PhilosophieWahl-Weimarer Nietzsche: Ein Ratgeber für die Probleme von heute?
Friedrich Nietzsche – mit seinen Ideen können wir auch heute noch über den Zustand unserer Welt nachdenken. Zum Beispiel über den Sinn des Lebens oder: Wie in einer Demokratie Populismus entsteht. Unumstritten ist der Philosoph jedoch nicht. Einige seiner Texte dürften Feministinnen nicht gefallen. Andere Gedanken von ihm wiederum wurden von den Nationalsozialisten und auch von seiner Schwester vereinnahmt und verdreht. Am 15. Oktober jährt sich Nietzsches Geburtstag zum 180. Mal.
- Einige Gedanken des Philosophen Friedrich Nietzsche sind immer noch aktuell, andere sind umstritten.
- Auf einer Tagung haben Wissenschaftler aus aller Welt über Nietzsches Ideen im Heute nachgedacht.
- Der Philosoph liefere Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und erkläre, wie Populismus entstehe.
Friedrich Nietzsche wurde 1844 in Röcken, Sachsen-Anhalt, geboren und starb 1900 geistig umnachtet in Weimar. Er war ein Meister der Sprache, Philologe und beherrschte Altgriechisch so gut, dass er mit 24 Jahren bereits Professor in Basel wurde. Bilder zeigen ihn oft streng und unnahbar – war er ein Einzelgänger?
Nach wie vor beliebt sind Nietzsches Aphorismen, wie zum Beispiel: "Die Ähnlichseherei und Gleichmacherei ist das Merkmal schwacher Augen." Einige seiner Texte dürften Feministinnen jedoch nicht gefallen. Andere Gedanken von ihm wiederum wurden von den Nationalsozialisten und auch von seiner Schwester vereinnahmt und verdreht. Friedrich Nietzsche, dessen Geburtstag sich am 15. Oktober 2024 zum 180. Mal jährt, ist also nicht unumstritten.
Tagung in Weimar denkt Nietzsche ins Heute
Trotzdem befassen sich noch heute Wissenschaftler auf der ganzen Welt mit den Ideen des Philosophen. Etwa 50 von ihnen trafen sich in Weimar, wo das Nietzsche-Kolleg der Klassik Stiftung Weimar vom 7. bis 11. Oktober 2024 eine Tagung veranstaltete. Die Überschrift: "Nietzsches Zukünfte" – ein von dem Philosophen selbst geprägter Plural. Die Wissenschaftler traten in einen transkulturellen Austausch darüber, welche Bedeutung Nietzsche in den verschiedenen Regionen der Welt heute hat und wie die Zukunft mit ihm aussehen kann.
Ein Philosoph mit Humor?
Auf viele Fragen Nietzsche betreffend gibt es noch immer keine eindeutigen Antworten. Auch das war ein Thema der Tagung, die die Gedanken jenes entrückt wirkenden Mannes im Heute denken will.
Hatte Nietzsche eigentlich Humor? Helmut Heit, Leiter des Kollegs, gesteht: "Das weiß ich gar nicht." Nietzsche habe einnehmende Züge gehabt, improvisierte zum Beispiel gern am Klavier. Doch aufgrund seines zurückgezogenen, distinguierten, wohlerzogenen und höflichen Wesens habe er eine gewisse Distanz ausgestrahlt. Aber richtig mürrisch sei er wohl gar nicht gewesen, so Heit.
Nietzsche und der Sinn des Lebens
Nicht mürrisch vielleicht, aber ernst. So liest Heit bei Nietzsche nach, wenn es um die ganz großen Fragen geht: Wofür machen wir das alles? Hat der Mensch ein kulturelles Ziel? Geht es nur darum, ein gutes Leben zu führen oder gibt es noch etwas, das wir darüber hinaus als Kultur oder Gesellschaft erreichen wollen? Das sei eine Frage, die sich mit Nietzsche stellt, sagt Heit – auch vor dem Hintergrund, dass wir "wahnsinnige Ressourcen verbrauchen, uns alle irrsinnig anstrengen und man gar nicht genau weiß, wozu überhaupt."
Nietzsche lädt uns als Gesellschaft, letztlich sogar als globale Kultur ein, uns zu fragen: Wofür machen wir das alles?
Helmut Heit, Leiter Nietzsche-Kolleg der Klassik Stiftung Weimar
Nietzsche als Populismus-Erklärer?
Der Wissenschaftler Christian Emden, der an der Rice University Houston in den USA lehrt, interessiert sich für Nietzsche als politischen Philosophen. Mit dessen Gedanken gehe er gemeinsam mit seinen Studenten unter anderem der Frage nach, wie Populismus in einer Demokratie entsteht. Das kritische Potenzial des Philosophen beleuchte die "dunklen Unterseiten der Moderne" und stelle ein Instrumentarium bereit, mit dem wir heute über Gemeinschaft nachdenken können, so Emden. Und Gemeinschaft sei bei Nietzsche nicht positiv besetzt.
Durch Nietzsches Moralkritik lässt sich nachweisen, wie grundsätzlich hinter Identitäten, Gemeinschaften oder Gemeinschaftsbegriffen letztendlich auch ein hohes Gewaltpotenzial steht.
Christian Emden, Wissenschaftler und Tagungsteilnehmer
Politische Gemeinschaften würden sich auch als moralische Gemeinschaften verstehen, führt der Wissenschaftler aus. Durch Nietzsches Moralkritik lasse sich nachweisen, wie grundsätzlich hinter Identitäten, Gemeinschaften oder Gemeinschaftsbegriffen letztendlich auch ein hohes Gewaltpotenzial stehe.
Mit Nietzsche das Heute beleuchten
Wissenschaftler aus der Türkei, aus Japan, Südamerika, Frankreich und Italien waren zur Tagung nach Weimar angereist. Martine Prange ist Professor in Tilburg, in den Niederlanden. Auch dort werde Nietzsche fasziniert gelesen. Aber wichtig sei, den Philosophen im Kontext seiner Zeit zu sehen. Die eine Antwort jedoch gäbe es nicht, so Prange. Was Nietzsche auch so kompliziert macht.
Für Prange bietet die Tagung eine gute Möglichkeit zu diskutieren, was Nietzsche meinte – und in welchem Land seine Philosophie wie gesehen wird und wie so auch die Probleme der Gegenwart beleuchtet werden können.
Wer Nietzsche verstehen will, muss in die Tiefe gehen, filtern und heraussuchen: Das, was der Mann mit dem markanten Oberlippenbart uns heute noch über die Welt zu sagen hat.
Informationen zur Tagung
"Nietzsches Zukünfte"
Global Conference on the Futures of Nietzsche
7. — 11. Oktober 2024
Jugend-, Kultur- & Bildungszentrum mon ami
Goetheplatz 11
99423 Weimar
Hier finden Sie das ganze Programm der Tagung "Nietzsches Zukünfte".
Quelle: MDR KULTUR (Blanka Weber), Klassik Stiftung Weimar
Redaktionelle Bearbeitung: jb, bh
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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 08. Oktober 2024 | 07:40 Uhr