Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

MusikBilder für die Ohren: Blinder Pianist aus Weimar hofft auf Orgelstudium

19. März 2023, 05:00 Uhr

Mit zweieinhalb spielte er Beethoven auf einem Mini-Keyboard für Kinder. Da merkten die Eltern: Aaron Christopher Hoffmann hat eine besondere musikalische Begabung. Der blinde Pianist hofft nach viel persönlichem Kampf auf ein Orgelstudium bei einem ebenfalls blinden Professor. Bis dahin macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr bei "Radio Lotte" in Weimar.

von Isabelle Fleck, MDR THÜRINGEN

Aaron Christopher Hoffmann kann sich Details richtig gut merken. Als wir uns in einem Café in Erfurt unterhalten, hat er immer das passende Datum zur jeweiligen Geschichte auf Lager. Wann war dies? Wann war das? Der 18-Jährige weiß den Tag, die Uhrzeit, von wo nach wo war er unterwegs. Warum das wichtig ist? Er muss sich manche Sachen gut merken, die Sehende einfach nachschlagen können. In seinem Fall zum Beispiel: Noten, Melodien. Denn Aaron Christopher ist begeisterter Pianist und träumt seit Längerem von einem Orgel-Studium.

Konzertprogramm "Bilder für die Ohren" in Weimar vorgestellt

Gerade hat er in der Weimarer Galerie "unartig" ein Konzertprogramm vorgestellt, das er "Bilder für die Ohren" nennt. Aaron Christopher spielt dann seine Klassik-, Filmmusik- und Jazz-Stücke nicht einfach still vor, er will das Publikum unterhalten. Moderiert die Lieder an, erzählt zum Beispiel, dass in Beethovens "Für Elise" gleich Tränen fließen. So möchte er die Hemmungen vor der Klassik abbauen, erzählt er. Großes Vorbild: der Thüringer Pianist Felix Reuter.

Es gibt Pianisten, die 'nur' spielen. Ich finde es aber wichtig, etwas zu den Stücken zu erzählen und Hintergrundinfos zu bekommen.

Aaron Christopher Hoffmann | blinder Pianist

Während Aaron Christopher seine Geschichten mit Worten und Tönen am Klavier erzählt, steht sein Vater am Ende des Raumes und beobachtet das Publikum. "Ich bin immer wieder begeistert, was er da so aus dem Hut zaubert", sagt der stolze Vater. Seinem Sohn gelingt es, das Publikum mitzunehmen.

Ich habe mir die Reaktionen der Gäste angeguckt. Da sind schöne Lacher dabei, wenn er was Lustiges erzählt hat. Da merkt man wirklich, dass das gut ankommt.

Michel Hoffmann | Vater von Aaron Christopher

Aaron Christopher neigt den Kopf herüber und sagt, das habe er gar nicht so mitbekommen. Er sei in einer Art "Tunnel" gewesen. "Deswegen mache ich das ja", erklärt der Vater. Wäre irgendwas nicht so gut gelaufen, hätte er Feedback und Tipps gegeben, was der Sohn noch am Programm ändern könnte. Scheint aber nicht nötig zu sein. Für dieses Jahr sind einige Benefiz-Konzerte geplant, der 18-Jährige ist auch für Hochzeiten gebucht und eine Zeugnisübergabe.

Songs aus den Charts nach Gehör nachgespielt

Seit 16 Jahren spielt Aaron Christopher Klavier. Mit zweieinhalb - so erzählt es sein Vater - spielte der Junge auf einem kleinen Kinder-Keyboard plötzlich ein Stückchen Beethoven. Das hatte er sich selbst beigebracht. Kurz darauf bekam das Kind Musikunterricht und landete über ein paar Umwege an der Musikhochschule "Franz Liszt" in Weimar im Unterricht für Blinde und Sehbehinderte. Seine Musiklehrerin von früher ist noch heute seine Musiklehrerin. Mit ihr studiert Aaron Christopher die klassischen Stücke ein. Mit ihr arbeitet er die Noten in Blindenschrift durch. Die Filmmusiken, die Songs aus den Charts. Das alles spielt er nach Gehör nach.

Noten in Blindenschrift

Für blinde Musiker gibt es die Möglichkeit, Noten in eine spezielle Notenschrift übersetzen zu lassen. Zum Beispiel bietet das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen in Leipzig diesen Service kostenlos an. Allerdings ist diese Schrift noch einmal anders als die "normale" Blindenschrift. Die Noten zu lesen, hat Aaron Christopher bei seiner Musiklehrerin in Weimar gelernt und bei einem Kurs für blinde Notenschrift. Er findet regelmäßig in Wernigerode statt - so auch wieder vom 11. bis 17. April 2023.

Langer Kampf für den Traumberuf als Musiker

Auf die Frage, wie gut er eigentlich spielt, sagt Aaron Christopher ganz bescheiden: fortgeschritten. Die Idee lag also nah, beruflich etwas mit Musik zu machen. Doch das ist ein langer Kampf. Denn die Arbeitsagentur wollte den jungen Mann nach seinem Realschulabschluss gerne in einen Büro-Job vermitteln. "Es war schrecklich", erinnert sich Aaron Christopher. "Es gab keine Kommunikation in dem Büro."

Nach zwei Wochen sei klar gewesen, dass er diese Ausbildung nicht drei Jahre machen könne, nur weil aus Sicht des Amtes "Musiker" kein "richtiger Ausbildungsberuf" ist. Der Vater verstand die Welt nicht mehr. Den Büro-Job hätte das Amt mit 5.000 Euro monatlich gefördert - Geld, das an die Ausbildungsstelle gegangen wäre, nicht an Aaron Christopher. Aber seine musikalische Begabung wird nicht gefördert?

Blinder Orgelprofessor wird auf Aaron Christopher aufmerksam

Durch die Berichte darüber wurde Holm Vogel auf Aaron Christopher aufmerksam. Er ist Orgelprofessor in Halle sowie Leipzig und stammt ursprünglich aus Meiningen. Beide verbindet noch etwas: Sie sind auf die gleiche Schule in Weimar gegangen - einem überregionalen Förderzentrum für Menschen mit Seheinschränkung, die Diesterwegschule in Weimar. Nur eben mit mehreren Dekaden dazwischen. Die Hoffnung ist nun groß, dass Aaron Christopher bei ihm auch ohne Abitur studieren kann. Er hat den jungen Mann schon spielen gehört und lobt vor allem sein Talent, improvisieren zu können. Die Voraussetzungen für ein Studium in Orgelimprovisation habe er, so die Einschätzung des Professors.

Ich spiele nicht die schwersten Stücke von Liszt - aber ich kann improvisieren. Das hat dem Professor gefallen. Er mag es, wenn man nicht so an den Noten klebt.

Aaron Christopher

Soziales Jahr beim Weimarer Radio-Sender

Seit diesem Jahr macht Aaron Christopher ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei "Radio Lotte" in Weimar. Nach kleinen Startschwierigkeiten laufe es dort ganz gut, erzählt er. "Es ist halt so, dass da die Leute sehr viel für sich arbeiten und ich besonders am Anfang nicht so viel zu tun hatte und das gefiel mir nicht. Es war aber auch ein bisschen meine Schuld, weil ich mich da noch nicht so gut ins Redaktionsgeschehen eingebracht habe. Das versuche ich nun zu verbessern", erzählt Aaron Christopher.

Inzwischen hat er zum Beispiel ein mehrsprachiges Interview geschnitten und einen Beitrag erstellt über seine Erfahrungen mit der Barrierefreiheit in Weimar. Auf die Frage, wie man mit einem Audioschnitt-Programm etwas schneiden kann, ohne es zu sehen, sagt er: "Das ist doch leicht."

Ich habe mir für jede Aktion Tastaturbefehle eingerichtet. Dann setze ich mir Markierungen für den Bereich, den ich rausschneiden möchte, und dann ist es schon weg.

Aaron Christopher

Eigener Podcast für Blindenhilfsmittel und Apps

Nach Gehör schneiden ist beim Radio grundsätzlich eine gute Idee, da hat er Recht. Aaron Christopher ist aber auch technikaffin. Seit 2019 betreibt er einen eigenen Podcast - den Apfelkuchen-Podcast - in dem er Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte vorstellt. Meist geht es um Apps und Programme. Der Podcast richtet sich aber auch an Sehende. Sie könnten lernen, Technik für sich in ihrem Alltag zu nutzen. Er hilft aber auch zu verstehen, wie sehr eingeschränkte Menschen arbeiten. Und dann sagt Aaron Christopher einen Satz, den Radio-Leute gerne sagen: Den Podcast gibt es überall da, wo es Podcasts gibt. Unterhaltsam ist der Junge.

MDR (ifl)

Mehr zu Inklusion

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 19. März 2023 | 05:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen