zu halten."

Nicht nur Café Spunk ist Ziel von Anschlägen

Am 21. Januar 2021 wurden in der Schiller- und Steubenstraße insgesamt vier Stolpersteine mit grauer Farbe übermalt. Am 2. März 2021 wiederholte sich diese Beschädigung in der Steubenstraße. Im März 2021 wurden Plakate, die an das rechtsterroristische Attentat in Hanau im vergangenen Jahr erinnern, auch bei der Bäckerei Brotklappe in der Triererstraße mit blauer Farbe unkenntlich gemacht.

Am 28. März 2021 wurde eine Ausstellung des "Netzwerk Antirassismus Weimar" zum Internationalen Tag gegen Rassismus am Jugend- und Kulturzentrum Mon Ami zerstört. Dort waren unter anderem Menschen abgebildet, die in Weimar leben, arbeiten, studieren und im Rahmen der Ausstellung über ihre alltäglichen Rassismuserfahrungen öffentlich berichteten.

Offener Brief gegen rechte Gewalt

Etwa vor einem Jahr hatte das Café Spunk einen Offenen Brief an Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine mitunterzeichnet, entschlossener gegen rechte Gewalt in der Stadt vorzugehen. Ein Netzwerk von Organisationen, Initiativen und Vereinen aus Weimar und dem Weimarer Land hatte sich damals gegen zunehmenden Rassismus stark gemacht.

Von rechter Gewalt und Bedrohung betroffen zu sein, ist nicht nur für uns eine emotional sehr belastende und psychisch traumatische Erfahrung.

Alessa Dresel Café Spunk

In dem offenen Brief hatten sie von Oberbürgermeister Peter Kleine gefordert, dass sich die Stadtspitze klar positioniert. Es müssten dringend ein Integrationskonzept erarbeitet und eine neutrale Antidiskriminierungsstelle geschaffen werden, hieß es.

Außerdem forderten sie, rassistische Straftaten konsequent zu verfolgen. Der Initiative hatten sich mehr als 50 Gruppen angeschlossen, darunter die Stadtwerke Weimar, die Other Music Academy und die Grüne Jugend.

Schwere Vorwürfe gegen den Oberbürgermeister

Jetzt machen die Betreiberinnen des Café Spunk dem Oberbürgermeister Vorwürfe, zu wenig zu tun: "Ohne mit uns als Betroffenen gesprochen zu haben, beschreibt er die rechte Gewalt völlig unangemessen mit den Worten 'Störung', 'Provokation' und 'Belästigung'. Für die Betroffenen von faschistischer und rassistischer Gewalt, die in Weimar leider schon heute ein 'Normalzustand' ist, sind solche Aussagen ein Schlag ins Gesicht."

Oberbürgermeister Peter Kleine macht dieser Vorwurf sehr betroffen: "Das tut schon weh, aber ich kann die Reaktionen durchaus nachvollziehen, weil man eben genau solche Erfahrungen gesammelt hat, gerade beim Café Spunk. Und insofern verurteile ich diese Reaktion nicht, weil es aus deren Sicht tatsächlich so ist. Was ich nicht bestätigen kann ist, dass wir als Stadt ein Nazi-Problem haben."

Gespräch brachte neuen Frust statt Klärung

Kleine hatte das Café Spunk besucht, mit den beiden Betreiberinnen gesprochen, ihnen Hilfe zugesichert. Alessa Dresel kann das aber nicht anerkennen: "Ein Besuch des Oberbürgermeisters in unserem Café, bei dem uns Hilfe versprochen wurde, brachte uns im Endeffekt wenig."

Peter Kleine sieht den Grund dafür in einem Missverständnis. "Ich glaube, man hatte gedacht, dass die Stadt Weimar auch anders unterstützen kann. Mit Bänken oder mit Markisen. Und solche Dinge sind nicht passiert." Wenn so etwas aus dem Stadthaushalt finanziert würde, so Kleine weiter, könnten dann auch andere Gastronomen solche Unterstützung einfordern.

Weimars Oberbürgermeister Peter Kleine an einem Tisch vor einem Bistro
Weimars OB Peter Kleine hatte die Angriffe auf das Café Spunk verurteilt. Bildrechte: MDR/Thomas Becker

Hat die Stadt Weimar ein Nazi-Problem?

Im Café Spunk ist man der Meinung, dass Oberbürgermeister Peter Kleine und auch Bürgermeister Ralf Kirsten die Situation zu wenig ernst nehmen: "Ohne konkrete Schritte einzuleiten oder den Betroffenen endlich Hilfe zu bieten, wird das Thema (...) von Oberbürgermeister Peter Kleine sogar dazu genutzt, sich auf die eigene Schulter zu klopfen."

Damit bezieht Dresel sich auf die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle der Stadt Weimar. Es hatte lange gedauert, bis die endlich ihre Arbeit aufnehmen konnte, organisiert wurde sie ausschließlich ehrenamtlich. Jetzt denkt der OB über eine hauptamtliche Besetzung nach.

Kein Vertrauen in Politik und Polizei

Die beiden Betreiberinnen des Café Spunk jedenfalls geben auf. Sie wollen in Weimar kein Café mehr betreiben. "Diese Stadt hat ein echtes Naziproblem", sagen sie. Und deshalb werden sie nach dem Sommer schließen. In die Polizei und in die Kommunalpolitiker setzen sie nach eigenen Angaben kein Vertrauen mehr.

Man muss sich eingestehen, dass man bestimmte Straftaten einfach nicht verhindern kann.

Peter Kleine Weimarer Oberbürgermeister

Das aber will der Oberbürgermeister so nicht stehen lassen: "In Weimar kann man gut leben. Aber man muss sich eingestehen, dass man bestimmte Straftaten einfach nicht verhindern kann. Das gilt sowohl für die rechten Attacken als auch für andere Straftaten. Das wird man nie auf Null reduzieren können. Leider."

Dennoch kann Kleine die persönliche Sicht der beiden Betreiberinnen durchaus nachvollziehen. Das können auch die Kundinnen und Kunden des Café Spunk. Trotzdem müssen sie sich im Herbst wohl ein anderes Lieblingscafé suchen.

Zum Aufklicken: Chronologie der Angriffe auf das Café Spunk

Im März 2021 wurden die Fensterscheibe sowie Teile der Inneneinrichtung mit einem Stein zerstört. Zu diesem Zeitpunkt hingen dort mehrere Gedenk- und Erinnerungsplakate für die Opfer des rechtsterroristischen Anschlages in Hanau vom 19. Februar 2020.

In den folgenden Monaten wurde mit schwarzer Farbe ein Hakenkreuz an die Eingangstür des Cafés geschmiert; zuvor wurde immer wieder das Türschloss verklebt. Beinahe jede Woche werden Aufkleber mit neonazistischen Inhalten an der Tür oder an den Fenstern angebracht.

Im März und April dieses Jahres folgten zwei Attacken mit schwarzer, roter und gelber Farbe gegen die Fensterfront sowie die Fassade des Gebäudes.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 04. Juni 2022 | 18:00 Uhr

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