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Angriffe auf GedenkstätteHitlergruß am Eingang: Extremismus und Unbedarftheit in Buchenwald

01. August 2022, 11:04 Uhr

Unbekannte haben Erinnerungsbäume nahe Buchenwald abgesägt. Die Gedenkstätte sieht darin eine politisch motivierte Tat. Nicht zum ersten Mal wurden die Opfer des früheren Konzentrationslagers und ihre Hinterbliebenen verhöhnt. Es sind aber nicht nur Rechtsextreme, die immer wieder die Totenruhe stören.

von Marie-Theres Brand, MDR THÜRINGEN

Hakenkreuz-Kritzeleien an den Wänden und rassistische Gästebucheinträge: In Buchenwald wird über jeden Angriff auf das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus Buch geführt. Für Taten mit rechtsextremem Hintergrund hat Jens-Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte, in Voraussicht einen großen Ordner angelegt.

Provokation und Zerstörung ist man in Buchenwald gewöhnt. Erst vor wenigen Tagen entdeckte Direktor Wagner eine zerkratzte Hinweistafel, die zu Gräbern von KZ-Opfern führt. Die Asche Tausender Häftlinge liegt hier. "Wir erleben seit einigen Jahren, dass die politischen Strömungen der AfD Rassismus, Antisemitismus und andere demokratiefeindliche Bestrebungen wieder salonfähig machen", sagt er.

"Wenn eine Partei im Thüringer Landtag vertreten ist, deren Parteivorsitzender offen eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordert, dann ist es kein Wunder, dass Erinnerungen an die Opfer beschädigt werden. Das ist ein und dieselbe gedankliche Richtung."

Laut Wagner gebe es eine kleine und aggressive Minderheit, die zunehmend lauter und selbstbewusster auftrete. "Wir erleben es immer wieder, dass Personen sich mit dem Hitlergruß vor den Eingang stellen und die Opfer entwürdigen", erzählt Wagner. Dinge, die vorher unsagbar waren, würden zunehmend sagbarer: wie die Verharmlosung des Holocausts. Das Problem seien aber nicht nur Rechtsextreme.

Rodeln auf Massengräbern, Selfies im Krematorium

Im Januar 2021 rodelten Amateursportler über die Erdsenken eines Massengrabes des Ettersberges. Ein Pärchen aus Sömmerda veranstaltete in der Silvesternacht 2022 ein Feuerwerk nahe des Mahnmals am Glockenturm. Auf Instagram posierte ein Mann in einem der Öfen des Krematoriums, dort, wo Häftlinge verbrannt wurden.

"Ein Teil der Bevölkerung scheint die Geschichte vergessen zu haben", vermutet Jens-Christian Wagner. In den Jahren 1937 bis 1945 wurden in Buchenwald mehr als 56.000 Menschen systematisch ermordet.

Ein Teil der Bevölkerung scheint die Geschichte vergessen zu haben.

Jens-Christian Wagner

Unangemessenes Verhalten, das die Opfer verhöhnt, ist strafbar und wird von der Gedenkstätte zur Anzeige gebracht.

Gedenkstätte Buchenwald wichtig für Angehörige

"Das sind keine politisch motivierten Taten", sagt Wagner. "Es ist Gedankenlosigkeit und zeigt, dass es Menschen gibt, denen der Ort und die Opfer völlig egal sind." Buchenwald hat eine große Bedeutung, nicht nur für die Opfer selbst, sondern auch für ihre Angehörigen: für Kinder, Enkel, Freundinnen und Freunde. "Für die ist das wie ein Schlag ins Gesicht", sagt er.

Das Gelände der Gedenkstätte ist videoüberwacht, das Sicherheitspersonal wurde in den vergangenen Jahren verstärkt. Die meisten Angriffe passieren aber da, wo Täter sich unbeobachtet fühlen. Die Orte, an denen nationalsozialistische Verbrechen begangen wurden, befinden sich in ganz Deutschland. Allein Weimar hat über 20 Plätze, die an die Gräueltaten erinnern. Erst am 31. Juli wurden 111 Gedenksteine für jüdische Kinder und Jugendliche eingeweiht.

Wir können nicht neben jedes Denkmal einen Polizisten stellen. Wir brauchen eine wachsame, eine geschichtsbewusste und eine demokratische Bevölkerung. Eine Gesellschaft, die so etwas nicht duldet.

Jens-Christian Wagner

Orte wie Buchenwald wollen das kritische Geschichtsbewusstsein stärken und Bildungsarbeit leisten. Eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dürfe aber nicht nur in Gedenkstätten passieren, meint Wagner. Es müsse in der ganzen Gesellschaft stattfinden: Schulen, Universitäten, Arbeitsplätzen, Familien- und Freundeskreisen.

Zusammenhalt überwiegt Hass

Bei aller Wut und Fassungslosigkeit erreicht die Gedenkstätte auch eine Welle der Solidarität. Jens-Christian Wagner wird fast stündlich angerufen: Vereine wollen Geld spenden und Privatpersonen bieten an, selbst neue Bäume zu pflanzen - überall, an jeder Straßenecke, um zu zeigen, dass das Gedenken unerschütterlich ist.

"Das spornt uns an, mit der Arbeit weiterzumachen", sagt Wagner. "Wir wollen noch stärker in die Gesellschaft hineinwirken, damit die politische Stimmung, die Antisemitismus wieder salonfähiger macht, hoffentlich bald aus unserer Gesellschaft verschwindet."

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MDR (mtb)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 28. Juli 2022 | 12:00 Uhr

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