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TheaterkritikErich Kästners "Fabian" – politisch neu aufgeladen

16. September 2024, 15:33 Uhr

Erich Kästners Roman "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" dreht sich um die Existenzängste eines jungen Mannes, spielt in Bordellen und Bars im Berlin der Weimarer Republik – sozusagen Kästner für Erwachsene. Das Buch dürfte manche an die ARD-Serie "Babylon Berlin" erinnern. Die Inszenierung von Jan Gehler am DNT Weimar aber fokussiert auf die politische Botschaft für das Hier und Heute. Am Sonntag war Premiere. Unser Kritiker fühlte sich teils sehr unterhalten – und war doch nicht zufrieden.

Nach dem Riesenerfolg von "Emil und die Detektive" wollte Erich Kästner ausdrücklich einen Roman für Erwachsene schreiben. Als er 1931 "Fabian" vorlegte, fand sein Verleger das Buch geradezu pornografisch und entschärfte es vor der Veröffentlichung. Erst 2013 erschien die unzensierte Fassung des Romans, der in Bordellen und Bars spielt, die heutigen Swingerclubs ähneln. Es geht darin um Werteverfall und käufliche Liebe, aber auch um Existenzkämpfe.

"Babylon Berlin" aus der Feder Erich Kästners

Das Buch ist eine Art authentisches "Babylon Berlin". Der Roman zeigt aber auch, dass Deutschland politisch am Scheideweg steht. In den Straßen bekämpfen sich bereits Nazis und Kommunisten, und tatsächlich ist es das, worauf die Inszenierung von Jan Gehler zielt: auf das Erstarken der politischen Ränder. Gehler will im Grunde eine Geschichte über das Heute erzählen.

Dabei verzichtet die Inszenierung auf vieles, das das Stück eindeutig in das ursprüngliche Setting einordnen würde: Auf der Bühne und im Drehbuch gibt es kaum Bezüge zu Berlin. Die Stadt ist fast komplett gestrichen, ebenso wie die Handlungszeit. Es gibt keine realistische Kulisse, Requisiten oder Kostüme, die auf die Weimarer Republik hindeuten.

Die Darsteller von "Fabian" vor dem minimalistischen Bühnenbild der Inszenierung am DNT Weimar. Bildrechte: Candy Welz

Minimalistisches Bühnenbild, abstrakte Kulisse

Stattdessen sieht der Zuschauer ein abstraktes Bühnenbild aus einem großen Quader in der Mitte und zwei kleineren Blöcken links und rechts. Dazwischen ist eine schmale Gasse mit einem Graben.

In diesem nüchternen Ambiente spielt das Stück um den jungen Mann namens Jakob Fabian, der in der Großstadt Schritt für Schritt untergeht. Fabian verliert seinen Job, seine Liebe und seinen einzigen Freund – und schließlich sogar sein Leben. Gegen Ende des Stücks wird ausdrücklich von den "83 Millionen Menschen" im Land gesprochen – der heutigen Einwohnerzahl Deutschlands – und spätestens da wirkt die Inszenierung wie ein Reflex auf die Stimmung und die Wahlergebnisse in Thüringen.

Sechs Schauspieler und Schauspielerinnen sollen Kästners Stück mit Leben füllen. Bildrechte: Candy Welz

Zwar gibt es keine direkten Bezüge zur politischen Situation in der Gegenwart, aber trotzdem war das Politische im Stück bisweilen zu viel des Guten. Zur Premiere am Sonntag wurde das über weite Strecken originell gestaltete Stück trotzdem vom Publikum bejubelt.

Zu erleben sind sechs Schauspielerinnen und Schauspieler in wechselnden Rollen. Sie spielen mit viel Lust und Humor. Immer wieder wird chorisch gesprochen und der Graben, die Gassen und die große Rückwand werden bespielt. Gerade bei den vielen sexuellen Themen wird auf Komik gesetzt und es wird viel gelacht.

Vergangenheit und Gegenwart überschneiden sich

Letztlich aber läuft alles auf die politische These hinaus, dass sich links und rechts der Bühnenmitte, in der Fabian steht, immer mehr Kräfte radikalisieren und bekämpfen. Und am Ende steht eine Botschaft: Der junge Mann ertrinkt, weil er nicht schwimmen kann. An die Rückwand wird groß geschrieben: "Lernt schwimmen". Dazu wird chorisch gesprochen, "wir haben keine andere Zeit als diese". Das ist einerseits logisch und gut nachvollziehbar, denn Thüringen hat politisch gerade viel zu verkraften. Aber ein Stück im Grunde nur dafür zu inszenieren, wirkte doch etwas zu eindimensional.

Dieser 'Fabian' ist streckenweise sehr unterhaltsam und am Ende ziemlich pathetisch mit seiner – guten – politischen Botschaft. Aber insgesamt doch nur ein Fall für die Kategorie 'kann man sich mal angucken'.

Matthias Schmidt, MDR KULTUR-Theaterkritiker

Jan Gehler hat bewusst so reduziert inszeniert, ohne Schmuck und Blendwerk. Frank Castorf ging vor ein paar Jahren am Berliner Ensemble den entgegengesetzen Weg und inszenierte das Werk äußerst opulent. Was man damals zu viel finden konnte, war hier zu wenig. Auf dieser Bühne fehlt "die Stadt als Rummelplatz", wie es bei Kästner heißt. Auch für die spektakulären Formulierungen Kästners, etwa die von der "Trägheit der Herzen, die zum Untergang führt", findet diese Inszenierung keine Ansprechhaltung.

Viel gibt es auf der Bühne nicht, woran sich die Schauspieler festhalten könnten. So beschäftigen sich die Darsteller eine Stunde und 45 Minuten lang mit einigen Kleidungsstücken, die sie mal an-, mal ausziehen, mal hin- und herwerfen, zu einem Haufen stapeln und so weiter. Das ist eine Zeit lang ganz hübsch, aber weder erschließt sich daraus ein tieferer Sinn noch war es anhaltend spannend.

Wenig Atmosphäre, viel politischer Appell

Der Abend war wenig fesselnd. Es war kein Zauber im Raum, und ab einem gewissen Punkt plätschert das Stück vor sich hin. Auch musikalisch passiert kaum noch etwas, nachdem anfangs Swing-Musik zu hören war, die Atmosphäre schaffen sollte. Zwar hüpften die Schauspieler viel hin und her, auch über den Graben, aber es entstand keine Stimmung, die emotional berührt.

Inszeniert Kästner neu: Das Deutsche Nationaltheater in Weimar. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Martin Schutt

Dennoch ist dieser "Fabian" kein schlechter Abend, über den man sich ärgern muss. Keinesfalls. Er ist streckenweise sehr unterhaltsam und am Ende ziemlich pathetisch mit seiner – guten – politischen Botschaft. Aber insgesamt doch nur ein Fall für die Kategorie "kann man sich mal angucken".

Die nächsten Vorstellungen von "Fabian" finden am 21. September sowie am 5. und am 25. Oktober statt.

Redaktionelle Bearbeitung: tis, hki

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 16. September 2024 | 08:40 Uhr